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Berlin: "Linie 1": Singen vom Glück

"Mein Herz will zerspringen, meine Seele verglühen, wenn am Görlitzer Bahnhof die Linden blühen" - das ist das Lied des Sozialhilfeempfängers Hermann, des Alten, der seinen steifen Körper jeden Morgen Zentimeter für Zentimeter aus dem Bett quält. Und trotzdem jeden Sonntag die Fliege umbindet und mit seiner Freundin ins Grüne fährt.

"Mein Herz will zerspringen, meine Seele verglühen, wenn am Görlitzer Bahnhof die Linden blühen" - das ist das Lied des Sozialhilfeempfängers Hermann, des Alten, der seinen steifen Körper jeden Morgen Zentimeter für Zentimeter aus dem Bett quält. Und trotzdem jeden Sonntag die Fliege umbindet und mit seiner Freundin ins Grüne fährt. Mit dem Lied will er Sunny trösten, das junge Mädchen, das nach Berlin kam auf der Suche nach der Liebe, dem Leben und dem Glück. Und die erstmal die Menschen in der U-Bahn kennen lernte.

Zum tausendsten Mal wird Schauspieler Dietrich Lehmann heute Abend den Hermann aus "Linie 1" im Grips-Theater am Hansaplatz singen. Lehmann war von Anfang an dabei, sang schon bei der Uraufführung am 30. April 1986 "jeder freundliche Blick ist das Glück". Er spielt auch den Rentner, der mit seinem schlecht gelaunten "zu viele Kanaken hier" bekannt wurde.

"Sunny verliert in Berlin ihre Illusionen, aber sie findet das Glück", sagt Lehmann. Er kam in den 60-ern aus dem Sauerland in die Stadt, war fasziniert vom Treiben am Tag und vom Licht in der Nacht - Reklame und Radrennen. Mit der U-Bahn-Linie 1 fuhr er jeden Tag aus Kreuzberg zur Freien Universität nach Dahlem. Bei den Proben zu "Linie 1" Ende 1985 hätten alle Darsteller die Texte gemocht: Ein Vorzeichen des Erfolgs.

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Das ungebundene Leben, was Lehmann in "Linie 1" dem jugendlichen Publikum empfiehlt, hat er selbst nie führen können. Als die Studentenbewegung begann, war er gerade mit der Uni fertig. "Das habe ich verpasst. Und der Beruf ist viel zu intensiv", sagt er, der am Grips-Theater Schauspieler, Regisseur, Dramaturg und Pädagoge zugleich ist: "Ich spiele jeden Monat 20 Mal, und das schon seit 30 Jahren." Den Wunsch nach einem Kind schlug Lehmann seiner ehemaligen Freundin aus - er hat sich schon darüber geärgert, der Wortkarge, der irgendwie Nonkonforme und dennoch Disziplinierte. "Aber am Theater sehe ich viele Kinder." Vielleicht sehnt sich Lehmann nach dem freien und ungezwungenen Leben. 1940 ist er geboren worden. "Im gleichen Jahr wie Rudi Dutschke und John Lennon", sagt er.

Christian Domnitz

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