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Nachruf auf Joachim Christoph: Kirche ist mehr als leere Bänke am Sonntag
Mit seinem Vater beobachtete er das Panorama des Bombenkrieges vom Dach aus. Das prägte ihn fürs Leben
Stand:
Als Kapitän auf dem Traumschiff hätte Joachim Christoph eine gute Figur gemacht: stattliche Erscheinung, brauner Teint, sonore Stimme und ein verbindliches Lächeln. Obgleich er eher auf Arte abonniert war als auf seichte Unterhaltung, gab es durchaus ein wenig Traumschiff in seinem Leben: Ein paarmal hat er Kreuzfahrtschiffe als Geistlicher begleitet. Um Daheimgebliebene ging es in den Gesprächen mit den Reisenden, ums Zurückkommen, die Furcht vorm Alter. Gerade hier zeigten sich unverhofft die Risse im Leben. Seine Bordgottesdienste suchten selbst Leute auf, die Jahrzehnte kirchenabstinent gewesen waren.
Joachims Vater hatte bei der Walfangflotte angeheuert und war unterwegs, als Joachim zur Welt kam. Seinen Sohn sah er „als Stern am Firmament des Südens“, so erzählte er bei seiner Heimkehr. Joachim blieben die Besuche auf dem Schiff des Vaters im Gedächtnis.
Mit Beginn des Krieges konnte dieses Schiff nicht mehr auslaufen. Der Vater meldete sich freiwillig zur U-Bootwaffe – und kehrte, als der Krieg vorbei war, nicht mehr heim. Zwei Jahre später bestätigte die Britische Admiralität der Familie die Vernichtung seines U-Bootes im März/April 1945 im Ärmelkanal.
Eine frühe Erinnerung von Joachim galt einem Mädchen in der Nachbarwohnung. Eines Tages war die Familie verschwunden, niemand wusste wohin... Die Bombennächte blieben ihm bis ins hohe Alter präsent. Bei jedem Alarm mussten sie in einen Schutzraum fliehen. Einmal allerdings, sein Vater war auf Urlaub, blieb Joachim mit ihm auf dem Dach des Hauses und beobachtete „das nächtliche, grandios-entsetzliche Panorama“.
Hochbegabt aber mittellos
Das Elternhaus in Hamburg brannte aus; das Ende des „tausendjährigen Reichs“ erlebte Joachim in Flensburg. Staunend sah er die Engländer in ihren Panzern. Er war noch keine zehn Jahre alt, aber die Schrecken des Krieges prägten ihn fürs Leben.
Die Mutter fand eine Anstellung bei den Engländern und arbeitet sich von der Reinigungskraft zur Buchhalterin hoch. Joachim kam bei Verwandten unter, bei Bekannten, im Internat. Hochbegabt aber mittellos musste er bald für sich selbst sorgen. Sein Essen holte er sich in der Volksküche. Geld verdiente er als Werkstudent.
Er las viel. Sören Kierkegaard, der radikale Kirchenkritik mit tiefer Frömmigkeit verband, faszinierte ihn. Sein Wunsch, nach dem Abitur Theologie zu studieren, war durchaus nicht nur religiös motiviert. Unter den Professoren fand er beeindruckende Lehrer, eine Begegnung mit Hannah Ahrendt hinterließ bleibenden Eindruck und ermutigte ihn, zurückzuschauen: Warum das Schweigen, als die jüdischen Nachbarn plötzlich verschwanden? 1959 besuchte Joachim mit einer Studentengruppe Auschwitz und war tief bewegt. Später, als Pfarrer in Berlin-Wilmersdorf, hat er jedes Jahr mit einer Nachtwache zum 9. November an die Pogromnacht erinnert.
Wie viele Studenten seiner Generation war er politisiert. Er teilte die Empörung über den Schahbesuch und demonstrierte gegen den Vietnamkrieg. Die Befreiungstheologie aus Südamerika prägte seinen Blick auf die Kirche.
In Berlin-Neukölln fand er den Ort, an dem sich seine Idee einer anderen Kirchenkultur erproben ließ. Zum neuen Pfarrteam gehörten eine Psychologin und ein Soziologe. Vieles wurde neu ausgehandelt, lange Gespräche, endlose Sitzungen. Joachim selbst gehörte mit einer halben Pfarrstelle dazu, mit der anderen Hälfte war er am Soziologischen Institut der FU angestellt, Forschungsschwerpunkt: Jugendkriminalität.
Mit „Release e.V.“, die Berliner Keimzelle von „Synanon“, unterstützte er seit Anfang der 70er Jahre Fixer auf ihrem Weg in die Drogenfreiheit. Joachim hatte die Idee, eine Druckmaschine zu spenden, mit der der Verein Geld verdienen konnte. Aus den bunten Straßenfesten, an denen die Gemeinde maßgeblich beteiligt war, hat sich im Lauf der Jahre der „Karneval der Kulturen“ entwickelt. Eine aufreibende Lebensphase für Joachim, seine Frau Karin und die zwei Kinder.
Es wurde Zeit für einen Wechsel. Er bewarb sich auf die Auslandspfarrstelle in Hongkong. Der Stadtstaat war noch unabhängig, China begann, sich zu liberalisieren, Taiwan litt unter den Fesseln einer Militärdiktatur. Joachim sollte die Deutschsprachigen in diesen drei Regionen zu betreuen, vor allem Diplomaten, Leute aus Wirtschaft und Medien und deren Angehörige. Weit weg von Zuhause, ohne Internet und tägliche Telefonate war die Gemeinde für viele eine Art Heimat in der Fremde. Der Umgang mit den Machthabern forderte dem Pfarrer diplomatisches Geschick ab. Den Berliner Bischof bereitete er auf einen Taiwan-Besuch vor; gemeinsam überlegten sie, wie man sich für die Begnadigung von acht zum Tode verurteilten Oppositionellen einsetzen konnte.
Sein Interesse führte ihn weit über den nicht ganz kleinen Einsatzbereich hinaus: In Poona, Indien traf der protestantische Pfarrer den umstrittenen Guru Bhagwan, der ihm den Namen „Deva Ashok“ gab, „göttliches Nicht-Unglück“.
Zurück in West-Berlin war er Pfarrer an der Hochmeisterkirche und arbeitete in der Ausbildung; er war eine Instanz. So waren manche erstaunt, dass er 1995 die komfortable Position verließ und sich zum Superintendenten und Gemeindeleiter im brandenburgischen Wittstock wählen ließ, damals der ärmste Kirchenkreis in einer strukturschwachen Region.
Nach der Vereinigungseuphorie war man dort skeptisch gegen alles, was aus dem Westen kam; die Kirchen waren leer. Joachim wusste, dass er sich zurückhalten und zuhören musste. Kirchen, die über Jahrzehnte dem Verfall preisgegeben waren, zu sanieren, Kirch- und Bürgergemeinde zu verbinden, das waren seine Anliegen. An die 200 Bücher hat er in seinem Lesekreis vorgestellt und besprochen. Dass Kirche viel mehr ist als leere Bänke am Sonntag, sprach sich herum.
Als „Pfarrer emeritus“, so heißt das bei Ruheständlern, kam Joachim Christoph nach Berlin zurück und blieb gefragt für Taufen, Trauungen und Bestattungen. Als er selbst zu Grab getragen wurde, nahmen viele Abschied, denen er als Pfarrer bei ihrer Trauer zur Seite gestanden hatte.
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