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 Fünf Millionen Menschen leben deutschlandweit in Wohnungen der zweitausend Baugenossenschaften. In Zeiten von steigenden Mieten seien diese nicht nur für Geringverdiener attraktiv.

© Jörg Carstensen/dpa

Mietenentwicklung in Berlin: „Nicht der Kapitalismus ist schuld: Es geht auch um eine gute Stadtplanung“

Die Löhne hinken den Mieten nicht so stark hinterher wie vermutet. Ein Blick auf die Zahlen zeige ein anderes Bild, meint unser Autor. Ein Gastbeitrag.

Ulf Heitmann (58) ist Mit-Geschäftsführer der Wohnungsbaugenossenschaft "Bremer Höhe eG" und verwaltet 700 Wohn- und Gewerbeeinheiten.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat in 401 Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands Wohnungsmietverträge ausgewertet, die zwischen 2014 und 2018 geschlossen worden waren. Sie wurden ins Verhältnis zur jeweiligen Lohnentwicklung gestellt. Viele Ergebnisse bestätigen das Erwartete: Im Süden ist die Schere zwischen Mieten und Löhnen zu Ungunsten Letzterer gewachsen. Im Osten, Norden sowie dünn besiedelten Gegenden entwickelten sich Löhne schneller als Mieten.

Überraschend widerlegt die Studie die Hypothese, dass in den deutschen Ballungszentren und wachsenden Städten die Lohnentwicklung der Steigerung der Mieten erheblich hinterherhinke. Im Gegenteil: In Hamburg sind die Mieten um 3,3 Prozent gestiegen, die Löhne um 8,7 Prozent. In Düsseldorf stiegen die Löhne um 8,7 Prozent, die Mieten um 7,7 Prozent. Selbst in Frankfurt am Main war der Lohnzuwachs um 2,3 Prozent größer als der der Mieten.

Wie sieht es in Berlin und Umland aus? In Berlin stiegen die Mieten um 12,9 Prozent, die Löhne um 11,9 Prozent – ein günstigeres Verhältnis als die aufgeheizte öffentliche Debatte um die Bezahlbarkeit von Wohnraum es vermuten ließe. Natürlich haben wir in der Hauptstadt eine erheblich höhere Nachfrage nach Wohnraum als Angebote. Aber die Zahlen zeigen, dass diese Knappheit nicht schamlos von den Vermietenden zulasten der Wohnungssuchenden ausgenutzt wird. Berlin findet sich bei der Neuvermietung nicht unter den Top 50 der teuersten Städte Deutschlands.

Die Entwicklung hängt nicht vom bösen Kapitalismus ab

In Potsdam stiegen die Mieten um vier Prozent, die Löhne um 14,1 Prozent, obwohl Potsdam von 2006 bis 2018 um 21 Prozent wuchs und damit dreimal so schnell wie Berlin! Die Ergebnisse der Studie geben Hinweise darauf, dass die Entwicklung am Wohnungsmarkt nicht allein von ökonomischen und demografischen Faktoren oder gar vom bösen Kapitalismus abhängt. Vor allem stadtplanerische Instrumente, mit denen auf das Wachstum reagiert wird – oder eben nicht – entscheiden über die konkrete Marktsituation. Wie soll erklärt werden, dass Potsdams Entwicklung vollkommen anders aussieht als die in Berlin?

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Auch da helfen Zahlen: Das strukturelle Wohnungsdefizit in Berlin einschließlich Leerstandsquote und Umzugspuffer beläuft sich auf zirka 120 000 bis 130 000 Wohnungen. In Potsdam gab es Ende 2018 ungefähr 8400 Wohneinheiten weniger als Haushalte. Prozentual hält sich der Mangel beider Städte die Waage. Die Tendenzen aber sind unterschiedlich: In Potsdam wurden 2017/18 mehr als 6750 Wohnungen fertiggestellt. Im gleichen Zeitraum wuchs Potsdam um zirka 3200 Haushalte.

Potsdam erhöhte seinen Bestand weit mehr als Berlin

Das Wohnungsdefizit konnte dort um 3500 Wohnungen verringert werden. Potsdam erhöhte seinen Wohnungsbestand 2017/18 um 7,4 Prozent, Berlin um 1,6 Prozent. Die Potsdamer Zahlen widerlegen die Behauptung, dass es nicht genug Kapazitäten der Bauwirtschaft gibt, um den erforderlichen Wohnraum zu errichten. Dass Berlin in den vergangenen beiden Jahren nur noch ein geringes Bevölkerungswachstum verzeichnet, ist das Ergebnis fehlenden Wohnungsbaus.

Berlin ist für weiteres Wachstum nicht gewappnet, löst es doch das Wohnungsproblem nicht einmal für die hier bereits Lebenden. Die Zahl der Arbeitsplätze wächst schneller als die der Wohnungen. Das heißt: Berlin verschiebt durch zögerliche Schaffung von Bauland, langwierige Planungsverfahren und steigende Kosten des „Kooperativen Baulandmodells“ recht unsolidarisch sein Problem ins Umland. Im vergangenen Jahr betrug das Wanderungsdefizit dorthin zirka 12.400 Menschen – meist mit mittlerem Einkommen und nach Aussage des Finanzsenators einer Steuerkraft von 17.000 bis 20.000 Euro pro Person, insgesamt also zirka 220 Millionen Euro pro Jahr.

Mit intelligenter Stadtplanung gegen eine Zersiedlung

Mit dem durch Wohnungsmangel bedingten Ausweichen aufs Umland sind alle negativen Auswirkungen, wie Zersiedlung der Landschaft, Bodenverbrauch, Zunahme der Pendlerströme, Überforderung eines viel zu langsam wachsenden öffentlichen Verkehrssystems, verbunden. Wer die Innenstadt Berlins in nur zehn Jahren am liebsten autofrei haben will, kann das nicht zwangsweise organisieren – obwohl das zum derzeitigen Politikstil von R2G passte. Zu den strategischen stadträumlichen Bedingungen dafür zählen kurze Arbeitswege, ein dichtes Netz schneller Verkehrsmittel und eine Planung von innerstädtischen Quartieren mit vielseitiger Nutzungsmischung. Mit welchen Mitteln man diese Strategie verfolgen will, ist dabei nachrangig, aber ebenso schnell zu klären.

Politik kann nicht auf Basis "gefühlten Wissens" gestaltet werden

Ohne multifunktionale Hochhäuser, neue U-Bahnen, die große Strecken über- beziehungsweise unterwinden und die Verdichtung der Innenstadt unter Wahrung beziehungsweise Stärkung ökologischer Qualitäten wird man diese Ziele nicht erreichen. Damit sind einige Tabus der aktuellen Koalition angesprochen. Es gibt dringende Gründe, über diese angeblichen No-Gos anhand der Zahlen und Fakten nachhaltig und schnell nachzudenken. Politik kann nicht dauerhaft auf Basis „gefühlten Wissens“ (Horst Evers) gestaltet werden. Ein solches Herangehen polarisiert und baut Feindbilder auf, in diesem Zusammenhang: die Vermieter! Das seien diejenigen, die nicht nur die Wohnungen unerschwinglich machten, sondern auch die Gewerbetreibenden verdrängten.

In der Gesetzesinitiative Berlins zur Regulierung der Gewerbemieten aus dem vorigen Jahr wird auf Zahlen zurückgegriffen, die, wie wir dank der Recherche des rbb wissen, in keiner Weise belegbar ist. Diese sind nicht um 300 Prozent, sondern nur um 63 Prozent gestiegen. Selbst der Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, also des Vereins, der die Interessen der kleineren Gewerbetreibenden vertritt, hält die Entwicklung für eher normal. Was für Wohnraum, für Schul- und Spielplätze zutrifft, stimmt auch für Gewerberäume: Ein Mangel kann nur dadurch behoben werden, in- dem er beseitigt wird und nicht, indem man ihn neu verteilt.

Ulf Heitmann

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