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Nachruf auf Gerhard Böttcher: Fakt ist, dass er es geschafft hat
Unter der Oberfläche aber gärte es. Stille Anfeindungen, stumme Vorwürfe
Stand:
Er hätte sich in Gottes Namen einfach als braver sozialistischer Bürger ausgeben sollen, der sein Vergehen zutiefst bereut und ganz und gar bereit ist, die Verfehlungen wieder auszubügeln. Die Genossen hätten ihn bestimmt sanfter behandelt. Aber was machte Gerd? Er nahm alles auf sich. Auf sich allein.
Obwohl er nicht allein gewesen war. Sie hatten das Ding gemeinsam gedreht. Zwei Dinger, genaugenommen. Er und der Freund seiner Schwester, die ein Kind erwartete. Gerd war 16, der Freund 17.
Gerd und seine Familie, Vater, Mutter, fünf Kinder, lebten in Berlin-Blankenfelde am nördlichen Zipfel von Pankow. Die Eltern waren 1935 bitterarm aus Friedrichshain nach dort oben in die Laubengartenkolonie gezogen, vom dritten Hinterhof ins Etwasgrüne, bauten jetzt ein bisschen Gemüse an und hielten ein paar Kaninchen. Alfred, der Vater, verdingte sich auf Baustellen und reparierte später Uhren bei der Reichsbahn. Erna, die Mutter, die oft mit den Kindern überfordert war, es manchmal nicht schaffte, sie rechtzeitig für die Schule zu wecken, blieb zu Hause. Beide tranken. Soffen. Prügelten.
Der alleinige Täter
Und Gerd dachte sich eines Tages zusammen mit dem Freund seiner Schwester aus, in die Laube des Nachbarn einzubrechen. Ding eins. Was sie da rausholten, war letztlich Quatsch, wertloser Krimskrams und Zigaretten. Ding zwei: Sie brachen in einen „Konsum“ ein. Natürlich fasste man sie ohne lange Ermittlung. Und weil der Freund eben werdender Vater war, behauptete Gerd, er sei der alleinige Täter. Man steckte ihn für eineinhalb Jahre in den Jugendknast, euphemistisch „Jugendhaus“ genannt, wo, ist nicht überliefert. Sanft ging es da sicher nicht zu. Ein einziges Mal hat ihn sein Vater besucht, ansonsten interessierte sich niemand. „Dieses Ereignis steckte in unserer Familie wie ein Stachel“, erzählt Gerds Neffe. Man tat die längste Zeit, als sei nichts gewesen. Verschwieg die Mitschuld. Unter der Oberfläche aber gärte es. Stille Anfeindungen, stumme Vorwürfe.
Nach dem einen Knast kam direkt der nächste: Gerd musste zur Armee. Was kann ein junger Mensch aushalten? Eine Menge, offenbar.
Eines zumindest hatte ihm sein Vater mitgegeben: Diktaturen sind die Hölle. Während der Nazizeit, so die Erzählung, habe er, der Vater, einigen Kollegen gegenüber gesagt: Wartet ab, es wird auch mal wieder anders werden. Der Satz hatte keine Konsequenzen, es passierte ihm nichts, vielleicht, weil seine Frau gerade schwanger war. Und nachdem es wieder anders geworden war, spätestens seit der Gründung der DDR, hielt er sich fern von sämtlichen staatlichen Institutionen.
Im Privaten jedoch ging er die Dinge durchaus diktatorisch an.
Der Vater hatte vor der Währungsreform 1948 einen Haufen Reichsmark versteckt, auf dem Plumpsklo. Dieses Geld fand Gerd eines Tages und sprach darüber mit einem älteren Jungen, der sich nicht lange bitten ließ und zugriff, was Gerd so auch wieder nicht gemeint hatte. Als der Vater das Verschwinden seiner Ersparnisse bemerkte, schlug er seinen Sohn, bis der, wortwörtlich, nicht mehr sitzen konnte.
Nach Gefängnis und Armee verrichtete Gerd Dachdeckerhilfsarbeiten. Und soff fröhlich, wie er das von zuhause und gewiss auch von der Armee kannte. Er hätte sehr gern eine Lehre gemacht, er hat das letztlich nie richtig verdaut.
Was kann ein junger Mensch aushalten? Allzu viel dann doch nicht. Der Alkohol wurde zu einem immer engeren Freund. Auf einer Feier kippte Gerd einmal einfach so um, zack, fertig, vollkommen blau.
Auf den Dachböden, auf denen er arbeitete, fand er häufig Stücke, die er zum An- und Verkauf schleppte und damit ganz gut dazuverdiente. Seine drei Schwestern gingen, noch vor 1961, nach West-Berlin. Er blieb im Osten, lernte mit 20 ein 16-jähriges Mädchen kennen, das bald schwanger wurde und ein Kind bekam. Er soff weiter. Zeigte, welch guter Lehrmeister sein Vater gewesen war. Ständig Gewalt und Mackerallüren. Er verbot seiner Frau, eine Fortbildung zu machen. Kam selbst vor Schmutz starrend und betrunken nach Hause und bellte sie an, ihm auf der Stelle das Abendbrot zu kredenzen. Oder drohte ihr mit einem Küchenmesser, sie solle ihm sofort was kochen. Die Frau nahm irgendwann die Beine in die Hand. Trennung, auch von der Tochter.
Er vermasselte auch das
Neben all seinen Verstößen gegen gesetzliche und moralische Regeln war Gerd auch ein fröhlicher Erzähler, ein zugewandter Mensch, einer, an dem man durchaus seine Freude haben konnte. Er spielte Fußball, er fotografierte, er war handwerklich begabt.
Seine zweite Frau, die überaus hübsch lächeln konnte, bekam eine Tochter. Und abermals zerstörte der Alkohol so vieles. Erneute Trennung von der Frau und von der Tochter.
Von seiner Familie im Westen hatte er den Auftrag, nach dem Tod der Mutter 1974, der Vater war vier Jahre zuvor gestorben, sich um das Pachtgrundstück in Blankenfelde zu kümmern. Er vermasselte auch das. Gab das Grundstück an irgendjemanden ab, wahrscheinlich nach einem größeren Gelage.
Es kam die Wende, Gerd trank noch ein bisschen weiter und hörte dann tatsächlich auf. Warum jetzt? Eine klare Antwort gibt es nicht. Fakt ist, dass er es geschafft hat, allein. So wie er im Übrigen auch das Rauchen aufgab. Er bekam sein Leben in den Griff. Sagte später deutlich, was das alles für ein Mist gewesen sei.
Er machte eine Fortbildung, arbeitete etliche Jahre als Dachdecker bei einer West-Berliner Firma, lebte allein in Pankow, nicht weit vom Schloss Schönhausen, erledigte alles im Haushalt selbst, entdeckte penibel auch das letzte Staubkorn in der hintersten Zimmerecke.
Er galt als sehr netter, zuverlässiger Nachbar, reparierte Fahrräder, hielt da ein Schwätzchen und dort.
Und er pflanzte zusammen mit einem der Nachbarn, jenem, der ihn dann am 29. Mai in seiner Wohnung fand, einen Süßkirschbaum, der jedes Jahr viele Früchte trägt. Setzte allein einen Baum im Hof, einen Ahorn. Sein Neffe stellt sich vor, dass die Nachbarn einst sagen werden: Dit Ding hat der Böttcher jepflanzt.
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