Berlin: Mehr Wachsamkeit für verwahrloste Kinder
Obwohl die Zahl der gemeldeten Fälle zunimmt, gibt es nicht mehr Sorgerechtsentziehungen
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Die Tendenz ist deutlich: Immer mehr Hinweise auf verwahrloste Kinder kommen bei den Jugendämtern an. Immer öfter holen Polizisten Kinder aus heruntergekommenen Wohnungen und bringen sie erst einmal beim Kindernotdienst unter. Doch die neue Aufmerksamkeit für vernachlässigte Kinder hat nicht dazu geführt, dass deren Eltern eher das Sorgerecht verlieren.
Die Anzahl der Fälle, in denen Familiengerichte das Sorgerecht auf einen amtlichen Vormund übertragen, hat sich in den vergangenen Jahren wenig verändert. 133 Mal trafen Familienrichter eine solche Entscheidung im Jahr 2002, im Jahr 2003 waren es 114 Fälle, im Jahr 2004 urteilten die Gerichte 132 Mal so, 2005 waren es 142 Entscheidungen.
Die Mitarbeiter der Jugendämter, auf deren Betreiben die Familiengerichte eingeschaltet werden, wollen von irgendwelchen Trends im Umgang mit dem Sorgerecht nicht sprechen. Sie haben aber auch keine großen Veränderungen erwartet. Zwar habe die Wachsamkeit, die Sensibilität der Leute zugenommen, sagt Peter Schulz, Fachbereichsleiter im Jugendamt Mitte, aber: „Es gibt nicht mehr Kinderschutzfälle als früher.“
Die Pankower Jugendstadträtin Christine Keil (PDS) sieht es ähnlich. „Inobhutnahmen“, so der sperrige Begriff, „gab es immer“, sagt Christine Keil. Dass es mehr geworden seien in jüngerer Zeit, kann sie nicht bestätigen. Verändert habe sich, so der Spandauer Jugendamtsleiter Gerd Mager, die „Früherkennung“. Die Mitarbeiter der Jugendämter sehen sich öfter als noch vor ein paar Jahren veranlasst, bei angeblich problematischen Familien nachzusehen. Inzwischen seien auch die Familienrichter stärker „sensibilisiert“.
Doch die Entscheidung, einer Mutter oder einem Vater das Sorgerecht zu entziehen und einem Vormund zu übertragen, ist ein sehr massiver rechtlicher Eingriff – das wissen auch die Mitarbeiter der Jugendämter. Nach deren Wahrnehmung lassen sich die Familienrichter auch nur darauf ein, wenn der Antrag sorgfältig begründet ist.
Die Pankower Jugendstadträtin Christine Keil (PDS) findet, dass die Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Familiengericht meistens gut klappt. Die meisten Richter seien auch dazu bereit, sich mit den Jugendämtern abzustimmen: Wenn es sinnvoll sei, Eltern bestimmte Auflagen für den Umgang mit ihren Kindern zu machen, achteten die Richter darauf, ob diese eingehalten würden. Es gebe bei den Familiengerichten so etwas wie einen „strengeren Blick auf Eltern“, sagt eine Mitarbeiterin des Jugendamtes Charlottenburg-Wilmersdorf.
Allerdings sagen die Fallzahlen von Sorgerechtsentzug nichts darüber, wo in Berlin Kinder besonders gefährdet sind. Die Familiengerichte schlüsseln ihre Daten nicht nach Bezirken auf – und in den meisten Jugendämtern werden die Sorgerechtsverfahren nicht statistisch erfasst. So weiß man im Neuköllner Jugendamt nur von „40 bis 50 Anträgen pro Jahr“, Tendenz gleichbleibend; in Charlottenburg-Wilmersdorf beantragte das Jugendamt im vergangenen Jahr das Sorgerecht 33 Mal, im Jahr zuvor 31 Mal. Dass Eltern strafrechtlich belangt werden, wenn sie ihre Kinder vernachlässigen – wie vor Tagen der Pankower, der seine kleine Tochter stundenlang allein im Schwimmbad ließ –, gilt unter Juristen als ziemliche Seltenheit.
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