Berlin: Nach dem Sturm
Neue Argumente für den Bahnhof Zoo
Von Antje Vollmer Der Sturm brachte manches zum Einsturz, aber auch manches an den Tag. Die ramponierte Fassade des neuen Berliner Hauptbahnhofes war vermutlich doch kein Material- oder Montageschaden, sondern offenbarte erneut einen Planungsfehler im Kopf. Der gleiche Bahnhof, der auf völlig freier Fläche dem Sturm nicht standhalten konnte, belegt aufs deutlichste, dass in der Planung an vieles gedacht wurde, nur nicht daran: Ein Bahnhof ist vor allen Dingen für die Menschen da. So viel Herr Mehdorn, der Bahnchef, und Herr Gerkan, der Architekt und Künstler, miteinander zu streiten haben, in dieser Hybris waren sie einander nah: Wer sich so weit von der Vorstellung entfernt, dass Menschen einen Bahnhof in ihrer Nähe brauchen, den sie leicht erreichen und in den sie bequem einsteigen können, der hat vorher im Kopf die Entscheidung gefällt, dass ihm solche schlichten Bedürfnisse weniger wichtig sind als die große Geste, der große Auftritt, die große Repräsentation. (Man denke nur an das kleine Nadelöhr der Zick-Zack-Zufahrt, mit der ein Autofahrer den Bahnhof nur mit äußerster Mühe erreicht. So rutschte der beabsichtigte Abstand zum Menschenalltag sogar in die Verkehrsplanung.)
Rein praktisch hat die Sache einen Vorteil: Die Frage nach der Wiedereröffnung des Bahnhofs Zoo für die Verbindungen von IC und ICE hat ein zusätzliches starkes Argument bekommen. Es gibt immer noch einen funktionierenden Stadtbahnhof, der, in aller städtebaulichen Bescheidenheit, verkehrstechnisch gut angebunden ist. Er hat ein halbes Jahrhundert sturmtechnisch gut überstanden, weil er nicht majestätisch einsam auf freiem Felde thront. Herr Mehdorn sollte die Chance ergreifen, das praktische Desaster des Orkans dieser Tage als Begründung zu nehmen, um den Berlinern, die das wollen, einen leicht erreichbaren Bahnhof wieder zu eröffnen, den sie seit Jahrzehnten zu nutzen gewohnt waren.
Man hatte ja sowieso den Eindruck, dass die willkürliche Schließung des Bahnhofs Zoo aus dem Arsenal der „schwarzen Pädagogik“ kam: Eine ganze Bevölkerung sollte in ihren Gewohnheiten umgeprägt werden, indem sie nun in ihren Verkehrsströmen an einen anderen Ort geradezu gedrillt wurde. Das ist auch inzwischen aufs Schönste geschehen, der Hauptbahnhof boomt und pulsiert, er konkurriert mit anderen Geschäftsmeilen und hat dafür gute und glänzende Voraussetzungen. Mit ein bisschen Großzügigkeit würde Herr Mehdorn doch begreifen dürfen, dass jetzt, wo er seinen Willen durchgesetzt hat, eine Kompromisslösung näher rücken müsste, die dem Bahnhof Zoo wieder eine minimale Lebensfähigkeit sichert – und sei es nur in Sturm- und Orkanzeiten, solange die städtebaulich imponierende Einsamkeit des Hauptbahnhofs besteht.
Die Autorin ist Mitglied von Bündnis90/Die Grünen und war bis Ende 2005 Bundestags-Vizepräsidentin
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