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Die BVV Steglitz-Zehlendorf am Mittwochabend.

© Anett Kirchner

Baumfällungen für Flüchtlingsheim in Lankwitz: "Man muss eben auch mal in den sauren Apfel beißen"

In der BVV Steglitz-Zehlendorf wurde am Mittwochabend vor allem eins diskutiert: die für den Bau einer mobilen Flüchtlingsunterkunft notwendigen Baumfällungen in Lankwitz.

„Mein Informationsbedarf zu diesem Thema ist für heute Abend gedeckt.“ Es gebe auch noch andere Probleme im Bezirk. Damit sprach Tonka Wojahn, Fraktionsvorsitzende der Grünen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Steglitz-Zehlendorf, wohl vielen Anwesenden in der BVV-Sitzung am Mittwoch aus der Seele. Denn gefühlt fast den ganzen Abend drehte sich die Debatte um das Thema der Flüchtlingsunterkunft in der Lankwitzer Leonorenstraße, für die Bäume gefällt werden sollen.

Das ging sogar soweit, dass aus der Grünen-Fraktion jemand spontan einen Antrag auf Beenden der Debatte stellte, der allerdings mehrheitlich abgelehnt wurde. Die zentrale Frage war: Soll ein Teil des etwa 100 Jahre alten Baumbestandes in Lankwitz in der Leonorenstraße einer mobilen Unterkunft für Flüchtlinge weichen? „Wir als Grüne haben uns für eine schnelle Unterbringung der Flüchtlinge entschieden und das ist für uns auch ein Kompromiss“, bekräftigte Wojahn.

Carolina Böhm zur neuen Bezirksstadträtin gewählt

Sie reagierte damit auf eine intensive, emotional geladene Diskussion. Eine Kleine Anfrage der Bezirksverordneten Claudia Wein (CDU) und eine Große Anfrage der AfD- Fraktion hatten das Thema auf die Tagesordnung gebracht. Dagegen wirkte es nahezu beiläufig und unkompliziert, als zwischendurch Carolina Böhm (SPD) zur neuen Bezirksstadträtin für Jugend und Gesundheit gewählt wurde. Mit 40 Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen und acht Enthaltungen war das Ergebnis der Wahl eindeutig. „Ich bin positiv überrascht und sehe das als gute Vertrauensbasis für meine Arbeit“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Mit ihrer Wahl ist das Bezirksamt von Steglitz-Zehlendorf nun komplett. Der Posten der Bezirksstadträtin für Jugend und Gesundheit war bis dahin unbesetzt, weil bei der Wahl für das Bezirksamt im November letzten Jahres die damals vorgeschlagene SPD-Kandidatin, Franziska Drohsel, nicht gewählt wurde. Sie war in die Kritik geraten, weil sie bis vor zehn Jahren Mitglied in der vom Verfassungsschutz beobachteten und als linksextremistisch eingestuften Organisation „Rote Hilfe“ gewesen ist. Franziska Drohsel zog nach dieser gescheiterten Wahl ihre Kandidatur zurück.

Daraufhin musste die SPD eine neue Kandidatin suchen. Im Januar nominierten die Delegierten der SPD Steglitz-Zehlendorf Carolina Böhm als Bezirksstadträtin. Die 50-Jährige ist in Aviles, in Nordspanien geboren und in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Die Diplom-Politologin lebt seit 1985 in Berlin und ist seit 2003 Mitglied der SPD. Beruflich war Carolina Böhm unter anderem Dozentin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und zuletzt zwei Jahre die Gleichstellungsbeauftragte in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Als frisch gewählte Bezirksstadträtin für Jugend und Gesundheit ist ihr vor allem eines bewusst: „Ich übernehme die Leitung eines großen Amtes, das in keinem guten Zustand ist.“ Dies zu ändern, sehe sie aktuell als eine ihrer größten Aufgaben. Gemeint ist das Jugendamt von Steglitz-Zehlendorf. Wegen seiner prekären, personellen Situation war es immer wieder in die Kritik geraten.

Nachdem die neue Bezirksstadträtin vereidigt war, ging in der BVV-Sitzung die Debatte um die geplanten Fällungen der alten Bäume in Lankwitz weiter. Zuvor hatte Maren Schellenberg (Grüne), Bezirksstadträtin für Immobilien, Umwelt und Tiefbau, zu dem Thema erklärt, dass der Bezirk die Zustimmung für die Fällung von 44 Bäumen erteilt habe.

Die Bäume sind Teil eines Parks, der von dem Mediziner James Fraenkel angelegt wurde. Eigentümer des Geländes ist das Unternehmen Vivantes, das dort ein Pflegeheim betreibt. Einen Teil des Grundstückes hat Vivantes nun dem Senat für die Errichtung einer mobilen Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellt. Dafür sollen die Bäume weichen. „Uns ist mündlich signalisiert worden, dass, wenn wir die Zustimmung verweigert hätten, hätte die Senatsverwaltung das Thema an sich gezogen“, erklärte Schellenberg. Dann hätte der Bezirk keine Einflussmöglichkeit mehr auf das Bauprojekt gehabt. Bauherr sei hier die Senatsverwaltung. In Gesprächen mit dem Senat sei es immerhin gelungen, einige Bäume vor dem Fällen zu bewahren. So könne trotz der Baumaßnahme der Parkeindruck teilweise erhalten bleiben. Dass die Flüchtlingsunterkunft nicht auf dem Teil des Geländes gebaut werden soll, wo bereits alte Gebäude stehen, dafür zeigte die Bezirksstadträtin Verständnis.

Hier handle es sich um massive, unterkellerte Bauwerke. Das Freiräumen des Geländes hätte eine erhebliche Verzögerung bedeutet. „Wir wollen aber, dass die Unterkünfte so rasch wie möglich gebaut werden“, ergänzte Schellenberg, denn noch immer wohnten etwa 500 Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf in Notunterkünften.

„Uns ist es wichtiger, Flüchtlinge unterzubringen, als Baumbestände zu retten“

Peer Döhnert, Fraktionsvorsitzender der AfD, sagte dazu, dass er das Gefühl habe, dass hier nicht mit offenen Karten gespielt worden sei. „Sie hätten von Vorneherein die Frage beantworten können, ob gefällt wird oder nicht“, mahnte er. Schließlich handle es sich hier nicht um ein Waldgestrüpp sondern um einen Park. Sein Parteikollege Volker Graffstädt ging da noch einen Schritt weiter und stellte den Vorwurf in den Raum, dass nach seiner Ansicht die Flüchtlinge hier benutzt würden, um dieses Gelände wirtschaftlich nutzbar zu machen. „Das ist der eigentliche Skandal.“

Die Vorwürfe konnte Jens Kronhagel, Bezirksverordneter der CDU, nicht teilen, wie er sagte. Das Bezirksamt habe sich schon früh für eine Umplanung des Bauvorhabens eingesetzt; auch unter Berücksichtigung der Belange der Anwohner und zum Schutz des Baumbestandes. Dass jetzt die Zeit dränge, das Argument empfinde er als zu wenig.

Hans-Walter Krause von der Fraktion der Linken wunderte sich über die AfD, in dem er sagte, dass diese Partei ihm bisher nicht als großer Umweltschützer und Baumretter aufgefallen sei. Er vermute dahinter eine Strategie: „Immer wenn irgendwo Flüchtlingsunterkünfte geplant werden, da schauen Sie plötzlich auf die besorgten Bürger.“

Volker Semler, Fraktionsvorsitzender der SPD, ging bei diesem Thema noch einmal einen Schritt zurück in die Vergangenheit. „Wenn der Bezirk es nicht versäumt hätte, rechtzeitig geeignete Grundstücke für die Unterbringung der Flüchtlinge vorzustellen, wären wir vielleicht heute nicht in der Situation“, sagte er. Denn dazu sei das Bezirksamt von der Senatsverwaltung aufgefordert worden. Jetzt dränge die Zeit. Denn noch immer wohnten zu viele Menschen in menschenunwürdigen Unterkünften. Daher müsse man hier abwägen. „Uns ist es wichtiger, Flüchtlinge unterzubringen, als Baumbestände zu retten“, machte Semler deutlich.

Ähnlich argumentierte auch die FDP. Es gehe darum, dass auch die letzten Notunterkünfte im Bezirk frei gezogen werden können. „Und da muss man eben auch einmal in einen sauren Apfel beißen“, erklärte Rolf Breidenbach. Er sei daher froh, dass hier eine Lösung gefunden wurde.

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