zum Hauptinhalt
© André Dér-Hörmeyer
Tagesspiegel Plus

„Mein Süßer, ich muss zur Bank“: Berlins Taxifahrer kämpfen mit Stammkunden und Spritztouren ums Überleben

In der Corona-Pandemie ringen Taxifahrer derzeit um jeden Auftrag und kommen dabei auf neue Ideen. Ist dieses Gewerbe noch zu retten?

Sein Taxi kann sogar über Wasser fahren. Ob das am Ende reichen wird, weiß Leszek Nadolski aber nicht. Wie jeden Morgen holt er die Ullrichs pünktlich um 10.30 Uhr vor ihrem Haus in Tegel ab. Ursula Ullrich hat sich bei ihrem Mann Horst eingehakt. Dazu stützt sie sich auf einen Stock. Eine seltene Muskelkrankheit macht ihr jeden Schritt zur Aufgabe. Wie ein Chauffeur eilt Nadolski um sein Taxi, hält ihr die Tür auf. Dann fährt er los, zur Autofähre.

Ohne Nadolski würden die Ullrichs nicht zum Krankenhaus kommen. Vor allem nicht über die Havel, die ihr Zuhause in Tegel vom Krankenhaus in Spandau trennt. Zehn private Fahrdienste hatten die Ullrichs angerufen, niemand wollte ihnen helfen. Denn die Fähre mache die Abrechnung bei der Krankenkasse zu kompliziert, hieß es. Doch dann baten sie Taxifahrer Nadolski um Hilfe und der machte, was Nadolski eben macht: Er redete mit den Leuten. Über die Freisprechanlage in seinem Taxi wurden schon Revolutionen angezettelt und Lebenskrisen bewältigt. Allein in den nächsten zwei Stunden werden dort viele Kollegen anrufen, dazu ein Journalist aus London und eine ältere Dame, die ihn nur „mein Süßer“ nennt. Dazu später mehr.

Wir Taxifahrer waren zu arrogant. Lange schon.

Leszek Nadolski

„Irgendwie überleben heißt es jetzt“, sagt Nadolski. „Also geschäftlich.“ Denn nicht nur die Ullrichs sind auf ihn angewiesen. Auch er könnte ohne sie nicht weiter Taxi fahren. Die Branche kämpft gerade um jeden Auftrag. Viele Fahrer haben schon aufgegeben. Auf seiner Website zählt Nadolski mit. „6898 Taxis in Berlin“ steht da. Etwa 8300 waren es laut Taxi Berlin vor der Coronakrise. 1402 haben also schon aufgegeben.

Als Chef der Berliner Taxi-Innung fühlt Nadolski sich für viele Fahrerinnen und Fahrer verantwortlich. Als das Land plötzlich stillstand, im ersten Lockdown, fuhr Nadolski los. Zu einem Kunststoffhersteller nach Neuruppin, zeigte ihnen sein Taxi, sprach mit ihnen. Ein paar Tage später hatten sie die ersten Trennschutzscheiben in Berlin. Der Umsatz der Fahrer fiel dennoch um fast 90 Prozent. Als es keine Masken gab, organisierte Nadolski welche. Die Fahrer warteten trotzdem vergebens an den Taxiständen. Maskiert, aber alleine, „sechs, sieben Stunden ohne einen einzigen Gast“, sagt er. Egal was er machte, die Krise wurde nur noch schlimmer.

Gratis-Fahrt zum Impfzentrum: Reger Betrieb vor der Arena Treptow
Gratis-Fahrt zum Impfzentrum: Reger Betrieb vor der Arena Treptow
© dpa / Paul Zinken/dpa

Dann kamen die Ullrichs. Und mit ihnen viele weitere, die das Virus am meisten bedroht, aber der Stillstand eben auch. Die, die schon krank sind, und die deshalb irgendwie zu ihrer Behandlung ins Krankenhaus kommen müssen. Für die Fahrt heute kann Nadolski 21 Euro abrechnen. Fast der alte Stundenverdienst. Nur braucht er dafür jetzt mehrere Stunden. 5 bis 7 Euro nehmen die Fahrer gerade pro Stunde ein. Um sich am Ende Mindestlohn auszuzahlen, bräuchten sie etwa vier mal so viel.

Auf der Rückbank, gleich vor seinem Wackeldackel, der – komme was wolle – jeden Fahrgast mit einem Nicken begrüßt, sitzen plötzlich keine betrunkenen Studenten mehr, sondern schwer kranke alte Leute. „Menschen, die um ihr Leben kämpfen“, das müsse einem klar sein, sagt Nadolski. Er fahre nun viel sanfter, „wie auf der Sänfte“, sorge dafür, dass seine Kunden sich sicher und geborgen fühlen. Früher, „in meinem wilden Taxileben“, sagt Nadolski, wusste er morgens nicht, wohin ihn der Tag tragen würde. Jetzt schippert er jeden morgen mit Horst und Ursula Ullrich über die Havel. Durch ihre Masken, das Trennschutz-Plastik und über dem Motorengeräusch der Fähre unterhalten sie sich. „Über seine Familie wissen wa bescheid!“, sagt Horst Ullrich. Der tägliche Plausch ist Routine. Ob sie ihren Fahrer vermissen werden, wenn die Behandlung vorbei ist? „Nee“, meint Frau Ullrich „Wir fahren ja noch zusammen zum Impfen!

Die Impf-Aktion. Das sei auch so ein Ding, sagt Nadolski. Während die Ullrichs im Krankenhaus sind, wartet er an einer Tankstelle. Seine Freisprechanlage klingelt fast durchgehend. Einmal fließt gestochenes Oxford-English aus dem Lautsprecher. Ein Journalist aus London möchte ihn auf einer Impf-Fahrt begleiten. „It will be a great story.“ „Yes, yes“, sagt Nadolski und notiert seine Nummer rasch auf einem Papp-Deckel. Dass Menschen über 80 ihre Taxifahrt zum Impfzentrum vom Berliner Senat spendiert bekommen, feiern sogar die Medien in London. Auch Nadolski findet, in der Politik hätten „einige richtig gut reagiert.“ Er freut sich über die zusätzlichen Fahrten. Das Bild in den Medien verzerre die Situation allerdings. „Ist doch toll! Bald fahrt ihr alle Rolls Royce“, habe ihm letztens jemand gesagt. Tatsächlich aber könnten die Impf-Fahrten nur zwei bis drei Prozent des Umsatzausfalls auffangen, heißt es bei Taxi Berlin, der größten Taxizentrale der Hauptstadt.

Jeden Tag holt Taxifahrer Leszek Nadolski, Chef der Berliner Taxiinnung, Ursula und Horst Ullrich in Tegel ab und bringt sie mit der Autofähre über die Havel.
Jeden Tag holt Taxifahrer Leszek Nadolski, Chef der Berliner Taxiinnung, Ursula und Horst Ullrich in Tegel ab und bringt sie mit der Autofähre über die Havel.
© André Dér-Hörmeyer

Die Branche irgendwie vor dem Kollaps retten. Das wollen die Fahrer. Dafür haben sie sich vieles einfallen lassen: Einen Einkaufsservice oder Essenslieferungen zum Beispiel. Das habe leider nicht so gut funktioniert wie erhofft, sagt Taxi-Berlin-Chef Hermann Waldner. Einige Fahrer liefern jetzt auf eigene Faust Pakete aus, andere versuchen sich als Bücher-Kuriere. „Wir Menschen sind anpassungsfähiger, als uns klar ist“, sagt Nadolski dazu. Aber fast überall, wo die Taxifahrer hin-innovieren, ist der Markt längst besetzt. Meist durch ein Start-Up oder Tech-Unternehmen. Natürlich leidet der Erz-Feind Uber auch unter der Krise. Hier muss man allerdings fragen, ob sich die Frage überhaupt stellt: Wer wird den längeren Atem haben? Ein milliardenschweres, weltweit agierendes US-Unternehmen, oder die oft alleine, manchmal mit zwei, drei Wagen und selten in richtigen Unternehmen organisierten Taxifahrer?

„Wir waren zu arrogant“, sagt Nadolski auf der Rückfahrt. „Lange schon!“ Die Fahrer hätten es schon seit Jahren verpasst, sich an den Wandel im Markt anzupassen, Kontakte zu knüpfen, ihre Bedürfnisse hörbar zu machen. Es habe ihn irgendwann so sehr genervt, sagt Nadolski, dass er „eine kleine Revolution“ losgetreten habe. Als absoluter Außenseiter trat er zur Wahl zum Chef der Innung an – und gewann. Vor der Wahl kannte ihn kaum jemand, nachher fast alle. Er hat mit dem amerikanischen Botschafter über Uber diskutiert und muss die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, die er duzt, inzwischen an mehreren Händen abzählen.

Leszek Nadolski hat jetzt Verantwortung – und Schlafprobleme. „Morgens halb vier“, ist er wach, schaut aus dem Fenster, bis es weitergeht. „Die Taxiunternehmen sterben wie die Fliegen“, sagt er. Nur durch die Krankentransporte könne er seine Rechnungen zahlen. Vielen gehe es so. Die Taxis müssten rücksichtsvoller und persönlicher werden, sagt Nadolski „eine echte Dienstleistung eben!“, und man denkt an die alte Frau, die kurz vorher durch seine Freisprechanlage rief: „Mein Süßer, ich muss zur Bank.“ Eine Stammkundin.

Eine andere rief mal: „Leszek, hast du die sixtinische Madonna gesehen?“. Noch nicht, also fuhren die beiden für zwei Stunden zu dem Gemälde nach Dresden, tranken einen Kaffee und fuhren wieder zurück nach Berlin. Als die Frau starb, organisierte Nadolski ihre Beerdigung. Vom Taxi aus. Das sind Ausnahmen. Aber sie zeigen auch, warum Nadolski an die Zukunft des Taxis glaubt. „Keine Aufgabe zu schwer, kein Weg zu weit“, das sagt er gerne. Auf der Rückbank nickt Horst Ullrich. Und neben ihm der Wackeldackel.

Zur Startseite