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Spektakuläre Aussichten auf nicht enden wollende Hügellandschaften, die ich in Berlin vermissen werde.

© Mark Belkin

Ein Berliner in Ruanda: Im Reisebus mit ruandischen Songs und der Sehnsucht nach einem Döner

Nach dem Abitur an die Uni, nein danke. Lieber zwölf Monate nach Ruanda und dort arbeiten, dachte sich unser Autor. Über seine Erlebnisse bloggt er hier.

Stand:

Mark Belkin hat am jüdischen Gymnasium in Berlin sein Abitur gemacht, jetzt arbeitet er zwölf Monate in Ruanda in einem Jugendprojekt, bei dem es auch um die Aufarbeitung des Völkermords geht. Über seine Erfahrungen bloggt er hier.

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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Ruanda — über die Gorillas und den Genozid hinaus

“It’s gonna take a lot to drag me away from you” sangen einst Toto in ihrem Hit “Africa”. Wenn es um das Ende meines sozialen Jahres in Ruanda geht, trifft bei mir eher Queen‘s „I want to break free“ zu, wie ich gestehen muss.

Damit man mich nicht falsch versteht: Mein Auslandsjahr war absolut brillant! Angefangen mit den tiefen Einsichten, die ich in ein mir zuvor absolut unbekanntes Land und dessen Bewohner erhalten habe. Ich hatte spannende Unterhaltungen mit Menschen, die es in ihrer Karriere weit gebracht haben und mir vieles über den rasanten Wandel in ihrem Land berichten konnten. Sie spotten über die Sicht auf Ruanda als rückständiger, vom Genozid geprägter Staat und sind das beste Beispiel, dass es in diesem Land vorangeht. Viele Bewohner der Hauptstadt sind Kosmopoliten und haben unzählige Länder bereist, einige von ihnen sind Feinschmecker, die teils über neue „Foodie-Trends“ aus Kigali bloggen. Andere sind sehr belesen, ein Sitznachbar im Bus teilte sogar meine Begeisterung für die Bond Romane von Ian Fleming.

Kigali: eine moderne Metropole wächst heran.
Kigali: eine moderne Metropole wächst heran.   Bild: Mark Belkin
Auf der anderen Seite hatte ich aber auch vielfach Gespräche mit Ruandern, die voller Frust auf die Entwicklung blicken, die überwiegend in der Hauptstadt Kigali stattfindet und bei ihnen nicht ankommt. Bauern, arbeitslose Akademiker und auch Lehrer, die immer wieder wie in einem Mantra über ihr Schicksal klagen und die scheinbare Unterentwicklung ihres Landes hervorheben. Aber auch sie, die vom Aufschwung Überholten, arbeiten meist lang und hart. Das Narrativ des „faulen Afrikaners“ ist in Ruanda und mit Sicherheit auch anderswo in Afrika absolut verfehlt.

An was es vielen mangelt, besonders in den Dörfern, ist der Wille, etwas an der eigenen Situation ändern zu wollen. Die Sätze “What can I do, I live in a poor country”, oder “God wants it like this” habe ich schon mehrfach gehört. Für mich besonders niederschmetternd bei der Arbeit an einer Dorfschule war die Einstellung vieler Heranwachsender gegenüber ihrer Zukunft. Einige meiner spontanen Gespräche mit jungen Leuten auf der Straße verliefen frustrierend, da sie darauf hinausliefen, dass ich nach einem Job oder nach einem Flugticket nach Deutschland gefragt wurde. Meine Antwort, ich sei ein 19-jähriger Freiwilliger ohne Einkommen, hatte leider kaum jemanden zufrieden gestellt. Wiederum traf ich auch einige mit hohen Ambitionen. Ein junger Typ plante sehr selbstbewusst, der reichste Mann in Ruanda zu werden. Ein anderer, sehr intelligenter junger Mann erzählte mir, wie er eines Tages eine neue Schule in seinem Dorf bauen möchte. 
Bauer oder auch Motorradfahrer: oft die einzigen Berufsperspektiven im Dorf.
Bauer oder auch Motorradfahrer: oft die einzigen Berufsperspektiven im Dorf.   Bild: Mark Belkin

Ich erlebte unzählige besondere Momente in Ruanda, die ich im Vorfeld nie erwartet hätte. Einige haben mich sehr gerührt, wie beispielsweise eine Überraschungsparty zu meinem Geburtstag, die, inklusive Torte und Sekt, in meinem Dorf für mich geschmissen wurde. Oder auch die Tatsache, dass ein fremder Reisender das halbe Dorf nach mir abklapperte, um mir mein Handy wiederzubringen, nachdem ich es im Bus liegengelassen hatte, rührte mich ungemein.

Ein anderer „besonderer“ Moment ereignete sich bei einem längeren Spaziergang durch das Dorf: Ein älterer Herr lief mir eine Stunde lang hinterher und verlangte immer wieder Geld. Dies tat er überraschend freundlich, mit einem Lächeln auf den Lippen und sehr beständig in seinem Vorhaben. Meine wiederholten Anstrengungen, ihn abzuwimmeln, verliefen erfolglos. Warum fragte er mich nach Geld? Eindeutig wegen meiner Hautfarbe! Das Selbstverständnis, mit dem jener Herr und viele andere mich als „Muzungu“, als Weißen, nach Geld fragten, brachte mich oft zur Verzweiflung. Darüber hinaus wird man als Weißer in den meisten Gegenden permanent angestarrt und als Sonderling behandelt. Viele meinen es nur gut und sind neugierig oder besonders freundlich mir gegenüber, das ändert jedoch nichts an meinem Status als permanentes Objekt der Aufmerksamkeit. Oft konnte ich nicht sagen, ob die Sympathie und Zuneigung mir als Person galten oder dem angeblich wohlhabenden Weißen.

Bei einem Spaziergang durch das Dorf muss man sich oft auf neugierige Kids gefasst machen.
Bei einem Spaziergang durch das Dorf muss man sich oft auf neugierige Kids gefasst machen.   Bild: Mark Belkin

Das ist bei mir tatsächlich der ausschlaggebende Punkt, der mich nun dazu bringt, dieses schöne Land bald verlassen zu wollen. Natürlich sind es auch die schlechteren Lebensumstände, die wenig bekannte Sprache und vielleicht auch die Sehnsucht nach einem Döner, die meine Vorfreude auf meine Heimat anheben.

Ein ganzes Jahr in einem fremden Land lässt sich schwer in ein paar Zeilen verfassen. Ich werde außergewöhnliche Arbeits- und Lebenserfahrung in einem ruandischen Dorf, spektakuläre Aussichten auf nicht enden wollende Hügellandschaften und eine Playlist an ruandischen Songs, die mich auch in einem Reisebus um 2 Uhr nachts begleitete, nach Deutschland mitnehmen.  

Hügel und Terrassen so weit das Auge blicken kann. Aussichten, die mir in Berlin fehlen werden.
Hügel und Terrassen so weit das Auge blicken kann. Aussichten, die mir in Berlin fehlen werden.   Bild: Mark Belkin

Die Möglichkeit, als junger Mensch ein Jahr lang ein weit entferntes Land zu bereisen und dort auch arbeitstätig zu sein, hatten wenige Generationen vor mir. Mir ist bewusst, dass die Erlebnisse und Erfahrungen, die ich dort machen konnte, nicht selbstverständlich sind und ich bin zutiefst dankbar für diese sich mir gebotene Möglichkeit.

Vor allem möchte ich auch Ihnen, meinen lieben Leserinnen und Lesern, besonderen Dank für das Verfolgen meiner Artikel aussprechen. Auch dem Tagesspiegel und der geschätzten Redakteurin, die diesen Blog erst ermöglichte, bin ich sehr dankbar. Das Schreiben über das Jahr hinweg verlangte von mir, konstant meine Erlebnisse und Beobachtungen zu hinterfragen und von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten. Dieser Artikel ist ein kleines Sammelsurium meiner Eindrücke und Gedanken, die mir recht spontan zu meinem sozialen Jahr in den Kopf kamen. Es folgen eventuell noch nachträglich einzelne Beiträge zu konkreten Themen, die mit meinem Auslandsjahr in Verbindung stehen.

Sollten Sie noch Anregungen oder Kommentare haben, zögern Sie bitte nicht, diese mitzuteilen.

Ruanda hat definitiv mehr zu bieten als nur Bilder vom Genozid und von Berggorillas. Ich hoffe, mein Blog konnte einen kleinen Teil dazu beitragen, die Sicht auf Ruanda sowie Uganda zu erweitern.


“Imana yirirwa ahandi igataha i Rwanda.”
„Gott bleib am Tag anderswo, schläft jedoch in Ruanda.“
(Eines der beliebtesten Zitate in Ruanda. Es beschreibt hervorragend die Liebe der Ruander für ihre Nation und natürlich den starken Glauben im Land.) 
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Religiöser Idealismus und die Kaugummi-Frucht

Kampala ist laut, voll, stickig und bei jedem Atemzug hat man gefühlt einen Esslöffel Staub in der Lunge. Ausweichmöglichkeiten aus dem urbanen Chaos gibt es nicht viele, Parks konnte ich auf Google Maps keine finden. Ein Lichtblick bot sich mir an einem unerwarteten Ort. Jener Ort bietet eine saftig grüne Wiese, eine Möglichkeit, der knallenden Sonne Ugandas unter mächtigen Baumkronen zu entfliehen, und dazu noch einen modernen Tempel.
Alltagschaos auf den staubigen Straßen Kampalas.
Alltagschaos auf den staubigen Straßen Kampalas.   Bild: Mark Belkin

Diese Oase der Ruhe ist der Tempel der Bahai. Ich hatte zuvor noch nie von der jungen Religion gehört und machte mich auf den Weg zum Herzstück der Anlage, dem 38 Meter hohen Tempel, um mehr über die Bahai zu erfahren. Das Haus wurde 1961 errichtet und war damals das höchste Gebäude Ostafrikas. Der Tempel ist das erste und einzige Gotteshaus der Bahai in Uganda.

Ich bin kein besonders spiritueller Mensch, aber als ich durch die Pforte des Tempels schritt, offenbarte sich mir eine durchaus mystische Atmosphäre. Dieses Gefühl kam wahrscheinlich durch das blassgrüne Licht im Inneren des Tempels und durch die durchdachte symmetrische Innenarchitektur des Gebäudes zustande. Die durchdringende Stille dort wurde durch das starke Echo meiner Schritte gebrochen.

Symmetrischer Bahai-Tempel.
Symmetrischer Bahai-Tempel.   Bild: Mark Belkin
Im Inneren des Tempels befinden sich klassische Holzbänke, ein kleiner Schrein und ein Bücherregal. Dort finden sich die heiligen Schriften der Bahai sowie Informationsmaterialien. Vielleicht bin ich etwas zu skeptisch, aber für mich hörten sich die Versprechungen aus der Broschüre, die mir später noch von einem Vertreter der Bahai vorgestellt wurden, etwas zu idealistisch an. Der Vertreter betete mir vor, dass die Bahai durch und durch weltoffen, friedlich, tolerant seien. Jene emotionalen Schlagwörter wurden wie bei einem Gebet immer und immer wiederholt. Es ging kaum um die Religion selbst, ihre historischen Ursprünge oder zentralen Glaubensvorstellungen, sondern eher darum, wie progressiv sie doch sei. Natürlich, in vielen Bereichen trifft dies auch zu. Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein großes Thema  bei den Bahai, Mitglieder anderer Religionen können ihre eigenen Gebete sprechen.
Die Idylle der Tempelanlage.
Die Idylle der Tempelanlage.   Bild: Mark Belkin

Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass bei all der Toleranz eine gewisse arrogante Grundhaltung mitschwingt. Indirekt wird vermittelt: 'Ja, wir laden eure Religionen ein, die sind auch schön und gut.; unsere Predigten, unsere Schriften und unsere Religion sind  jedoch fortschrittlicher als eure; sie sind die Zukunft.' Das war mein sehr subjektiver Eindruck.

Kritik am Bahaitum hin oder her: Ich genoss den Park um den Tempel herum und war den Erbauern in diesem Moment sehr dankbar für die Rastmöglichkeit. Den krönenden Abschluss des spirituellen Tages bereitete mir der Wächter des Geländes dann noch, indem er mir ein Stück Jackfruit anbot.

Die außergewöhnliche Frucht ist bei uns als trendiger Hipster-Fleischersatz bekannt und wird oft als Pulled-Pork Alternative vermarktet. In Naturform erinnert der Geschmack der Frucht, die wie eine mutierte Birne mit Stacheln aussieht, eher an fruchtiges Kaugummi als an Fleisch.

Exotisch in Deutschland, aber typisch für Uganda: Jackfruits.
Exotisch in Deutschland, aber typisch für Uganda: Jackfruits.   Bild: Mark Belkin

So verließ ich das Bahai-Gelände zwar ausgeruht, aber mit gemischten Gefühlen über die Religion und mit Kaugummigeschmack im Mund.

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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Nilquelle und Streetfood

Uganda ist kein Paradies für Backpacker-Touristen ohne viel Geld. Googelt man die Sehenswürdigkeiten des Landes, findet man auf den ersten Blick nur Nationalparks, Wälder und noch mehr Nationalparks. Diese sind sicher atemberaubend schön, aber auch entsprechend kostspielig. Mit ein wenig Kreativität und Ortskenntnissen kann man auch ohne Elefanten, Zebras und Co. eine gute Zeit in Uganda verbringen.
Beeindruckendes Naturerlebnis für kleines Budget — Botanischer Garten in Entebbe.
Beeindruckendes Naturerlebnis für kleines Budget — Botanischer Garten in Entebbe.   Bild: Mark Belkin
Meinen ersten Stop hatte ich in Jinja. Die Stadt erlangte relative Bekanntheit durch den Fluss, der sie durchquert. Der mächtige Nil teilt die Stadt in zwei Teile. Die Vorstellung, an einem Fluss zu stehen, der den halben afrikanischen Kontinent durchfließt, ist durchaus beeindruckend.
Der mächtige Nil.
Der mächtige Nil.   Bild: Mark Belkin
Zu gerne würde ich in dieses historische Gewässer hineinspringen, nur leider ist es verseucht mit Bilharziose.
Da ich den lästigen Parasiten schon einmal als Wirt gedient hatte, entschloss ich mich, von der Erfrischung abzusehen. Der Nil durchfließt nicht nur die Stadt Jinja, sondern findet dort auch seinen Ursprung – angeblich. Glaubt man den Moderatoren der britischen Automobilshow „Top-Gear“, so liegt die Quelle in Tanzania. Andere vermuten sie in Ruanda. Einige Forscher und vor allem die ugandische Tourismus-Industrie vermuten sie eben in Jinja. Es gibt mehrere Anbieter, die Touristen von der Hauptstadt Kampala nach Jinja fahren und das „unvergessliche Abenteuer – die Quelle des Nils“  versprechen. Auf jenes Abenteuer ließ ich mich ein. Ich stellte mir eine stark sprudelnde Fontäne vor, die einen reißenden Strom kreiert. Zu sehen bekam ich ein rostendes blaues Schild neben einem Kiosk auf dem Wasser, auf dem „Source of the River Nile“ geschrieben steht. Das obligatorische Selfie am Schild habe ich trotzdem gemacht und kann nun stolz behaupten, höchstpersönlich an der Quelle des längsten Flusses der Welt (je nach Definition auch nicht) gewesen zu sein.
Die etwas ernüchternde Quelle.
Die etwas ernüchternde Quelle.   Bild: Mark Belkin
Nicht weniger aufregend als die Nilquelle war für mich die Entdeckung von ugandischem Streetfood. Konkret geht es um gegrilltes Huhn und Rolex - und nein, letzteres wird nicht als Statussymbol am Handgelenk getragen. Obwohl der Anblick einer 10.000 € teuren Uhr am staubigen Straßenrand in Uganda durchaus seinen Reiz hätte, haben die ugandischen Rolex recht wenig mit den Schweizer Uhren zu tun. Die ugandische Variante fällt zwar weniger edel aus, schmeckt dafür aber umso besser und setzt den Geldbeutel nicht um einen Kleinwagen zurück. Die Grundlage für Rolex ist sehr simpel: Man nehme ein Omelett mit etwas Gemüse und rolle es in Chapati, einem indischen Fladenbrot, das sich in Ostafrika großer Beliebtheit erfreut. Daher der Name: aus „Rolled Eggs“ wird das legendäre „Rolex“.
Einer der unzähligen Rolex-Verkäufer auf den Straßen Kampalas.
Einer der unzähligen Rolex-Verkäufer auf den Straßen Kampalas.   Bild: Mark Belkin
In die Premiumvariante des Streetfoods kommen zusätzlich Fleisch, mehr Gemüse und Saucen. Die Rolex-Stände am Straßenrand entsprechen, um es milde auszudrücken, nicht ganz den europäischen Hygienestandards. Als ich jedoch das saftige, deftig riechende Endprodukt in der Hand hielt, konnte ich nicht widerstehen. Was mir momentan essenstechisch am meisten fehlt, ist ein klassischer Berliner Döner. So ein Rolex kommt nah ran, nur Kräutersauce und „scharf“ bekam ich leider nicht in meine Rolex.
Was ich sonst noch in Uganda erleben konnte, außer ein rostiges Schild zu betrachten und in Rolex zu beißen, erfahren Sie im finalen Uganda Beitrag.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Einreise nach Uganda

Um mich herum sammeln sich Gerüche von Fisch, überreifen Früchten und Abfall. Junge Männer laufen mir schreiend hinterher. Ein falscher Schritt und ich liege unter einem Motorrad. Welcome to Uganda, denke ich mir, als ich im Zentrum der Hauptstadt Kampala ankomme. In meinen Augen herrscht hier Chaos. Aber ein schönes Chaos.
Viele Menschen, starke Gerüche, überall Staub.
Viele Menschen, starke Gerüche, überall Staub.   Bild: Mark Belkin
Der Grenzübergang wirkte auf mich sehr eindrucksvoll. Als Europäer bin ich es gewohnt, nichts außer einem Schild mit dem Ländernamen zu sehen. Zunächst einmal musste ich mich auf ruandischer Seite austragen. Nach einem nächtlichen Spaziergang über eine Schotterpiste erreichte ich die Grenzschranke, an der mich grimmige Soldaten musterten. Einige unangenehme Augenblicke später befand ich mich auf ugandischem Boden. Dort bekam ich einen Interstate Pass, praktisch ein Visum für Ostafrika. Vor mir in der Schlange der Reisenden stand ein Herr, der ausreisen wollte. Er hatte seinen Pass mit Notizen bekritzelt und bekam den Zorn der Grenzbeamtin zu spüren. Halb scherzend meinte sie, er könne seine Ausreisepläne vergessen. An der Wand des Einwanderungsbüros hing ein Porträt des umstrittenen Präsidenten Yoweri Museveni. Während Amtskollege Kagame auf seinem Porträt ernst und poetisch zur Seite schaut, blickt einem Museveni mit süffisantem Lächeln entgegen.

Tatsächlich spiegelt sich diese Beobachtung zum Teil auch in der Bevölkerung wieder: Viele Ruander, mit denen ich Bekanntschaft machen konnte, wirkten anfangs eher distanziert und ernst. Nur wenige Ruander öffnen sich Fremden gegenüber, vor allem was die familiären Hintergründe angeht. Das liegt ohne Zweifel auch am Genozid. In Uganda bekam ich einen entgegengesetzten Eindruck: Sei es der Vermieter oder ein Fahrer - viele Menschen um mich herum verspürten den Drang, mir erzählen zu wollen, woher sie kämen, warum ich in Jesus vertrauen sollte, oder dass ihre Mutter eine gute Köchin sei. Unabhängig vom Thema: gelacht wird in Uganda ungemein viel.

Als ich durch dieses Land fuhr und die vielen neuen Eindrücke auf mich wirken ließ, wurde mir erst bewusst, wie geordnet und penibel sauber Ruanda eigentlich ist. Während man in Ruanda lange nach Abfall auf den Straßen sucht, kann man dem omnipräsenten Müll auf Ugandas Straßen nicht entfliehen.
Während ich in Ruanda auf jedem Motorrad-Taxi einen Helm in die Hand gedrückt bekam, fuhr ich in Uganda helmlos durch die Gegend und das nicht alleine: zum Teil saßen wir zu viert auf einem der klapprigen Zweiräder. Zugegeben, obwohl es nicht die sicherste Methode ist, um von A nach B zu kommen, hatte ich eine Menge mehr Vergnügen beim gemeinschaftlichen Motorradfahren "Uganda-Style".
Fortbewegung in Uganda.
Fortbewegung in Uganda.   Bild: Mark Belkin
Einen weniger angenehmen Unterschied zu Runada konnte ich feststellen, als ich mir eine ugandische SIM-Karte zulegte. Nachdem ich alle möglichen Daten an den Verkäufer übergab, darunter Passkopie, ein Foto und sogar den Fingerabdruck, freute ich mich darauf, wieder über WhatsApp — meinem Hauptkommunikationsmittel — erreichbar zu sein. Dem war aber leider nicht so. Ebenso konnte ich nicht durch aktuelle Instagram-Fotos scrollen. Meinen Ärger hatte ich der Steuer auf Social-Media-Produkte zu verdanken. Die Steuer wurde 2018 offiziell feierlich eingeführt, nachdem die Polizei kurz zuvor Proteste gegen ebenjene Steuer zerschlagen hatte. Damit wolle der Präsident das Loch in der Staatskasse füllen und „Klatsch“ im Internet vermeiden.

Ob er mit "Klatsch" eventuell Kritik gegen seine Person oder die Online-Kampagne seines größten politischen Konkurrenten Bobi Wine meinte, ist wohl Interpretationssache. Fest steht, dass drei Monate nach Einführung der Steuer die Anzahl an Internet-Abonnements um 2,5 Millionen gesunken ist. Auch die Summe an Zahlungen über das Handy, die oft eine Kreditkarte ersetzen, fiel umgerechnet um ganze 1,1 Millionen €. Die 200 Schilling (fünf Cent) Steuer am Tag mögen zwar unbedeutend erscheinen, sind aber in einem Land, wo das durchschnittliche Monatseinkommen bei etwa 120 € liegt, sehr wohl spürbar.

So weit zu meiner Ankunft. Mehr Eindrücke und Beobachtungen folgen in kommenden Beiträgen.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Kühe aus dem Lautsprecher


Das junge Ehepaar bewegte sich demonstrativ wie in Zeitlupe hin zu einem festlich dekorierten grünen Tisch, an dem der stolze Vater des Bräutigams saß. Ihm wurden zwei Geschenke überreicht: ein kunstvoll gestalteter Gehstock und ein schicker Cowboy-Hut, beide verziert mit gelber Schleife. Ich konnte leider nicht erfahren, was diese Gesten und besonders der Stock symbolisieren. Vielleicht etwas in Richtung: „Sorry Dad, das Alter naht“. Selbige Aktion wurde am Tisch des Vaters der Braut wiederholt. 
Vater mit Schleife am Hut
Vater mit Schleife am Hut   Bild: Mark Belkin
Anschließend war das Ehepaar an der Reihe, Geschenke entgegen zu nehmen. Das erste war ein traditioneller ruandischer Korb, Agaseke genannt. Dieser beinhaltete Bohnen und Reis, die eine fruchtbare Ehe symbolisieren. Das Paar bekam auch eine schwarze Box überreicht, gefüllt mit Schuhen und Stoff, den klassischen Hochzeitsgeschenken.
Traditioneller Korb mit traditionellem Inhalt
Traditioneller Korb mit traditionellem Inhalt   Bild: Mark Belkin
Nach der Geschenkübergabe ereignete sich der für mich außergewöhnlichste Teil der Zeremonie: Ich blickte instinktiv nach draußen, als ein lautes „Muhhh“ ertönte. Die animalische Klangkulisse kam jedoch von drinnen. Die Kuhgeräusche wurden über einen Lautsprecher ausgestrahlt. Nach anfänglicher Verwunderung musste ich ein wenig kichern, Kühe passten für mich dann doch eher wenig zu einer noblen Hochzeit. Doch in Ruanda, sind Kühe bei Hochzeiten die Norm – waren es jedenfalls, bis sie von Lautsprechern ersetzt wurden. 

Die Kühe sind die Mitgift an die Familie der Braut, die in Ruanda sehr üblich ist, unabhängig welcher sozialen Schicht man angehört. Heute wird statt einer realen Kuh meist deren monetäres Äquivalent überreicht, etwa 300.000 ruandische Franc oder 300 €. Abhängig vom Bildungsstand, Beruf oder familiären Hintergrund der Braut, werden auch gerne symbolische Kühe im Wert eines Kleinwagens überreicht.
Ehemann zahlt die Mitgift — oft eine große finanzielle Bürde.
Ehemann zahlt die Mitgift — oft eine große finanzielle Bürde.   Bild: Mark Belkin
Nach Übergabe der Mitgift erklang wieder das Muhen. Zwei junge Männer mit traditionellen Gehstöcken präsentierten sich stolz. Sie begannen zu dem Muhen zu singen und tanzten im Anschluss, wobei sie ihre Gehstöcke sehr artistisch und synchron durch die Lüfte wirbelten. Es folgten mehre Reden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, da mein Kinyarwanda noch ausbaufähig ist.
Zwei junge Hirten tanzen zum Muhen der digitalen Kühe.
Zwei junge Hirten tanzen zum Muhen der digitalen Kühe.   Bild: Mark Belkin
Später wurde zum Buffet geladen – Reis, Bohnen, Kochbananen und Süßkartoffeln – sehr klassisch ruandisch. Es fehlte es auch nicht an Bergen von Fleisch, was für viele Ruander einen besonderen Luxus darstellt. Den Leuten schmeckte es offenkundig, viele Gäste stapelten sich solche Mengen an Essen auf einen einzigen Teller, für die ich mindestens fünf gebraucht hätte. Diese Stapel-Kunst stammt womöglich von den vielen Buffets im Land. Dort gilt die Prämisse: Einmal anstellen, ein Teller, einmal zugreifen und soviel zu nehmen wie du kannst.

Damit endete für mich die Hochzeit, zu der Party wurde leider nur enge Familie geladen. Ich glaube, bei meiner ersten Hochzeit hätte ich es um einiges schlechter und vor allem eintöniger erwischen können. Die Feier war bunt, schrill und hatte doch etwas Edles an sich. Ich bewundere die vielen traditionellen Gesten, wobei ich die Mitgift eher fragwürdig finde. Sollte mich jemand aus Ruanda rein zufällig bei seiner Hochzeit dabei haben wollen – Murakoze, danke ich komme nur zu gerne! 
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Heiraten auf Ruandisch

Voll und bunt, mit lauter Musik und schrillen Tänzen, dazu wildes Geschrei - so hatte ich afrikanische Hochzeiten in Hollywood erlebt; so hatte ich sie mir vorgestellt. Erstaunlicherweise war das Hollywood-Klischee gar nicht so weit von der Realität entfernt wie gedacht, bloß das Geschrei ist eher Phantasie. Mein jetziger Chef hatte mich auf eine familiäre Hochzeit eingeladen. Tatsächlich war das der erste Hochzeitsbesuch, an den ich mich bewusst erinnern kann.

Obwohl wir gemäß „Rwandan-Time“ nicht ganz pünktlich kamen, waren wir einer der ersten Gäste im Saal. Und obwohl der erste Teil der Feier nicht kirchlich war, fand die traditionelle Zeremonie in der Kirche statt. Viele Ruander feiern ihre Hochzeit so: erst traditionell, dann kirchlich. Später die Party.
Schillerndes Haus, schillernde Hochzeit.
Schillerndes Haus, schillernde Hochzeit.   Bild: Mark Belkin
In der Einfahrt zum Hof konnte man recht zügig das Auto des Brautpaares ausfindig machen: Ein auffälliger roter Toyota-Prado-Geländewagen stahl allen anderen Autos die Show. Wobei der restliche Fuhrpark auch nicht zu unterschätzen war. Bei Autos, so habe ich das Gefühl, gilt in Ruanda oft das Motto: „Geländewagen oder nichts“. Nur die älteren Toyota-Klassiker „Corolla“, Kultautos in Ruanda, lassen sich häufiger ausfindig machen.
Der Autotrend in Ruanda tendiert zu groß und noch größer.
Der Autotrend in Ruanda tendiert zu groß und noch größer.   Bild: Mark Belkin
Als wir den Saal betraten, blickte uns ein Meer an Plastikstühlen an. Diese waren klar angeordnet: links die Familie der Braut, rechts die des Bräutigams und hinten Freunde, Bekannte und ich, der recht zufällig mit von der Partie war. Der Auftakt zur Feier war die Rede eines mittelalten Herren. Eine sehr lange Rede. Interessanterweise sprach der Redner genau so lange, bis alle Gäste mit Getränken versorgt waren. Entweder Zufall oder der Herr ist Improvisationsgenie. Die Auswahl an Getränken war klassisch ruandisch: Entweder „Fanta“ oder Bier. Wobei Fanta hier im Land nicht gleich Fanta ist, deshalb auch die Anführungszeichen. In Ruanda hat sich erstaunlicherweise die Tochtermarke der Coca Cola Company in die ruandische Kultur eingebürgert: Egal ob man Sprite, Cola oder Tonic bestellt, es sind hier alles verschiedene Arten von „Fanta“. Während ich also Sprite-Fanta schlürfte, begann die eigentliche Zeremonie.
Die Plastikstühle füllen sich langsam mit Gästen.
Die Plastikstühle füllen sich langsam mit Gästen.   Bild: Mark Belkin
Zuerst kamen der Bräutigam und seine Brüder hereinstolziert. Die Männer trugen traditionelle Gewänder, die aus einem weißen Overall und einem edlen Stück umgebundenes Kitenge bestanden. Jenes Kitenge ist ein afrikanischer Typ Stoff, der besonders in Ost- und Zentralafrika verbreitet ist und für gewöhnlich von Frauen getragen wird. Die Braut machte einen mindestens ebenso edlen Eindruck: Sie trug ein rotes Kleid, darüber zierte sie ein großes Stück Stoff in Beige, das mit Pailletten und Mustern besetzt war. Besonders markant war ihr Kopfschmuck, der mich etwas an das alte Ägypten erinnerte. Der Bräutigam machte einen sehr selbstsicheren Eindruck, als er durch die Menge schritt. Die Braut wirkte etwas schüchtern, aber auch froh. Das Ehepaar ist sehr jung, beide sind 19. In Ruanda darf amtlich erst ab 21 geheiratet werden, wahrscheinlich holt das junge Paar diesen Part noch nach.
Junges Ehepaar in schicken, traditionellen Gewändern.
Junges Ehepaar in schicken, traditionellen Gewändern.   Bild: Mark Belkin
Ich habe viel über diese beeindruckende Zeremonie zu erzählen und werde im nächsten Beitrag mitunter darüber schreiben, wie das „Muh“ einer Kuh in eine ruandische Hochzeit passt. Bleiben Sie bitte dran!
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

We are the runners!

Das Fitnessstudio ist ein einsamer Ort. Mit Sportkopfhörern im Ohr konzentriert man sich auf sich selbst. Die Gedanken kreisen darum, was man im Moment drückt, zieht, oder wie man sich bewegt. Wobei ich eben jene Selbstbezogenheit recht wohltuend finde. Sie hilft, vom Trubel um sich herum abzuschalten. Das absolute Gegenteil erlebte ich beim morgendlichen Gemeinschaftssport in Ruanda, dem sogenannten „Mass-Sport“. Wie der Name schon sagt, wird dabei mit einer großen Gruppe einige Stunden lang Sport getrieben.
Kollektives Stretching am Morgen.
Kollektives Stretching am Morgen.   Bild: Privat
Der Trend ist dem „Car Free Day“ aus Kigali entsprungen. Zweimal im Monat verwandeln sich dabei Teile der Hauptstadt in Laufstrecken und Fahrradwege. Auch Mr. Kagame nimmt mit seiner Ehefrau demonstrativ an dem Event teil. Aufnahmen davon sind auf YouTube zu sehen. Diese erscheinen mir eher absurd, da der Staatschef mehr Hände schüttelt und in die Kamera winkt, als Sport zu machen – trotz Jogginghose und Basecap. Der ruandischen Presse scheint dies jedenfalls mehrere Artikel wert zu sein. Vielleicht auch gar nicht so abwegig: Wer würde nicht berichten, wenn sich Frau Merkel statt im Hosenanzug in Adidas-Klamotten ablichten lassen würde?!

Auch das Sportevent in meinem ländlichen Sektor ist prominent besetzt. Zu der gemächlich sprintenden Menge gesellt sich auch die Vorsitzende des Distriktes in Sportklamotten. Auch ich stoß früh am Morgen zu den Sprintern dazu. Die Gruppe war sehr heterogen: Einige waren in ihren Zwanzigern, einige über Vierzig, manche trugen volle Sportmontur, manche Flipflops, andere ein Hemd. Eines hatten sie gemein: eine ungebremste Motivation. Während ich mich um sechs Uhr in der Früh gedanklich noch im Bett wälzte, sangen alle Teilnehmer fröhliche Marschlieder. Dabei wurde entweder auf Englisch oder Kinyarwanda hochgezählt oder es wurden Motivationssprüche gebrüllt.
Auch in Marks Dorf haben die Jogger auf der Straße Vorrang.
Auch in Marks Dorf haben die Jogger auf der Straße Vorrang.   Bild: Mark Belkin
Wir kamen nach einer halben Stunde am Sector-Office an. Dort gab es eine angeleitete Streching-Runde, bei der ich nicht der einzige war, der an seine Schmerzgrenze stieß.
Im Anschluss ging es weiter mit Joggen auf der Hauptstraße, wo die Gruppe von zwei Polizisten geschützt wurde, die einen Fahrtstreifen blockierten. Der eskortierte Lauf fand an einem Fußballfeld ein Ende. Dort ging es mit einigen Fitnessübungen weiter und später mit Elfmeterschießen. Fast jeder wagte sich an den Ball; auch die etwas weniger sportliche Sektor-Vorsitzende schoss aufs Tor. Bei dem etwas misslungenen Versuch mussten alle ein wenig lachen, klatschten der Dame aber auch zu und gratulierten ihr.
Fußball mit Kids und lokalen Beamten.
Fußball mit Kids und lokalen Beamten.   Bild: Privat
Erstaunt hat mich besonders der Abschluss des Events: In einem leerstehenden Raum wurden mit allen Teilnehmern Gesundheits-Checks durchgeführt. Die Leute stellten sich stolz auf eine Waage, ließen sich ihren Blutdruck messen und die Werte eintragen. Inmitten der Masse saßen zwei Damen mit Laborkitteln an einem Tisch, auf dem sich verpackte Nadeln und Blutproben befanden. Tatsächlich konnte man sich dort auf HIV testen lassen. Einige nahmen den Dienst in Anspruch und ließen sich ohne zu zögern inmitten ihrer Nachbarn Blut abnehmen.
Anstehen, sich wiegen, Blutdruck messen und eventuell HIV-Check durchführen lassen.
Anstehen, sich wiegen, Blutdruck messen und eventuell HIV-Check durchführen lassen.   Bild: Mark Belkin
Ich genoss den Mass-Sport. Manchmal ist es schön, zu dröhnendem Hip-Hop Gewichte zu bewegen. Manchmal ist es aber auch schön, mit einer Menge im Gleichschritt singend über die Hauptstraße zu laufen. Mass-Sport schweißt zusammen, fordert heraus und macht gesund.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Agahozo-Shalom – wo Herzen geheilt werden

Die Startseite des Agahozo-Shalom Youth Village sieht genau so aus, wie man sich die Website eines Kinderdorfes in Afrika vorstellen würde: Der Motivationsspruch „It takes a village to transform a child“ prangert über Bildern lächelnder Kinder. Mein erster Gedanke: wie kitschig. Dann wurde mir jedoch der Hintergrund dieser grinsenden Kids bewusst. Sie sind Halbweisen, Waisen und Überlebende des Genozids. Sie mussten sich durch ihre Kindheit kämpfen, meist schwer traumatisiert. 75% von ihnen haben ihren Vater verloren. 15% waren so arm, dass sie zu Hause nur eine Mahlzeit am Tag bekamen. Wer, wenn nicht diese Kids, hat es verdient, zu lachen.

Sie hatten Glück: Der Staat fertigt jährlich Listen von Kindern aus jedem Distrikt an, die von Armut betroffen sind. Die ausgewählten Kinder durchlaufen anschließend noch einen Begabungstest. 125 von ihnen werden schlussendlich im Agahozo-Shalom Youth Village aufgenommen. Im Dorf angekommen bekommen sie das, was den meisten Ankömmlingen zuvor bitter fehlte: Ein Zuhause, gute Bildung und vor allem eine Familie.
Letzteres ist dabei wörtlich zu nehmen – die Neuankömmlinge bekommen eine Mutter, Geschwister, Cousinen, Cousins, Onkel und Tanten zu Seite gestellt. Die Mama ist eine Erzieherin, die großen Geschwister Vertrauenslehrer, Cousinen und Cousins sind ausländische Freiwillige und die restlichen Mitarbeiter schlüpfen in die Rolle von Onkel und Tante.

Auch die Unterkünfte sind besonders. Man schläft nicht, wie in einem Internat, in einem großen Gebäude neben der Schule, sondern in einer abgelegen Ansammlung kleinerer Häuser. In einem Haus wohnen etwa 20 Schüler bzw. Dorfbewohner und teilen sich verschiedene Pflichten: Die eine erledigt anstehende Bürokratie, der andere ist für erste Hilfe verantwortlich und wiederum eine andere leitet das Gebet an. Im Dorf ist man zu Hause; im Dorf lebt man mit der Familie.
Malerisches Jugenddorf.
Malerisches Jugenddorf.   Bild: Mark Belkin
Diese strikte räumliche und psychologische Trennung von Schule und Wohnort wurde sehr bewusst entschieden. Man soll sich wie ein gewöhnlicher junger Dorfbewohner fühlen, mit eigenem Zuhause, der Verantwortung für sein Haus und natürlich auch einem Schulweg.
Ich lief diesen entlang und staunte über riesige Gewächshäuser, Plantagen und Gehege. Auf dem Schulgelände werden 70% der Nahrung für die 525 Schülerinnen und Schüler angebaut. Ein Teil wird verkauft.
Gewächshäuser und Motivationssprüche.
Gewächshäuser und Motivationssprüche.   Bild: Mark Belkin
Die enge Community in Kombination mit Landwirtschaft erinnerte mich an ein klassisches Kibbutz aus Israel. Die Dorfbewohner dürfen ihren Häusern einen Namen geben, neben Martin Luther King und Ghandi ist auch eine der größten Figuren des Zionismus vertreten: David Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident Israels.
Dorfgründerin und Schüler vor dem David Ben-Gurion Haus.
Dorfgründerin und Schüler vor dem David Ben-Gurion Haus.   Bild: Agahozo-Shalom Youth Village
Ansonsten spielt das Land kaum eine Rolle im Jugenddorf, aber dafür die dort verbreitete Philosophie „Tikkun Olam“ (Heile die Welt) und im Fall des Jugenddorfes „Tikkun Halev“ (Heile das Herz). Die Philosophie wird durch ein Team von Sozialarbeitern und Psychologen umgesetzt, die die Jugendlichen rundum betreuen und wöchentlich zu Treffen einladen. Die Betreuung ist grundlegend, um den Jugendlichen zu helfen, die heftigen Ereignisse aus ihrer Kindheit zu verarbeiten.  
Zur Normalität gehört auch ein Schulalltag. Dieser unterscheidet sich jedoch grundlegend von dem an der Schule in meinem Dorf. Die Lehrer vom Jugenddorf verstehen mich, wenn ich sie auf Englisch anspreche, die Klassenzimmer sind hell und geräumig. Zusätzlich gibt es ein immens wichtiges Angebot im Jugenddorf: Karriereberatung. Es liegen Flyer verschiedener Universitäten verteilt, es gibt Angebote für Praktika und Stipendien.
Stipendien und Praktika — die Schüler sind gut für die Zukunft gewappnet.
Stipendien und Praktika — die Schüler sind gut für die Zukunft gewappnet.   Bild: Mark Belkin
Ich wurde etwas traurig, als ich in der Schule im Dorf Kora, an der ich selbst unterrichte, die Schüler nach ihren Zukunftsplänen befragte. Die Antwort war überwiegend: Bauer. Es mangelt an Motivation, aber vor allem an Information über verschiedene Berufschancen.
Auch spannend: Es gibt beim Shalom Jugenddorf ein Chemielabor und sogar eine Mechanikwerkstatt. Eine Lehrerin wollte mir ein Projekt eines Jugendlichen vorstellen und bat mich, mich unter einen Holzbalken zu stellen. Ich folgte der Anweisung und war ziemlich begeistert, als mir nach einer halben Sekunde auf einem kleinen Bildschirm meine Körpergröße angezeigt wurde.
Ein Augenblick und man erfährt seine Körpergröße.
Ein Augenblick und man erfährt seine Körpergröße.   Bild: Mark Belkin
Keine Frage - zum Ende der Führung war ich erstaunt vom Jugenddorf. Auch als Besucher fühlt man sich sehr wohl. Die Wohnhäuser und die gepflegte Natur erzeugen eine sehr gelassene Atmosphäre. Besonders aber ermöglicht das Dorf einen wunderbaren Wandel für dessen Bewohner. Dieser kann in Zahlen ausgedrückt werden: Die Anzahl an Schülern, die an Angstzuständen leiden, ist in den letzten vier Jahren um 79% gesunken. Darüber hinaus sind die Schüler gut für die Zukunft gewappnet: 61% von ihnen bekommen ein Stipendium und viele studieren im Ausland. Einige hat es auch zu uns nach Deutschland verschlagen. Wer weiß, vielleicht begegnet man sich mal im Hörsaal und plaudert über Ruanda und das Leben.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Agahozo Shalom – zwischen Israel und Ruanda

Der Genozid ließ eine Million Tote, 1,2 Millionen Waisen und eine zertrümmertes Land hinter sich. Die Opfer wurden beerdigt, das Land stetig wiederaufgebaut, die meisten Waisen jedoch ihrem Schicksal überlassen - darunter überwiegend Kinder. Einige schafften es aus eigener Kraft wieder auf die Beine, darunter der Protagonist meiner vorherigen Artikel: Radsportler Gasore. Andere blieben auf der Straße. Viele kamen in Waisenhäuser, die nach dem Genozid massenhaft errichtet wurden. Die Einrichtungen waren restlos überfüllt und konnten höchstens einen Unterschlupf und eine Mahlzeit bieten. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus, um die vielen traumatisierten Kinder zu erziehen. Ihre Lage war in Ruanda besonders drastisch: Etwa 70% der Kinder hatten einen Mord mit angesehen, so eine UNICEF Studie. Solch ein Ereignis hinterlässt bei jedem Menschen eine Narbe, besonders aber bei Kindern, die noch dazu keinen Trost in den Armen ihrer Eltern finden konnten.

Die Kinder wachsen auf, die Narben bleiben. Alkoholismus, Motivationslosigkeit und Depressionen sind oft die Folgen. Sie brauchen jemanden, der sie aus diesem dunklen Loch heraus ziehen kann. Sie brauchen eine Familie, eine Perspektive.
Ausgerechnet eine jüdische Anwältin aus den USA schaffte es, den Kindern und Jugendlichen beides zu geben und ein vorbildliches Projekt zu schaffen: Das Agahozo Shalom Youth Village.
Erste Absolventen des Jugenddorfes und Gründerin mit Präsident Kagame.
Erste Absolventen des Jugenddorfes und Gründerin mit Präsident Kagame.   Bild: Agahozo-Shalom Youth Village
Anne Heyman heißt die Frau der Stunde. Die gebürtige Südafrikanerin nahm sich bei der Schaffung des Kinderdorfes ein naheliegendes Projekt zum Vorbild:  das israelische Kinderdorf Yemin Orde. Das 1953 gegründete Dorf sollte ein neues Zuhause für die Flüchtlinge und die vielen Waisen des Holocaust sein.
Die beiden Kinderdörfer teilen sich ihre Ziele: Die Wunden aus vergangener Zeit zu heilen und Hoffnung für die Zukunft zu machen. Dafür steht auch das jüdische Leitbild des Dorfes, Tikkun Olam – heile (wörtlich repariere) die Welt. Auch der Name des Dorfes steht für diese Philosophie ein: Der Kinyarwanda Begriff „Agahozo“ bedeutet "getrocknete Tränen" und Shalom bekannterweise "Frieden" auf Hebräisch.
Ethiopische Hütte in israelischem Yemin Orde — das Kinderdorf beherbergt auch Ethiopische Flüchtlinge.
Ethiopische Hütte in israelischem Yemin Orde — das Kinderdorf beherbergt auch Ethiopische Flüchtlinge.   Bild: Friends of Yemin Orde
Ich erfuhr von dem Jugendorf als es für den International Mitzvah Day nominiert wurde. An diesem Tag werden weltweit jüdische Projekte ausgezeichnet, die sich in herausragenderweise für Bedürftige einsetzen. Das Jugenddorf ist eines davon.
Die Organisatoren laden regelmäßig Interessierte ein, um Führungen durch das 144 Hektar große Stück Land zu machen. Auch ich nahm daran teil und machte mich über eine staubige Schotterpiste auf den Weg zum Kinderdorf. Empfangen wurde ich unerwartet von einer jungen Britin, die auch als Freiwillige in Ruanda arbeitet. Durch das blaue Eingangstor getreten, staunte ich nicht schlecht über die malerische Landschaft.
Oase in Form eines Jugenddorfes verbirgt sich hinter dem Eingangstor.
Oase in Form eines Jugenddorfes verbirgt sich hinter dem Eingangstor.   Bild: Agahozo-Shalom Youth Village
Mitten in der Steppe wuchsen saftig-grünes Gras, eine Allee aus kerzengeraden Bäumen und ordentlich gestutzte Hecken. Diese pittoreske Landschaft allein ist jedoch nicht der Hauptgrund, warum das Dorf ein Paradies für dessen Bewohner darstellt. In meinem nächsten Beitrag werde ich vom Leben im Dorf und vom besonderen Konzept erzählen, durch das die Bewohner ihre Jugend wie kaum woanders genießen können.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Zeit ist relativ, besonders in Ruanda

Die Deutschen haben ja bekanntlich ein besonderes Verhältnis zur Zeit. Nach Bier und Lederhosen ist unsere Pünktlichkeit wohl das bekannteste aller Klischees.
Stimmt es nach meiner Erfahrung? ....jein. Im Beruf mag Pünktlichkeit das Nonplusultra aller Tugenden sein. Privat habe ich aber schon ganz andere Erfahrungen gemacht, ganz zu schweigen von der manifestierten, rollenden Unpünktlichkeit auf Schienen.

Über afrikanisches Zeitverständnis hatte ich immer gegensätzlich vom deutschen Klischee gedacht. Locker, lässig, entspannt – „easy going“ eben. Trifft das auf meine Erfahrungen in Ruanda zu? ...jein zum Zweiten, aber mit einer Tendenz zum Ja.

Um die Einstellung gegenüber der tickenden Uhr zu veranschaulichen, würde ich tatsächlich tief in die Afrika-Klischeekiste greifen: „Hakuna Matata“ - keine Sorgen auf Kiswahili, einer weit verbreiteten Sprache in Ostafrika. In der Regel kennt man die Phrase aus Disneys „König der Löwen“. Die Ursprünge liegen jedoch weit weg von Disney. Der wohlklingende Spruch kommt aus der afrikanischen Ubuntu-Philosophie. Ubuntu steht im übertragenen Sinne für Menschlichkeit. Gemeinschaft und ein Füreinander-da-Sein sind Kern der Philosophie.
Tea is ok - so lang man sich genug Zeit dafür lässt.
Tea is ok - so lang man sich genug Zeit dafür lässt.   Bild: Mark Belkin
Inwieweit beschreiben nun Hakuna Matata und die Ubuntu-Philosophie das ruandische Verhältnis zur Zeit? Ein Beispiel aus meinem Alltag: Ich wollte mich über einen Tarif bei einem Mobilfunkanbieter erkundigen. Ich sprach mit einer netten Dame am Telefon. Leider konnte sie mein Problem nicht lösen und wollte mich weiterleiten. Ich war etwas überrascht, als sie nicht auflegte. Stattdessen begann sie mit Smalltalk und erzählte mir, wie schön es wäre, wenn ich ihr Land besuchen würde. Zwischendurch hat sie mir immer wieder versichert, dass ich gleich weitergeleitet werde – was dann nach 15 Minuten auch passiert ist. Etwas langwierig, aber dafür sehr menschlich: sehr Ubuntu.
Ein ähnliche Situation hatte ich bei einer Lehrerfortbildung. Mit ordentlicher Verspätung kam ich mit Kollegen bei der Veranstaltung an, wir hatten jedoch nicht viel verpasst. Die Gastredner stellten sich erst einmal jedem der etwa 150 Besuchern vor und führten auch mit mir netten Smalltalk.

Unterm Strich: Es ist nicht so, dass Pünktlichkeit keine Rolle spielt, die „deutsche“ Tugend hat hier einfach keine Priorität. Es ist viel wichtiger, ein Gespräch freundlich zu beenden, als pünktlich an seinem Ziel anzukommen. Termine verschieben ist hier Norm, es klappt eben, wenn es klappt. Abfahrtszeiten für Busse gibt es nicht, der Bus fährt los wenn er voll ist. Man kommt schon irgendwann an. Ich komme mit dieser Mentalität meistens ganz gut klar, jedoch wird es manchmal frustrierend. Oft kann man nur eine begrenzte Anzahl an Aktivitäten an einem Tag planen, da meistens nicht alles zustande kommt. Es ist manchmal schwer, jemanden von der Bedeutsamkeit eines Termins zu überzeugen. Auch in der Geschäftswelt spielt Pünktlichkeit teils eine untergeordnete Rolle. Manchmal steht man vor verschlossenen Türen, wenn man zur Öffnungszeit kommt.

Ich brauche oft viel Geduld und muss meine Emotionen im Griff halten, wenn jemand zu mir meint, er sei zu spät gekommen, weil er noch mit der Nachbarin gequatscht hat. Dafür werde ich aber auch nicht schief angeschaut und ausgefragt, wenn ich selbst mal zu spät erscheine.
Nett Plaudern gehört zur Dorfkultur - man hat es selten eilig.
Nett Plaudern gehört zur Dorfkultur - man hat es selten eilig.   Bild: Mark Belkin
Ich mag diese lockere menschliche Umgangsform. Jedoch wäre es ab und zu schön, wenn sich die Nachbarin bei wichtigen Terminen mit einem schnellen Gruß abfinden könnte und „Ubuntu“ etwas in den Hintergrund rücken würde.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Eine Kuh als Sozialhilfe

Kühe zu besitzen ist in Ruanda ein Privileg und gilt als Statussymbol. Wer eine Kuh besitzt, hat es aus der Armut geschafft. Nicht umsonst kann man hier bei Gewinnspielen eines Mobilfunkanbieters solch ein Tier gewinnen. (Ich habe aus Neugier mitgemacht und wer weiß - vielleicht bekomme ich bald ein neues Haustier.)

Es gibt Dörfer, in denen jeder Bewohner glücklicher Besitzer einer Kuh ist. Doch diese Menschen hatten weder genug Geld, um sich diese zu kaufen, noch hatten sie Glück beim Gewinnspiel. Die Kühe wurden von der Regierung bezahlt. Sie sind Teil eines staatlichen Vorzeigeprojektes: den sogenannten Modell-Villages.
Staatlich gesponserte Kühe.
Staatlich gesponserte Kühe.   Bild: Mark Belkin
Diese Dörfer werden momentan in jedem Distrikt des Landes geplant und gebaut, inklusive Infrastruktur, Häusern, Plantagen und Straßen. Ich besuchte eines dieser Dörfer. Aus der Ferne sahen die Fassaden der Häuser aus, als wären sie auf eine Plane aufgedruckt. Solche identischen Reihenhäuser konnte ich mir mitten im Nirgendwo nicht wirklich vorstellen.
Reihenhäuer mitten im Nirgendwo.
Reihenhäuer mitten im Nirgendwo.   Bild: Mark Belkin
Lange Zeit gab es in Ruanda nur wenige Dörfer wie man sie bei uns kennt - mit Zentrum, Hauptstraße und eigenem Namen. Oft lebten und leben die Menschen verstreut und kilometerweit zum nächsten Haus entfernt. Seit einer Weile entstehen entlang der Hauptstraßen viele zentrierte Dörfer und auch abseits bilden sich kleine Zentren, wo sich immer mehr Menschen ansiedeln.

Diesen Trend will die Regierung mit den Modell-Villages verstärken. Dabei ziehen keine Wohlhabenden in den soliden Neubauten ein, sondern die Ärmsten der Armen. Es werden regelmäßig Listen mit besonders gefährdeten Personen erstellt, die die Häuser kostenlos bewohnen dürfen. Sie leben meist in von Erdrutschen gefährdeten Gebieten und müssen zudem oft alleine viele hungrige Münder stopfen.

Beides trifft auf Clementine zu. Die junge Kongolesin hatte ihren Ehemann verloren und ist nach Ruanda geflohen. Das Leben nach der Flucht war hart und sie hatte oft Probleme, Essen für ihre sechs Kinder zu bezahlen. Clementine war sehr offen und zeigte uns ihr Haus.
„Today, I have no problems at all!“, übersetzte mir mein Begleiter Clementines Kinyarwanda. Das hörte sich für mich etwas übertrieben an. Meinem Gefühl nach kommt das Schwärmen über die neuen Lebensumstände nur zustande, weil regelmäßig Regierungsbeamte vorbeischauen und die Bewohner dazu bringen, besonders positiv über das Regierungsgeschenk zu reden.
Biogasanlage — die Kuh hilft beim Kochen.
Biogasanlage — die Kuh hilft beim Kochen.   Bild: Mark Belkin
Gewiss aber ist, dass es Clementine heute deutlich besser geht als zuvor. Sie hat fließend Wasser, eine Kuh und einen großen Garten. Gekocht wird meistens mit Biogas, das aus dem Kuhdung gewonnen wird. Vor der Tür hat sie ein modernes Krankenhaus, das 2017 für sieben Millionen Dollar gebaut und von seiner Exzellenz Kagame eingeweiht wurde. Zuvor gab es nur ein Gesundheitszentrum auf einem Hügel, den Schwerkranke erst erklimmen mussten.
Großes neues Krankenhaus für die Dorfbewohner.
Großes neues Krankenhaus für die Dorfbewohner.   Bild: Mark Belkin
Was ich mich bei all dem frage ist, ob es denn keinen sozialen Neid gibt. Sozialwohnungen stehen ja meist, jedenfalls in Berlin, in unbeliebten Gegenden und sind wenig beneidenswert ausgestattet. Hier in Ruanda können sich aber auch Mittelverdiener oft kein größeres Haus mit fließend Wasser leisten. Die Ärmsten der Armen bekommen es jedoch gratis. Aber vielleicht geht es auch nur mir so mit dem Neidgedanken. Vielleicht projiziere ich nur meine Vorstellungen aus unserer „Neidgesellschaft“ auf die lokale Dorfgemeinschaft.

Ein definitives Problem beim Bau dieser Dörfer ist Landverfügbarkeit. Ruanda ist das am zweitdichtesten besiedelte Land Afrikas und dazu noch extrem hügelig. Eine Lehrerin aus der Schule hier erzählte mir, dass sie zwangsweise vor dem Bau des neuen Dorfes umziehen musste und dabei nur wenig Unterstützung bekam. Sie ist nicht die einzige Betroffene. Auch in meinem Dorf müssen viele Häuser neuen Projekten weichen und werden dabei mit einem großen X markiert.
Mit X markiert und abrissbereit.
Mit X markiert und abrissbereit.   Bild: Mark Belkin
Die Modell-Villages sind jedenfalls in vieler Hinsicht beeindruckend und könnten viele Ruander aus dem Elend ziehen. Hoffentlich verdrängen sie dabei aber nicht auch gleichviele Menschen aus ihrem Zuhause.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Arsenal und der Berggipfel

Wie würden Sie sich in Deutschland auf eine Bergbesteigung vorbereiten?
...mit guten Schuhen, ausreichend Proviant und einer Karte oder technischer Abhilfe steht dem Erklimmen des Berges nichts mehr im Weg.

Hier in Ruanda sieht es etwas anders aus. Die größten Gipfel und beliebtesten Wanderungen können nur professionell organisiert und durchgeführt werden. Zu Beginn bucht man sich eine Erlaubnis, um die Wanderung überhaupt durchführen zu können. Dies kann online über die staatliche Dienstleistungsplattform „Irembo“ erledigt werden. Der Name bedeutet auf Kinyarwanda grob übersetzt „Tür“ und soll Zugang zu einfachen staatlichen Dienstleistungen wie Geburts- oder Heiratsurkunden bieten. Das System ist modern und übersichtlich, streikt jedoch gerne.

Irembo wird vom „Rwanda Development Board“ (RDB) angeboten, einer großen staatlichen Institution, die 2009 aus kleineren Finanz- und Tourismusbehörden fusioniert wurde. Letztes Jahr stand das RDB unter schwerer Kritik, nachdem die Behörde mehrere Millionen in den FC Arsenal investierte, um Werbung für Tourismus in Ruanda zu machen. Irgendwo ist die Maßnahme für mich sinnvoll, da das Land touristisch einiges zu bieten hat und daraus hohe Einnahmen generiert. Andererseits frage ich mich, ob es zum einen nicht doch eine effizientere Methode für Werbung gebe als ein Logo auf einem T-Shirt und zum anderen nicht besser die Attraktionen selbst mit dem Geld aufgewertet werden könnten.
Wahrscheinlich kein Original und auch ohne Ruanda-Werbung, aber dafür originell mit Kreuz.
Wahrscheinlich kein Original und auch ohne Ruanda-Werbung, aber dafür originell mit Kreuz.   Bild: Mark Belkin
Die Preise für jene Attraktionen sind durchaus stattlich, variieren jedoch stark nach dem Status der Touristen: Ausländer zahlen im Gegensatz zu den ruandischen Bürgern ca. dreizehnmal so viel. Auch Personen mit Aufenthaltsgenehmigung wie ich oder Bürger eines ostafrikanischen Staates zahlen weniger. Eine sehr demokratische Maßnahme, wie ich finde, die es vielen Ruandern überhaupt erst finanziell erlaubt, ihr eigenes Land zu erkunden. Ich habe bislang aber leider noch keinen Ruander kennengelernt, der dies in Anspruch nimmt. Es ist verständlich, dass man sich lieber mal etwas Besonderes zu essen kauft oder mit Freunden und Familie mal etwas trinken geht, als einen Berg hoch zu laufen.
Gorilla-Trekking bleibt übrigens für alle gleich teuer und kostet 1500 USD.
Vor dem Gorilla-Trekking noch schnell einen Luxuskaffee im Camp.
Vor dem Gorilla-Trekking noch schnell einen Luxuskaffee im Camp.   Bild: Felix Benjamin
Alle Bergwanderungen beginnen im Volcano Mountain Base-Camp. Dort tummeln sich gefühlt 95% weiße Touristen. Diese sind oft in voller Trekking-Montur mit Safarihut, Wandergamaschen und Jack-Wolfskin Jacken bewaffnet und sehen dabei ein wenig so aus, als ob sie gleich als Pioniere den Urwald erkunden würden. Entsprechend professionell sieht auch das ganze Camp aus. Im zentralen Pavillon gibt es kostenlosen Kaffee, der aus einer Maschine kommt, die wahrscheinlich mehr kostet als mein Haus auf dem Dorf. An der Wand steht ein Flachbildschirm, von dem aus Videos vom Gorilla-Trekking, mit dramatischer Musik unterlegt, gezeigt werden. Die Szenen sind in etwa so, wie man sich Afrika als nichtsahnender Tourist vorstellt: Unendliche exotische Wälder, große Wasserfälle und epische Sonnenaufgänge – ein wenig wie im Film "König der Löwen".

Nach dem Genuss von lokalem Luxuskaffee wird man mit dem Guide bekannt gemacht, der einem kurz den Aufstieg schildert. Mit ihm setzt man sich dann in einen großen Safari-Jeep - oder wie in unserem Fall in die Economy Class der Fahrzeuge, einem klassisch ruandischen Kleinbus mit Fahrer - und begibt sich Richtung Berg.
Süßer Linienbus zwischen Riesen-Jeeps.
Süßer Linienbus zwischen Riesen-Jeeps.   Bild: Felix Benjamin
Von besonderen Momenten und Strapazen meines ersten Gipfels in Afrika werde ich in einem späteren Beitrag berichten. Die hohen Kosten war das Erlebnis jedenfalls wert. Sollte sich ein Arsenal-Fan zufällig doch nach Ruanda verirren, kann ich ihm / ihr und allen anderen die Wanderung nur ans Herz legen.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Radeln für die Zukunft

Fahrrad-Taxen sind eine gute Sache. Man kommt zwar nicht so schnell ans Ziel, aber dafür etwas entspannter, ruhiger und umweltfreundlicher als mit dem Motorrad-Taxi. Neulich hatte mich ein netter junger Mann auf seinem Rad mitgenommen und wir hatten eine ganz lustige Unterhaltung:
„Ahhh German is very good country!“, meinte er, als ich erklärte, woher ich komme. „Why do you think so?“, fragte ich ihn. „Because you are from German!“, erklärte er mir und brachte mich mit der netten Antwort zum Schmunzeln. Es war ein heißer Tag. Ich gab dem verschwitzten Fahrer ein paar Cent, nachdem wir angekommen waren, und verabschiedete mich.
Bunt angemalt und mit Polster auf dem Rücksitz werden Fahrräder zu Taxen.
Bunt angemalt und mit Polster auf dem Rücksitz werden Fahrräder zu Taxen.   Bild: Mark Belkin
Ich musste an Gasore denken und stellte ihn mir in der Position des jungen Fahrers vor. Neben seinem Ehrgeiz gehörte auch viel Glück dazu, damit er es zu Ruhm und Erfolg schaffen konnte. Im Land gibt es tausende junge Ruander, die mindestens genauso talentiert sind, aber nicht gefördert werden können und, wie damals auch Gasore, Lasten oder Personen hin und her fahren müssen.

Er hat den großen Sprung geschafft und es ziemlich weit gebracht. Zu seinen großen Erfolgen gehört der zweite Platz bei der Tour of Rwanda von der Hauptstadt Kigali nach Gisenyi, an der Grenze zur DR Kongo. Die Tour ist kein Klacks, es geht ununterbrochen hoch, runter oder um die Kurve. Es blieb jedoch nicht bei Ruanda: Gasore verschlug es in die ganze Welt. Seine Ehefrau ist stolz auf ihn, aber wenig begeistert von den ganzen Auslandsaufenthalten. Immer, wenn er verreist, meint sie: „When will you be back and don’t lie to me!“.
Auf dem eigenen Kontinent kam Gasore nach Kamerun, Südafrika und an die Elfenbeinküste. In Indien nahm er an den Commonwealth Games teil. Neben Mosambik ist Ruanda das einzige Mitglied des Commonwealth of Nations, ohne dabei historische Verbindungen zum Vereinigten Königreich zu haben. Indien hat ihn begeistert, das Verkehrschaos dort aber etwas überfordert.

Über seine Erfahrung in der Schweiz schwärmt er gerne und erzählt mir von Bircher Müsli im Alpenland. Zu seinen Schweizer Fahrradkollegen pflegte er ein gutes Verhältnis. Die meisten von ihnen konnten jedoch wenig mit seinem Heimatland anfangen. Manchmal begegnete er der Reaktion: „Rwanda...? Ah you mean Uganda, right?“.
Auch in den USA, in England und Brasilien stellte er sein Können unter Beweis. In Brasilien kam es zu einem Unfall, bei dem sein altes Rad zu Bruch ging. Der Amerikaner, mit dem er den Crash erlitt, schenkte ihm kurzerhand ein neues, mit dem er bis heute stolz fährt.
Mit dem Fahrrad als Entschädigung geht es von Ruanda um die Welt.
Mit dem Fahrrad als Entschädigung geht es von Ruanda um die Welt.   Bild: Mark Belkin
Sein großes Ziel bleibt jedoch die Tour de France. Mit glänzenden Augen erzählte er mir, wie er davon träume, einmal als Sieger der Tour auf den Titelblättern der Zeitungen zu stehen. Diesen Erfolg gönne ich ihm von Herzen, das Ziel entfernt sich jedoch immer weiter. Gasore ist heute 31 Jahre alt, ein Alter, in dem viele Radsportler ihre Sportkarriere beenden. Immer mehr Leute kommen zu ihm und meinen, er sei zu alt für den Sport. Konkurrenz gibt es bei der jungen Bevölkerung, in der sich viele aufs Rad setzen, um ihr täglich Brot zu verdienen, genug. Dazu meint er aber nur: „I love cycling! It changed my life, I won’t give up!“ Am liebsten würde er den Profisport für 50 Jahre betreiben – 25 Jahre wären aber auch schon nicht schlecht, sagt er und lacht.
Dieser Sieg war sicher nicht sein letzter.
Dieser Sieg war sicher nicht sein letzter.   Bild: Mark Belkin
In den vielen Jahren im Radbusiness hat Gasore sich eine größere Fanbase aufgebaut. Er hat das selbe Problem, das ich manchmal habe und wird oft drängend nach seiner Nummer gefragt. Er musste sie schon mehrfach wechseln, da einige ununterbrochen bei ihm anrufen. Viele kennen Gasore aber auch aus den Sportnachrichten im Radio. Schon oft kamen Leute auf ihn zu und trauten ihren Augen nicht: „Are you Gasore? No, no, no, I don’t believe it... Are you really Gasore?" Ich fragte ihn auch nach weiblichen Fans. "Nee", meinte er und errötete...

Viele halten ihn wegen seiner Erfolge für besonders wohlhabend. Mehrfach wurde bei ihm zu Hause eingebrochen. Dabei hat Gasore nicht einmal ein regelmäßiges Einkommen, er lebt von den Preisgewinnen. Damit hat er sich jedoch eine beachtliche Existenz aufgebaut. Ich habe ihn zu Hause besucht: Es ist gemütlich eingerichtet, die Wände sind blau gestrichen. An der Wand hängt ein Poster mit afrikanischen Anführern, Obama ist dabei besonders groß abgebildet. Es trägt die Inschrift „We Thank You Mr. President“. Er hat Strom, aber kein fließend Wasser. Aus einem großen Regal dröhnt der Fernseher, es läuft Paul Kagame. Seine Exzellenz Kagame traf Gasore einst bei einer Ehrung für ruandische Radsportler. Jedoch erinnert er sich an vieles von dem Event nicht mehr, da er damals schrecklich nervös war.
Daumen hoch für Mr. President.
Daumen hoch für Mr. President.   Bild: Mark Belkin
Trotz seinem ehrgeizigen Ziel, 50 Jahre lang Radsport betreiben zu können, macht er sich Gedanken über die Zukunft. Ein Coach für die nächste Generation will er später werden. Potentielle Schützlinge hat er jetzt schon genug. Junge Radsportbegeisterte kommen zu ihm und sagen ihm, dass sie später so werden wollen wie er. Gasore zeigt ihnen Tricks und gibt ihnen Tipps, wie sie es zum Erfolg schaffen können. Manchmal kauft er ihnen Bananen, damit sie nicht, wie er damals, hungrig trainieren müssen.

Die Neue Generation voller potentieller Radsportler braucht dringend jemanden wie Gasore, oder seinen ersten Coach Jonathan Boyer, der sein Talent entdeckte und förderte. Sie brauchen jemanden, zu dem sie aufschauen können. Jemanden, der ihnen Hoffnung gibt und sie in dem Ziel fördert, eines Tages, statt Kartoffeln zu schleppen, Pokale in der Hand halten zu können.
Gasore mag es vielleicht nicht mehr in die Tour de France schaffen. Dafür aber vielleicht eines der jungen Talente, die zu ihm aufschauen.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Eine zweite Familie

Gasore Hategeka liebt seinen Job. Als ich ihn fragte, warum er denn so gerne auf dem Fahrrad sitzt, konnte er gar nich mehr aufhören zu schwärmen. Er schaffte es, vieler meiner Fragen auf diesen Punkt zu führen. Mir als Küken im Interview-Business fiel es nicht leicht, das Gespräch wieder auf meine „trockenen“ Fragen nach Jahreszahlen und anderen Details zurück zu lenken.
Die Liebe für den Wind im Gesicht, die Leichtigkeit, die jubelnde Menge... diese Leidenschaft für die eigene Sache ist unverhandelbar, wenn man es zum Profisportler schaffen will. Dank dieser Leidenschaft ist Gasore erfolgreich – und dank Gott, meint er.
Religion spielt in seinem Leben eine Schlüsselrolle. Ich habe Gasore schon oft an einem Samstag auf den Gras-Terrassen der Adventistenkirche getroffen. Ein Interviewangebot am Samstag lehnte der gläubige Adventist ab, da Adventisten samstags ihren Ruhetag haben, den man mit Gott und der Familie verbringen soll. (Dies ist bei mir und meinem jüdischen Glauben eigentlich auch der Fall, aber ich beherzige das Gebot auf meine eigene Art und Weise.)

Gasore hat bei den Adventisten nicht nur zu seinem Glauben gefunden, sondern auch zu seiner Ehefrau. Die junge Marceline hatte genau wie Gasore ihre Eltern verloren und fand in der Kirche eine Familie. Sie sang im Chor und wurde bei einem der Gottesdienste vom damals schüchternen Gasore angesprochen. 2007 heirateten die beiden und haben heute drei junge Söhne.
Gasore und seine Familie.
Gasore und seine Familie.   Bild: Mark Belkin
Er verdankt der Kirche viel. Sein Pastor meinte einst zu ihm: „If you pray, you will win!“ Gasore betet vor jedem Rennen.
Sein ehemaliger Trainer Jonathan Boyer, für den Religion ebenfalls eine extreme Rolle spielt, ist eine der wichtigsten Personen in Gasores Leben. Die beiden liefen sich zufällig über den Weg und konnten unterschiedlicher kaum sein: Jonathan, oder auch „Jock“ genannt, ist ein Profiradfahrer und der erste Amerikaner, der an der Tour de France teilnahm und es bis auf Rang 12 schaffte. Wie auch Gasore ist Jonathan gläubiger Christ. Recht schnell stößt man bei Recherchen auf Jonathans Vergangenheit. 2002 wurde der Sportler wegen sexuellem Missbrauch verurteilt. Vielleicht war das einer der Gründe, warum er 2007 nach Ruanda umsiedelte, um hier den Profiradsport mit aufzubauen.
Als die beiden aufeinander trafen, war Gasore Anfang 20. Er begegnete Jonathan bei einem Rennen. Gasore nahm seinen Mut zusammen und fragte den Profi, ob er mit ihm trainieren könne. Zu seiner eigenen Verwunderung willigte Jonathan ein und nahm den jungen Gasore unter seine Fittiche, nachdem er sein Können unter Beweis gestellt hatte.
Gasore (rechts der zentralen Sonne), sein Trainer Jonathan und Präsident Kagame.
Gasore (rechts der zentralen Sonne), sein Trainer Jonathan und Präsident Kagame.   Bild: Unbekannt
Er bekam teure Radsportkleidung und sein erstes Fahrrad mit mehreren Gängen. Wenn er von dem Rad erzählt, grinst Gasore über das ganze Gesicht. Aber noch viel wichtiger war damals die Tatsache, dass er eine zweite Familie bekam: Jonathan wurde eine Art Vaterfigur für ihn und war oft sein einziger Ansprechpartner. Wenn der damals schüchterne Gasore Fortschritte machte, sagte sein Trainer oft: „You are my boy“.
Jonathan spricht ein wenig Kinyarwanda, was anscheinend ausreichte, um Gasore Selbstvertrauen zu geben und ihm in großen Teilen zu dem offenen Menschen zu machen, der er heute ist. Auch mit seinen Radsportkollegen, die eigentlich seine größten Konkurrenten sind, pflegt er gute Beziehungen.
Profiradler im Africa Rising Cycling Center.
Profiradler im Africa Rising Cycling Center.   Bild: Unbekannt
Sie alle trainieren im „Africa Rising Cycling Center“, das hauptsächlich von Jonathan initiiert wurde. Das große Gelände des Centers ist mit Hecken sichtgeschützt, nur ein kleines Schild mit buntem Fahrrad darauf deutet auf das Trainingslager hin. Dort trainieren und schlafen nicht nur ruandische Profis, sondern auch andere aus ganz Afrika, um Höhenerfahrung zu bekommen. Das Center liegt bei der Stadt Musanze, die sich auf etwa 1900 Höhenmetern befindet. Neben Techniktraining und Yoga werden die Profis auch in Englisch unterrichtet. Wie Gasore kommen viele aus einfachsten Verhältnissen und sind Analphabeten. Heute kann Gasore dank des Unterrichts im Center gutes Englisch sprechen und lesen, hat aber noch mit dem Schreiben seine Probleme.

Die Anfänge seiner Karriere waren nicht leicht. Der Druck, an seinem ersten Rennen erfolgreich sein zu müssen, war enorm. Ein regelmäßiges Gehalt hatte er damals nicht. Oft trainierte er bis zu 5 Stunden ohne etwas gegessen zu haben, da er sich nichts leisten konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gasore viel erreicht, besonders vor dem Hintergrund, dass er seine Karriere aus dem mit Nichts aufbauen musste. Vor ihm lag noch eine erfolgreiche, aber auch sehr harte Karriere.

Der finale Beitrag zu Gasores Geschichte erscheint in der nächsten Woche.
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Der siegreiche Kartoffelfahrer

Ich entschloss mich eines Tages, den Namen meines Dorfes zu googeln. Ich hatte nicht erwartet, viel zu finden. Es taucht nicht auf Google Maps auf und die Reaktion auf den Dorfnamen ist bei den meisten Ruandern nur verwundertes Kopfschütteln. Meine Erwartung konnte nicht weiter von der Realität entfernt liegen: Hier in Sashwara wohnt der zweifache Champion des Rwanda Cycling Cups, der einst mit dem ersten amerikanischen Tour de France Teilnehmer trainierte. Der Mann der Stunde heißt Gasore Hategeka. Wie sich herausstellte, ist er sogar mein Nachbar.
Ich entschloss mich für ein Gespräch mit Gasore - nicht sein erstes deutschsprachiges Interview: 2012 erschien seine Geschichte kurz in einem Text der NZZ.

Radsport ist in Ruanda eine große Sache. Das konnte ich hautnah miterleben. Als ich eines Morgens in die nächste Stadt fahren wollte, war die Hauptstraße blockiert. Offenbar bin ich mitten in den Rwanda Cycling Cup geplatzt. Ich wollte die Straße überqueren, dabei wies mich eine junge Polizistin höflich aber direkt mit einem Zollstock zurück. Ich hatte also keine Wahl, als mich an den Straßenrand zu stellen und das Spektakel zu beobachten. Ich stand nicht alleine da, das ganze Dorf hatte sich am Straßenrand versammelt.

Endlich bewegte sich etwas auf der Straße, es fuhr eine Kolonne großer schwarzer Vans mit getönten Scheiben und viel Polizei an dem Dorf vorbei. Ich dachte anfangs, der Präsident oder ein anderes hohes Tier würde vorbeifahren, dann kamen aber die Radrennfahrer in ihrer bunten, engen Montur vorbeigerast. Viele Zuschauer applaudierten und starrten gebannt auf das Rennen. Bei einer bestimmten Gruppe von Radlern wollte das Gejubel nicht abklingen: Ein Zuschauer erklärte mir, dass die meisten aus dieser Gruppe hier aus dem Dorf stammen – an der Spitze voran mein Nachbar Gasore.
Das gesamte Dorf hatte am selben Abend etwas zu feiern: Gasore Hategeka hatte das Rennen gewonnen. Er stand auf dem Siegertreppchen und wurde im Dorf wie ein Held empfangen.
Mein Nachbar, der Fahrrad-Champion.
Mein Nachbar, der Fahrrad-Champion.   Bild: Mark Belkin
Solche schillernden Momente hatte Gasore in seiner Jugend wenige. Erst verstarb seine Mutter als er noch ein Baby war. Nach dem Genozid wurde sein Vater ermordet. Zu seinem Bruder hatte er ein zerrüttetes Verhältnis und wurde von ihm oft geschlagen. Ihm blieb seine Schwester.
Schulbildung hatte er nur bis zur dritten Klasse und verließ die Schule als Analphabet. Um zu überleben, arbeitete er auf einem Acker und verdiente etwa 50 Cent am Tag - und ernährte damit seine Schwester mit und kaufte ihr Kleidung. Er selbst lief Monate in denselben, ungewaschenen Stofffetzen umher.

Seine Stimme wird ruhiger und bebt leicht, wenn er über diese Zeit redet. Man spürt aber auch, dass er seine Geschichte nicht zum ersten Mal erzählt. Er redet frei und detailreich über seine Jugend. Ich staunte etwas, als er lachend erzählte, wie er mehrere Jahre kein Mittagessen zu sich nahm. Vielleicht ist das seine Art, das Vergangene zu verarbeiten, oder vielleicht kommt ihm diese Situation heute so unvorstellbar vor.
Seine Kindheit war hart. Er wollte oft alles hinschmeißen und einfach zu seiner Mutter, die er nie wirklich kennenlernte. Letztendlich gab er jedoch nicht auf. Gasore schaffte es, seine Kraft zusammenzunehmen und mit 17 Jahren umgerechnet etwa 28 € zu sparen. Genug Geld, um sich ein brauchbares Fahrrad kaufen zu können.
Gasores erstes, hart verdientes Fahrrad.
Gasores erstes, hart verdientes Fahrrad.   Bild: Unbekannt
Damit konnte er als Transportfahrer Kartoffeln verkaufen. Diese Arbeit ist schweißtreibend und gefährlich. Ich sehe oft die jungen Fahrer, wie sie mit fünf Säcken Kartoffeln beladen einen Berg herunterrasen und sich die klapprigen Räder gefährlich weit in die Kurve neigen.
Die enorme Last macht den Job gefährlich.
Die enorme Last macht den Job gefährlich.   Bild: Bethany Bell
Zweimal musste ich kleinere Unfälle beobachten, bei denen die Fahrer wegen Überbeladung nicht bremsen konnten und samt Last umgefallen sind. Oft kommen sie kaum den Berg hoch und halten sich an LKWs fest, um die Steigung zu schaffen. Dabei geschehen wohl besonders häufig Unfälle. Auf den meisten Lastern befindet sich hinten ein Schild, das genau diese Praxis durchgestrichen abbildet.
Unvorstellbares wird oft auf einzelne Räder gehievt.
Unvorstellbares wird oft auf einzelne Räder gehievt.   Bild: Mark Belkin
Aber wieder zurück zu Gasore: Als junger Mann hatte er drei Traumberufe. Einmal wollte er Boxer werden. Er bewunderte die mutigen Kämpfer im Fernsehen und wollte sich zu verteidigen wissen. Dann hat er noch mit dem Gedanken gespielt, Läufer zu werden.
Sein dritter und größter Traum: Radrennfahrer, wie er mir mit einem stolzen Klopfen auf die Brust erzählt. Dazu im nächsten Beitrag mehr.
Vielleicht Boxer oder Läufer. Am Ende doch Radler, wie man am Outfit merkt.
Vielleicht Boxer oder Läufer. Am Ende doch Radler, wie man am Outfit merkt.   Bild: Mark Belkin
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Unterhaltung muss sein

Die Deutschen lieben Fernsehen. 95% der Bundesbürger schauen mindestens einmal pro Woche Fern. Statt mit "Traumschiff", "Sturm der Liebe" und Co. verbringt meine Generation ihre Freizeit eher im Internet. Das neue Medium kann der Flimmerkiste dennoch nicht das Wasser reichen und landet nur auf Platz fünf der beliebtesten Freizeitaktivitäten der Deutschen. Das Radio hält sich mit 90% wöchentlichen Hörern wacker auf Platz zwei.

Was Medienkonsum in Ruanda angeht, konnte ich einige Beobachtungen machen und feststellen, dass es eigentlich wenige Unterschiede zu uns gibt.
Fernsehen und Radio sind beliebt, letzteres wegen der einfachen Zugänglichkeit vielleicht sogar noch beliebter. In fast jedem Bus kann man einem Radio lauschen - selbst in einem Minibus mit Loch in der Windschutzscheibe und frei baumelnden Kabeln läuft es unermüdlich.
Loch in der Windschutzscheibe, aber das Radio spielt und spielt.
Loch in der Windschutzscheibe, aber das Radio spielt und spielt.   Bild: Mark Belkin
Auch hier im Dorf sind immer mehrere Radiostimmen zu hören. Es dröhnt aus der Bar, aus den Krämerläden und besonders aus dem "Adobe Studio", in dem man Lautsprecher kaufen oder sich Filme auf einen USB-Stick ziehen kann.
"Adobe Studio", der lokale Technik Shop.   Bild: Mark Belkin
Zu hören ist am häufigsten Musik, vor allem heitere Hip-Hop-Songs auf Kinyarwanda. Amerikanischen Künstlern wie "Ed Sheeran" kann man aber auch in Ruanda nicht entfliehen.
Sehr beliebt ist zudem, wie auch bei uns, Fußball. Oft versammeln sich mehrere Männer um ein Radio und lauschen dem Moderator wie dieser etwa 30 Sekunden lang "Goaaaaaaaal" ruft. Ab und zu sind Nachrichten und Reden des Präsidenten zu hören.

Der beliebteste Sender ist der staatliche Sender "Radio Rwanda". Vor und während des Genozides strahlte dieser Falschinformationen und Hetzpredigten aus. Der Sender wurde auf der gleichen Frequenz wie der berüchtigte Propagandasender „RTLM“ übertragen. Nach dem Genozid wurde der Sender mit technischer und finanzieller Unterstützung der KfW Entwicklungsbank, mit dem Ziel mehr Menschen an Informationsquellen zu bringen, wieder aufgebaut. Da im Schnitt mehr Frauen als Männer Analphabeten sind, bietet der gesprochene Zugang zu Informationen besonders für Frauen einen großen Mehrwert.

Lange durften nur staatliche Sender ausstrahlen. Dies änderte sich 2002 durch ein Mediengesetz, mit dem auch private Sender zugelassen sind. Auch heute führt der Staatliche Sender die Zuschauerquote mit 30% an, gefolgt von "Kiss FM" mit nur 8%.
Solarradio zum Mitnehmen.
Solarradio zum Mitnehmen.   Bild: Mark Belkin
Was Fernsehen angeht, sieht es ähnlich aus. 2013 eröffnete der erste private Sender "TV10" und hat mittlerweile Einschaltquoten von etwa 7%. Der Staatliche Sender "Rwanda TV" dominiert den Markt nach wie vor und hat eine hohe Einschaltquote von 30%. Die Inhalte sind ähnlich wie beim Radio: Viele Nachrichten oder Reden von Paul Kagame. Erstaunlich oft geht es um Deutschland, besonders um die Kooperation zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda.

Printzeitungen konnte ich bislang nirgends sehen. Wie bei uns informieren sich Viele im Internet über das aktuelle Geschehen. Onlinezeitungen spielen dadurch eine enorm wichtige Rolle. Insgesamt geht auch hier der Trend zum Digitalen, braucht aber noch seine Zeit, da die nötigen Geräte dafür schlicht zu kostspielig sind.
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Author Mark Belkin

Beobachtungen aus dem Safari-Jeep

Ich hatte mich noch nie so weit von meinem Dorf entfernt gefühlt wie im Akagera Nationalpark. Nach Gorilla Trekking, wo man die sanften Riesenaffen hautnah erleben kann, ist der Nationalpark das wohl beliebteste Ausflugsziel im Land. Als sich mir die Chance bot, eine Safari durch den Park zu machen, konnte ich natürlich nicht widerstehen.
Ein eindrucksvolles Foto- und Selfiemotiv im Akagera.
Ein eindrucksvolles Foto- und Selfiemotiv im Akagera.   Bild: Silas Ringwald
Wir wurden morgens gegen vier Uhr mit einem gigantischen grünen Safari-Jeep abgeholt. Dieses bequeme Allradmonstrum gibt es sogar mit integriertem Kühlschrank, damit es an nichts mangelt. Im Halbschlaf ging es durch die langsam erwachenden Dörfer zum Akagera. Während der Fahrt musste ich an dieselben Jeeps denken, die regelmäßig durch mein Dorf touren. Nun, selbst in diesem dicken Auto sitzend, kam mir der Perspektivwechsel etwas merkwürdig vor. Ich belächelte immer die meist weißen Touristen in den Jeeps und fühlte mich als Dorfbewohner fast überlegen, da ich ja so nah am echten ruandischen Leben sei und sie nur in ihrer abgekapselten Touristen-Blase vom Genocide Memorial zu den Gorillas oder zum Nationalpark kutschiert werden. Von diesem überheblichen Irrglauben kam ich während der Fahrt recht schnell ab.
Safari-Jeeps bieten Luxus mitten in der Wildnis.
Safari-Jeeps bieten Luxus mitten in der Wildnis.   Bild: Mark Belkin
Klar, ich lebe mit einigen Hürden des Dorflebens in Ruanda und bekomme Einsichten, die sich kaum ein Tourist vorstellen kann. Ich muss aber nur den Wunsch äußern und schon sitze ich in einem netten Restaurant, einem schönen Hotel, oder eben einem Safari-Jeep. Ich lebe zwar im Dorf mehr oder weniger „angepasst an lokale Verhältnisse“, wie es von meiner Organisation vorgegeben ist, kann aber auch spontan aus diesen Verhältnissen ausbrechen und das Land erkunden. Durch diese Freiheit könnte ich mich nicht stärker von den Dorfbewohnern unterscheiden.
Etwas bizarr: Schickes Motel mitten im Dorf.
Etwas bizarr: Schickes Motel mitten im Dorf.   Bild: Mark Belkin
Hier leben und überleben Viele von einem Tag auf den nächsten, wissend, dass sich an ihrer Lage wahrscheinlich wenig ändern wird. Ich, auf der anderen Seite, kann es mir leisten, nach freiem Gewissen das Beste aus meiner Zeit zu machen und neben dem Alltag aufregende und interessante Erlebnisse zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen wie es sein muss, sich täglich Gedanken darüber zu machen, wie das Essen für mich und meine Familie auf dem Teller landet. Meine Gedanken für die Zukunft kreisen mit völliger Gelassenheit um den nächsten Ausflug und das nächste Erlebnis. Vielen aber hier auf dem Dorf bleibt nur eine ungewisse Hoffnung auf bessere Zeiten.
Aus einer bequemen Situation beobachten — so kommt mir mein Leben hier vor.
Aus einer bequemen Situation beobachten — so kommt mir mein Leben hier vor.   Bild: Mark Belkin
Ich lebe zwar derzeit in einem ruandischen Dorf, werde aber, wie jeder andere Tourist aus Berlin, nie erfahren, wie es wirklich ist, das Leben hier mit den dazugehörigen Hoffnungen und Sorgen zu führen. Am Ende blicke ich aus der Distanz, wie aus dem bequemen grünen Jeep, auf die Dorfbewohner und ihren Alltag.
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Ohne Handy hilflos - sogar in Ruanda

Ich hatte mein Smartphone verloren. Eine Katastrophe in der heutigen Welt - sogar in einem ruandischen Dorf. Das Handy ist mein Portal nach Hause, meine regelmäßige Zeitung und meist die einzige Möglichkeit für mich, von A nach B zu kommen, ohne mich durchfragen zu müssen. Dies gestaltet sich ohne richtige Straßennamen nämlich schwierig. Deshalb hatte ich beschlossen, mir am Tag nach dem Verlust ein neues Telefon zuzulegen. Im Nachhinein eine überflüssige Aktion: ein guter Samariter hat mir mein Handy nämlich drei Tage später vorbei gebracht.

Für den Handykauf bin ich in die nächste Stadt gefahren, hätte aber auch einfach ins Nachbardorf laufen können. Dort finden sich nämlich zwei Läden, die in einer kleinen Vitrine diverse Handys ausstellen.
Handy-Shoppen im Dorf.
Handy-Shoppen im Dorf.   Bild: Mark Belkin
Man merkt schnell, dass die Nachfrage nach Handys durchaus besteht. Ob in der Schule, im Restaurant, oder auf dem Markt: Smartphones sind zwar nicht in jedermanns Tasche, aber immer mal wieder zu sehen. Die 3G Verbindung in der Stadt ist rasch, die 4G Verbindung übertrifft selbst auf dem Land unser deutsches Schneckennetz. Ich habe jedoch bislang noch niemanden getroffen, der sich dieses schnelle Internet leistet.
Funkmast im Dorf erlaubt rasend schnelles Internet.
Funkmast im Dorf erlaubt rasend schnelles Internet.   Bild: Mark Belkin
Die Menschen organisieren sich in WhatsApp-Gruppen und verbringen ihre Zeit bei Facebook, was hier bei einem bestimmten Mobilfunkanbieter ohne Datenverbrauch möglich ist.
Ein Smartphonekauf ist dabei ganz und gar keine günstige Angelegenheit für die meisten Ruander. Das günstigste Modell kostet ca. 70 €, ein Grundschullehrer beispielsweise verdient aber nur etwa 50 € monatlich. Viele leisten sich aber diesen Luxus, da dieser meist den einzigen Zugang zum Internet bietet. Es gibt jedoch noch eine praktische Zwischenlösung: Feature Phones. Diese Tastenhandys haben bestimmte „Features“ wie Radio, Spiele und oft auch einen abgespeckten Browser und sind ab etwa 15 € zu haben.
2006 besaßen etwa 6% der ruandischen Haushalte ein Handy. Diese Zahl kletterte rasant auf aktuell etwa 76% an. Das Smartphone aber ist noch nicht so sehr verbreitet. Es gibt Statistiken aus den umliegenden Staaten Kenia oder Uganda, die zeigen, dass 2014 nur 15% der Einwohner ein Smartphone hatten. Ich würde diesen Wert im heutigen Ruanda auf etwa 30% schätzen.
Die Feature Phones sind neben ihren angenehmen Preisen in vielerlei Hinsicht praktischer als ein Smartphone und besonders für technologisch weniger fortschrittliche Märkte ausgerichtet. Um Nachts bei mangelnder Straßenbeleuchtung zurecht zu kommen, besitzen die Handys vorn eine besonders große Leuchte, zudem ist die Akkulaufzeit enorm und leistet so Abhilfe bei häufigen Stromausfällen.
Feature Phone
Feature Phone "Klotz" mit großem Akku und Leuchte.   Bild: Mark Belkin
Wenn man sich eines dieser Feature Phones oder ein Smartphone zulegen will, stößt man recht bald auf die Marken „Infinix“, „Itel“ und besonders häufig „Techno“. Diese drei Handy-Giganten in Afrika gehören allesamt zum gleichen Unternehmen: dem chinesischen Hersteller „Transsion Holdings“. Dieser ist so erfolgreich, weil er sich an den lokalen Markt anpasst. Extra lange Akku-Laufzeit, Dual-SIM-Möglichkeit, um bei mangelnder Netzdeckung schnell den Provider wechseln zu können und natürlich niedrige Preise, bei dem Samsung und Co. nicht mithalten können, brachten dem Unternehmen die Marktführung. Einer von sechs Bewohnern des afrikanischen Kontinentes erfreut sich mittlerweile eines Handys von Transsion. Ich gehöre mittlerweile auch dazu.
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Ein bisschen Tradition und ein bisschen Heimat

Nicht nur für die Ruander in meinem Dorf ist Religion ein wichtiges Thema, sondern auch für mich. Ich gehe zwar nicht jede Woche in die Kirche bzw. Synagoge und würde auch keinen „God is great“-Aufkleber auf mein Auto packen, was hier bei LKW’s gang und gebe ist. Dennoch schätze ich meine Religion und ihre Traditionen sehr - weit weg von zu Hause vielleicht sogar noch mehr.
Mein kleiner Sidur — jüdisches Gebetbuch to go.
Mein kleiner Sidur — jüdisches Gebetbuch to go.   Bild: Mark Belkin
Ich fühlte mich in den Gottesdiensten der Adventisten sehr willkommen, jedoch auch etwas außen vor gelassen, da ich beispielsweise mit Liedern über die Wunder von Jesus auf Kinyarwanda nicht viel anfangen konnte. Auch die Predigt behandelte Themen, die in Deutschland und auch bei mir kaum Anklang finden. Es ging viel darum, wie man sich trotz Armut körperlich gesund halten kann. Ein Thema, bei dem ich sehr dankbar bin, mir keine Gedanken darüber machen zu müssen.

Ich sehnte mich nach etwas Vertrautem und habe mich deshalb nach einer jüdischen Community umgeschaut. Nicht schlecht gestaunt hatte ich über eine Meldung auf einer belgischen Website, die die Fertigstellung einer Synagoge in Kigali ankündigt. Das Gebäude soll vom Stadtrat Kigali gespendet werden und die Eröffnung im April 2019 genau auf den 70. Geburtstag des Staates Israels fallen. Mehr Informationen konnte ich zu diesem engagierten Vorhaben bislang leider nicht finden, werde mich aber weiter danach umhören.
Ich mit blauer Kippah, der jüdischen Kopfbedeckung.
Ich mit blauer Kippah, der jüdischen Kopfbedeckung.   Bild: Mark Belkin
Mein nächster Versuch, jüdisches Leben in Ruanda ausfindig zu machen, zielte auf eine Facebook-Gruppe für Juden in Ruanda ab. Leider auch eine Sackgasse. Der Betreiber schrieb mir, dass er und die meisten Mitglieder weggezogen sind.

So leicht ließ ich mich aber nicht entmutigen und entschloss mich, Eigeninitiative zu zeigen. Von zu Hause habe ich Kerzen für den Shabbat und eine Kerze für Havdalah (eine Tradition, um das Ende des Shabbat einzuleiten) mitbekommen.
Havdalah Kerze in provisorischer Kerzenhalter-Tasse.
Havdalah Kerze in provisorischer Kerzenhalter-Tasse.   Bild: Mark Belkin
Die brennenden Lichter erhalten für mich nicht nur die Tradition, sondern bringen auch ein Stück Heimat ins ruandische Dorf.
Auch Shabbatkerzen brennen ab und zu mal bei mir.
Auch Shabbatkerzen brennen ab und zu mal bei mir.   Bild: Mark Belkin
Mein Vater unterstützt mich dabei auf moderne Art und Weise, indem er mir wöchentlich kurze jüdische Weisheiten aus dem aktuellen Wochenabschnitt der Torah per WhatsApp zuschickt.
Wöchentliche Weisheiten von Papa auf WhatsApp.
Wöchentliche Weisheiten von Papa auf WhatsApp.   Bild: Mark Belkin
Neulich brannten bei mir mehr Lichter als sonst - ganze neun Stück. Es stand nämlich Channuka vor der Tür. An dem Tag feiern Juden den erfolgreichen Widerstand gegen die Fremd-Eroberung von Judäa und die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem. Dabei nahm das Channuka-Wunder seinen Lauf: Der Leuchter im Tempel musste gezündet werden. Dafür wurde nur ein kleiner Ölkrug gefunden, dessen Inhalt als Brennstoff für höchstens einen Tag gereicht hätte – gäbe es da nicht das Wunder, dass den Leuchter ganze acht Tage brennen ließ, bis neues Öl hergestellt werden konnte. Deshalb feiern wir heutzutage Channuka ganze acht Tage lang und zünden an jedem Abend eine neue Kerze an der Channukia, einem achtarmigen Leuchter, an.

Ich hatte leider keine Channukia mitgenommen und wollte dieses Channuka schon ohne auskommen. Meine Eltern brachten mich dann auf die Idee, mich mal nach Teelichtern umzuschauen. Als ich nach diesen fragte, bekam ich nur einfache Kerzen, die man befestigen muss, damit sie stehen können. Ich wollte die Kerzen nicht umsonst gekauft haben und kam auf die Idee, meinen Nachbarn nach einem langem Holzbalken und einem Quader zu fragen. Ich hätte nicht erwartet, eine ordentlich gefertigte Holzkonstruktion mit Löchern für die Kerzen zu bekommen, aber eine tolle Werkstatt in meiner Nähe hat genau dies ermöglicht.
Neben Tischen und Stühlen wird jetzt auch eine Channukia hergestellt.
Neben Tischen und Stühlen wird jetzt auch eine Channukia hergestellt.   Bild: Mark Belkin
Am Ende wurde sogar mein Sonderwunsch erfüllt: Ein eingravierter Davidstern schmückt nun meinen Leuchter. Für mich ein kleines Channuka-Wunder made in Rwanda.
Die Lichter brennen!
Die Lichter brennen!   Bild: Mark Belkin
Nachträglich Channuka Sameach und ein frohes Fest!
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Mark Belkin
Author Mark Belkin

Deutscher Mikrokosmos in Ruanda

In der Kneipe hängt eine Flagge des 1. FC Köln. Draußen wird Glühwein ausgeschenkt. Waffeln und Rostbratwürste werden verkauft. Klingt nach Deutschland, ist aber Kigali.
Ein wenig verfrüht fand im November der „German Christmas Market“ statt. Internationale Expats (Fachkräfte, die nicht in ihrer Heimat arbeiten), deutsche Freiwillige und Diplomaten, Touristen und zu einem kleinen Teil Ruander kamen dort zusammen.
Es hätte sich ein bisschen nach heimischem Weihnachtstrubel angefühlt, hätten die Besucher nicht in T-Shirts die warme Sonne genossen.
Kein Weihnachtsmarkt ohne Glühwein.
Kein Weihnachtsmarkt ohne Glühwein.   Bild: Kirsten Röber
Neben Weihnachtsklassikern wurden auch lokale Produkte verkauft, wie beispielsweise “Kitenge”, ein sehr farbenfroher Stoff mit unterschiedlichsten Mustern oder selbstgestrickte Geldbeutel.
Das „La Galette“ ist in Kigali DIE deutsche Institution schlechthin: Metzgerei, Bäckerei und Restaurant zugleich. Dort findet mein deutsches Herz so ziemlich alles, was hier auf dem Dorf fehlt: frisches Roggenbrot, Würste und Produkte wie Philadelphia-Käse. Ein Deutscher aus dem Rheinland leitet die Örtlichkeit - deshalb auch die rot-weiße Flagge mit dem Ziegenbock. Die Kundschaft ist gemischt, die Gerichte etwas rustikal, aber wie ich finde ziemlich gut zubereitet.
Der 1. FC Köln in Ruanda (coole Sache, aber ich fände eine Eintracht Frankfurt Flagge noch cooler).
Der 1. FC Köln in Ruanda (coole Sache, aber ich fände eine Eintracht Frankfurt Flagge noch cooler).   Bild: Mark Belkin
Deutsche Kultur- und Politikeinrichtungen gibt es ebenfalls: Eine Zweigstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung hat erst dieses Jahr nach Ruanda exportiert und berät Regierung und zivilgesellschaftliche Organisationen in nachhaltiger Entwicklung und Demokratiefragen. Das Goethe-Institut organisiert verschiedene Kulturprojekte, zeigt internationale Filme und bietet einen Sprachkurs an.
Goethe-Institut Kigali.
Goethe-Institut Kigali.   Bild: Eva-Lina Neu
Ich habe schon mehrere Leute kennengelernt, die fleißig versuchen, Deutsch zu lernen, jedoch schnell genervt feststellen: deutsche Sprache = schwere Sprache. Es war nicht leicht, diese Deutschlerner davon zu überzeugen, dass Kinyarwanda und dessen komplexe Grammatik mindestens so viele Schwierigkeiten bereiten wie die deutschen Artikel der, die, das.
Auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mischt in Ruanda mit. Weiße Geländewagen der Kooperation zwischen der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der KfW Entwicklungsbank touren regelmäßig durchs Land.
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Ruanda.
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Ruanda.   Bild: Kirsten Röber
Irgendwie musste ich schmunzeln, als mein Nachbar auf einen der weißen Wagen zeigte und auf Englisch meinte: „Ich will auch mal so einen schicken Wagen fahren!“. Mir ist klar, dass man mit einem Kleinwagen nicht über die vielen Schotterpisten kommt, aber in meinen Augen scheinen die Luxusvehikel in Anbetracht des selbstlosen Images der Entwicklungszusammenarbeit etwas absurd.
Deutsche und ihre Einrichtungen werden hier in Ruanda hoch angesehen und respektiert. Interessanterweise sieht keiner, den ich bislang getroffen habe, die deutsche Kolonialvergangenheit im Land negativ.
Nach dem deutschen Entdecker und erstem ruandischen Residenten aus Deutschland, Richard Kandt, wurde gar das ehemalige Naturkundemuseum und heutige „Kandt House“ umbenannt, dass sich jetzt der deutschen Kolonialvergangenheit widmet.
Kandt-House Museum in Kigali in der ehemaligen Residenz des Forschers.
Kandt-House Museum in Kigali in der ehemaligen Residenz des Forschers.   Bild: Mark Belkin
Im Dorf hier beurteilen die Bewohner, die ich nach ihrer Meinung zu Deutschen befragte, ganz pragmatisch: „Gute Leute! Die bauen bei uns endlich die Straße aus!“
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