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Von Tag zu Tag: Let’s muckel

Thomas Lackmann hat Gaslaternen lieb, aber keine Angst um Berlin.

Berlin ist muckelig. Wer einmal während der trüben Jahreszeit als Wochenendpendler mit der guten alten Eisenbahn stadteinwärts gerollt ist und dann herzklopfend die Altbauten am Bahndamm sah mit Schummer-Laternen davor, dem ist dabei regelmäßig das Gemüt lokalpatriotisch aufgegangen: vor so viel metropolitaner Heimeligkeit! Berlin ist schummerig. Damit soll es nun vorbei sein? Der World Monuments Fund hat die Hauptstadt-Gaslichter auf seine Watch List 2014 gesetzt. Wie viele seriöse Bürger (die niemand lichtscheu nennen sollte, nur weil sie Traditionsleuchten retten wollen), bangt nun auch diese globale Denkmalschutz-Organisation um unsere zivilisatorische Errungenschaft.

Von vormals 80 000 seien an der Spree nur noch 43 500 Laternen übrig, Berlin verfüge als „eine der letzten Bastionen“ über mehr als die Hälfte der universal „überlebenden“ Gaslicht-Population. Bedroht sei mit deren Verschwinden die spezifische Dunkelheits-„Aura“ für Straßen und Nachbarschaften, eine einzigartige Nachterfahrung. Werden wir also zur eiskalt flirrenden Neon-Kapitale herabsinken, eine per Elektrobirne diffus erhellte Kommune, deren übergeschminkte Macken im unvorteilhaften Spar-Modus erst recht eklig hervorstechen?

Wie das Angenehme und das Nützliche, Fortschritt und Muckeligkeit, perfekt verbunden werden könnten: Darüber hatte schon vor 100 Jahren Erich Mühsams Lampenputzer in der gleichnamigen Ballade gegrübelt. Der Lampenputzer wollte beweisen, dass revolutionäres Barrikadenbasteln und Naturschutz für liebe Laternen kombinierbar sind. Wir Muckel-Berliner ahnen, dass eine Verwaltung im Fortschritts-Drive kaum zu stoppen ist. Wir loben aber für eine Superbirne, die in Produktion und Verbrauch billiger, in der Wartung entspannter und in der Anmutung vielfach muckeliger erscheint als aller Lampenzauber von anno dazumal ... den Friedensnobelpreis aus.

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