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Nachruf auf Daniel „Topo“ Gioia: Alles ohne Noten
An der Gitarre war er der Schlechteste in der Band. Also sollte er die Congas spielen
Stand:
Seinen ersten Tango spielte Topo, der Argentinier, in Berlin. Obwohl er schon 35 war und seit seiner Jugend musizierte. Vielleicht muss man für den Tango eine gewisse Reife erlangt, diese oder jene Erfahrung im Leben gemacht haben. Andererseits singen wir auch nicht, nur weil wir Deutsche sind, von früh bis spät „Das Wandern ist des Müllers Lust“.
Am Anfang, in Argentinien, interessierte ihn die traditionelle Musik überhaupt nicht, ihn interessierten die Beatles, die Stones und Santana, vor allem Santana, „eine absolute Offenbarung“, wie er in einem Filminterview sagte. Für einen Gig mit seiner Band „After“, die er, damals 17, zusammen mit Freunden gegründet hatte, ging es in ein Nest namens Armstrong, etwa 80 Kilometer von seiner Geburtsstadt Rosario entfernt. Ein Poster an der Tür des Clubs kündigte sie stolz an: „Grupo inglés, recién llegado de Londres.“ Eine englische Gruppe, gerade aus London eingetroffen.
Bei „After“ sang und spielte er Gitarre. Drei andere in der Gruppe spielten ebenso Gitarre, und er, so gab er später zu, „war eindeutig der Schlechteste“. Eines Tages kam er in den Probenraum, sah ein Paar Congas rumstehen und fragte, was das sei. Worauf der Schlagzeuger antwortete, dass es sich um eine Fasstrommel handele und er, Topo, dieses Instrument ab heute übernehmen werde.
Er brachte sich alles selbst bei, hörte tagein, tagaus Santana und kopierte, was er hörte.
Bongos, Cajóns, Udus, Rainmaker, Rasseln
In Topos Wikipedia-Eintrag steht, er habe hauptsächlich Congas gespielt. Was Quatsch ist. Er spielte zig Perkussionsinstrumente – Bongos, Cajóns, Udus, Rainmaker, Rasseln aus Samenschalen und Ziegenfüßen. Und alles so gut, dass er, auch ohne Noten lesen zu können, oft für Aufnahmen und Auftritte anderer Musiker angefragt wurde, von Jocelyn B. Smith, Mikis Theodorakis, Manfred Krug, Barbara Thalheim, Steve Lacy, Kylie Minogue und weiteren. So gut, dass er an über 500 Plattenproduktionen mitwirkte und als erster Lehrer für Klassikperkussion an der Hanns-Eisler-Hochschule unterrichtete. Dabei verhielt er sich für einen Musiker eher untypisch, war kein Nachtmensch, trank wenig, nahm keine Drogen und ging den Leuten nicht auf die Nerven, indem er ihnen andauernd Termine für kommende Konzerte mitteilte oder seine CDs in die Hände drückte.
Diese Bescheidenheit und seine letztlich anspruchslose Lebensweise kamen von seinen Eltern, Nachfahren italienischer Einwanderer. Zwischen 1857 und 1920 siedelten etwa 2,3 Millionen Italiener nach Argentinien um, die größte Immigrantengruppe im Land. Seine Eltern waren einfache Leute aus Großfamilien, die selbst nur ein einziges Kind hatten, Topo. Topo also war das einfache Leben gewohnt, und er behielt es bei, lebte in einer kleinen Wohnung, fuhr kaum in den Urlaub und als ihm sein Sohn und seine Tochter einmal ein schickes Messerset schenkten, ließ er es verpackt liegen, nicht aus Ignoranz, sondern weil er das kostbare Neue unangetastet lassen wollte.
Er mochte seine Kindheit, die vielen Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen. Die Ausflüge auf der Vespa ins Fußballstadion zu den Spielen von „Rosario Central“. Auch später, vor den Konzerten und während der Konzertpausen, überprüfte er eilig die Spielstände seiner Mannschaft.
Er malte gern, vor allem die italienische Comicfigur „Topo Gigio“, eine Maus mit Riesenohren, weshalb seine Freunde ihn irgendwann Topo tauften.
Doch dann endete die Kindheit. Er verstand, dass einige der Knallgeräusche, die er in Nächten gehört hatte, Schüsse gewesen waren, Schüsse auf Menschen, und er realisierte mehr und mehr, in welchen politischen Verhältnissen er aufgewachsen war. In Argentinien herrschten verschiedene Militärdiktaturen. Sein engster Freund und er beschlossen, das Land zu verlassen, bestiegen mit zwei Congas, einer Gitarre, zwei kleinen Koffern und 100 Dollar am 10. September 1973 ein Schiff und landeten zwölf Tage später in Barcelona. Da sie mit den paar Auftritten, die sie arrangieren konnten, zu wenig verdienten, schleppten sie Gasflaschen in Wohnungen. Einen Höhepunkt zumindest gab es: Sie sahen Santana.
Ein graues Bild von Berlin, voll mit Spionen
Topo zog dann eine Weile nach Madrid, und kehrte 1975 zurück nach Argentinien. Aber die politischen Verhältnisse waren noch immer unerträglich. Menschen wurden verhaftet und verschwanden, wurden gefoltert, getötet. Sein Freund, der in Spanien geblieben war, schrieb, Topo solle zurück nach Barcelona kommen. Topo kaufte sich ein Ticket, sein Freund meldete sich noch einmal, nein, nein, er sei nicht mehr in Barcelona, er sei jetzt in Berlin, Topo müsse umbuchen.
1977, an einem hellen, warmen Augusttag betrat Topo die Stadt. „Ich war sofort verliebt“, erzählte er später. „Wir in Argentinien hatten ja ein graues Bild von Berlin, voll mit Spionen.“
Am Anfang spielte er viel Salsa und Samba, obwohl Salsa und Samba wenig mit ihm und nichts mit Argentinien zu tun hatten. Aber in Berlin war er Südamerikaner und also heißblütig und also bitte… Immerhin ernährte der Irrtum Topo über Jahre.
Dabei war er eher der Typ für die leisen, feinen Töne. Er etablierte sich, reiste ununterbrochen, spielte immer mehr das, was ihm eigentlich entsprach, probierte seinen ersten Tango, komponierte selbst. Er verliebte sich zweimal, er quälte sich mit den Behörden wegen seiner Aufenthaltserlaubnis herum, bis er, wegen der italienischen Herkunft seiner Großeltern, einen italienischen Pass erhielt und nun unbefristet bleiben durfte, er bekam zwei Kinder, er besuchte seine Familie in Rosario, er war ein Freund, das sagen alle.
Topo starb an einem Herzinfarkt. Für den November war eine Reise nach Argentinien geplant, er wollte gerade ein Album mit seinen Kompositionen aufnehmen, wollte darauf selbst Gitarre spielen.
Am 9. Juni, um 18 Uhr, findet im A-Trane in der Bleibtreustraße ein Gedenkkonzert für ihn statt.
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