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Die Bildkombo zeigt die am 21.12.2016 vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichten Fahndungsfotos von Anis Amri.

© dpa

Untersuchungsausschuss zum Anschlag am Breitscheidplatz: LKA-Beamter gibt Fehler im Fall Amri zu

Ein hoher LKA-Beamter sagte am Freitag im Untersuchungsausschuss aus. Er trage "moralische Verantwortung", weil er die Bevölkerung nicht vor dem Anschlag am Breitscheidplatz schützen konnte.

Von Sabine Beikler

Er ist bisher einer der wichtigsten Zeugen im Amri-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses: der frühere Leiter des Dezernats 54 zur Bekämpfung des islamistischen Terrors im Landeskriminalamt. Der Spitzenbeamte B., heute Leiter der Abteilung 1 (Delikte am Menschen), hat am Freitag Fehler im Umgang mit dem späteren islamistischen Attentäter Anis Amri im Jahr 2016 zugegeben.

Amri wurde nach seiner Ankunft in Berlin am 18. März 2016 zwar observiert. Doch diese Observation wurde im Juni eigenmächtig eingestellt, ohne darüber die Generalstaatsanwaltschaft informiert zu haben, die die Observation bis zum 21. Oktober angeordnet hatte. „Die Tatsache, dass Amri nicht bis zum Ende observiert wurde, war ein Fehler, einwandfrei“, sagte B.

Amri kam im März mit dem Flixbus nach Berlin, aus Nordrhein-Westfalen. Von den dortigen Sicherheitsbehörden wurde er eindeutig als Gefährder eingestuft. Klaus-Stephan Becker, Leiter der Kölner Kriminalpolizei, war bis Ende 2016 Staatsschutzchef des Landeskriminalamtes in Düsseldorf. Er hat bereits im jeweiligen Amri-Untersuchungsausschuss sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Berlin ausgesagt.

Amri sei zwar „einer von vielen Gefährdern“ gewesen. Ihm sei aber keine weitere Person bekannt, „die ich ähnlich kritisch gesehen hätte“, sagte Becker im Januar, um zu betonen, dass die von Amri ausgehende Gefahr ernster hätte genommen werden müssen. Der Berliner LKA-Beamte B. bestätigte am Freitag auch, dass Amri als Gefährder eingestuft worden war. „Wir haben ihn als gefährlich eingestuft und mit operativen Maßnahmen überzogen.“

Allerdings waren das nicht die Maßnahmen, um die die LKA-Beamten aus Nordrhein-Westfalen gebeten hatten. Diese wollten nach Amris Ankunft in Berlin eine verdeckte Observation. Der zuständige Sachbearbeiter beim LKA Berlin wurde am frühen Morgen des 18. März darüber informiert. Alle Führungskräfte, darunter auch Herr B., waren an diesem Tag auf einem Führungskräfteseminar.

Amri wurde wieder auf freien Fuß gesetzt

Der damalige Anti-Terror-Leiter wurde erst gegen Mittag darüber informiert. Das für Observationen zuständige Mobile Einsatzkommando (MEK) habe dem Sachbearbeiter mitgeteilt, dass es selbst keine Kapazitäten hätte, Amri nach dessen Ankunft auf dem Zentralen Busbahnhof (ZOB) zu beobachten. So hätten sich drei LKA-Ermittler auf den Weg zum ZOB gemacht, Amri offen kontrolliert und ihn mitgenommen.

Es sei wohl „nicht in der Intensität durchgekommen, dass verdeckt observiert werden sollte“, sagte B. Dieser Aussage widersprachen bisher Zeugen aus Nordrhein-Westfalen. Zumindest der dringenden Bitte des LKA Düsseldorf, wenigstens das Handy von Amri auszulesen und ihm dieses wieder mitzugeben, habe man in Berlin Folge leisten können. Amri wurde anschließend wieder auf freien Fuß gesetzt.

Während der Observation registrierten die Beamten, dass Amri verstärkt im Drogenhandel aktiv war. „Als Gefährder war Amri als Person aus dem Fokus gerückt. Er schien abzudriften in Richtung BTM“, sagte B. – also in Richtung Betäubungsmittel. Und dann sei Amri „in der Konsequenz nicht mehr richtig“ verfolgt worden. Man habe Amri mehr und mehr als Drogenhändler eingestuft. Das sei allerdings eine „Fehlentscheidung“ gewesen.

„Das kann man nicht schönreden“, sagte der frühere Dezernatsleiter. Dieses Eingeständnis bekräftigt auch die Aussage des früheren Sonderermittlers Bruno Jost. Er warf dem LKA vor, man hätte Amri „auf frischer Tat beim Drogenhandel ertappen und festnehmen können“. Wäre die Observation weitergegangen.

Der LKA-Spitzenbeamte wies gestern auf die permanente Überlastung der Beamten hin. „Wir mussten Gefährder priorisieren. Es war nicht mehr zu schaffen.“ Die Zahlen der in seinem Fachbereich anhängigen Vorgänge stiegen rasant auf 169 Vorgänge im Jahr 2015 auf 416 in 2016.

B. bat gestern die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung. „Ich möchte mein tiefstes Mitgefühl vermitteln.“ Die Bevölkerung vor diesem Anschlag zu schützen, sei ihm nicht gelungen. „Dafür trage ich persönlich moralische Verantwortung.“ Bei dem Anschlag am 19. Dezember 2016 wurden zwölf Menschen ermordet.

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