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Nachruf auf Jürgen Schau: Frisch drauflos
Als er zur Welt kam, stöhnten drumherum Verletzte. 45 Jahre später hob er Julia Roberts auf die Berliner Mauer
Stand:
Die Menschen stöhnten vor Schmerz in ihren Betten. Dann öffnete sich die Tür des Saales und hereinkam eine Nonne. Auf ihren Armen ein freundlich lächelndes Kind, gerade zur Welt gekommen, das sie wie eine prächtige Monstranz eine ganze Stunde vor sich hertrug, um es den Verletzten zu zeigen. Seht, sagte sie, dieses Kind bedeutet Leben, es wird weiter gehen, besser werden.
Es geschah im Kloster Benediktbeuern in Oberbayern, kurz zuvor waren Bomben auf eine Fabrik des Ortes gefallen, auf den Körpern so vieler verheerende Brandwunden, man hatte das Kloster für eine Weile zu einem Krankenhaus umfunktioniert.
Jürgens Mutter, gertenschlank und blond und aus Düsseldorf stammend, hatte sich zuvor auf den Weg nach München gemacht, hatte als Sekretärin gearbeitet und war schwanger geworden.
Der Krieg rückte immer näher, sie ging nach Benediktbeuern, wo sie auf das Ende der Schwangerschaft wartete.
Zwei Jahre noch blieb sie mit Jürgen in Bayern, oft saß er auf dem Schoß eines Bauern, der ihn in diesen Hungerzeiten mit Speck fütterte. Sein Vater blieb im Krieg.
„Der Jung, der Jung!“
1947 ging die Mutter zurück nach Düsseldorf. Jürgens Großvater übernahm nun die Vaterrolle. Sie wohnten in Düsseldorf-Reisholz, einer Industriegegend, Jürgen lief sofort nach der Schule zu ihm, der hinten im Hof bei den Hühner- und Kaninchenställen saß, und rief: „Der Jung, der Jung!“ Sein Leben lang würde man bei Jürgen denselben rheinischen Singsang heraushören. Er war beim Schlachten dabei und trug ein Jäckchen mit Kaninchenfellkragen. Er hörte sich die abenteuerlichen Geschichten des Großvaters an, wie er zwei seiner Finger verloren, wie er als Taucher beim Bau der Rheinbrücke mitgearbeitet hatte.
Nach der achten Klasse verließ Jürgen die Volksschule. Was er rückblickend doch ein wenig bedauerte, denn er hätte gern an höherer Bildung teilgenommen. Er besuchte eine Handelsschule, und dann las seine Mutter eine Anzeige für eine Ausbildung bei der UFA-Werbefilm. Da gehst du hin, bestimmte sie, und er ging hin, drei Jahre lang, in die Welt der Reklame, wie man damals, Anfang der Sechzigerjahre, noch sagte.
Aber die Ausbildung war ein bisschen schmal, die Mehrheit der Lehrlinge versagte bei der Abschlussprüfung. Und Jürgen? Der nahm das nicht einfach nur hin. Er setzte sich hin und verfasste einen Beschwerdebrief an die „Rheinische Post“. Der Brief dieses gerade mal 19-Jährigen zeigte tatsächlich Wirkung. Düsseldorfer Werbegrößen kamen an die Schule und hielten Vorträge.
Nach einem dieser Vorträge schlenderte er so herum, im weißen Trenchcoat und mit Kennedy-Frisur, als eine junge Frau vorbeikam. „Hey“, sagte Jürgen. Und Elfie dachte: „Aha.“
Sie heirateten und zogen nach Meerbusch. Arbeiteten beide in Werbeagenturen. Die Zeit im Umbruch. Mädchen trugen Röcke, die eher an Gürtel erinnerten. Die Beatles sangen „Lucy in the Sky with Diamonds“. Die jungen Leute vermuteten hinter dem Titel ein Akronym und probierten diese Substanz, alles wurde noch farbenfroher und wilder, auch in der Reklame, die man nun Werbung nannte.
Und mittendrin Jürgen. Leichtfüßig, einfallsreich, freundlich.
Frisch drauflos
20 Jahre vertrat er den „Kaufhof“. Seine Kunden waren eher alte, altmodische Herren, vor denen er nun mit seinen Präsentationspappen stand und frisch drauflos redete – und die Herren überzeugte. Ein genialer Verkäufer. Er trug Jacken von Issey Miyake. Ihm persönlich was das relativ egal. Jedoch nicht Elfie. „Das machte alles die Frau Schau“, sagt sie belustigt. Wie sie ihn auch, wenn sie über ihn spricht, „der Schau“ nennt, worin sich die ganze liebevolle Verspieltheit der beiden zeigt.
Eines Tages, wir sind jetzt am Ende der Achtziger, klingelte Jürgens Telefon. Er sei Headhunter, sagte der Anrufer, er suche einen neuen Geschäftsführer für Columbia TriStar, eine amerikanische Filmproduktionsfirma. Jürgen hatte im Grunde keine Ahnung vom Film, wollte aber eine berufliche Veränderung. Also fuhr er zu Columbia nach New York, saß in einem riesigen, teakholzgetäfelten Raum gegenüber einer Riege von Filmbossen und redete. Am Ende das übliche Don’t call us, we’ll call you. Vier Tage verstrichen, dann erneutes Klingeln seines Telefons und das Wort: Yes.
Er begann am 1. April 1989 in München. Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Am 10. Februar 1990 startete die „Berlinale“ zum ersten Mal im Ostteil der Stadt, im „Filmtheater Kosmos“ in der Karl-Marx-Allee. Gezeigt wurde „Magnolien aus Stahl“ mit Sally Field und Julia Roberts.
Mit einem Pressetrupp fuhr die Filmmannschaft zur Grenze, Julia Roberts, hierzulande noch ganz und gar unbekannt und in Lederjacke und Latzhose, wollte hoch auf die Mauer, Jürgen faltete seine Hände, sie setzte einen Fuß darauf, er hob sie empor und oben angekommen formte sie das Victory-Zeichen.
Als Jürgen später mit ihr an der Bar saß, sagte sie unbekümmert: You know, in the next movie I’m going to play a prostitute.
Columbia TriStar wurde von Sony gekauft, und Jürgen sprang von einem Blockbuster zum nächsten, „Men in Black“, „Spider-Man“. Er überlegte sich 2000 den Umzug von München an den Potsdamer Platz in Berlin, die Idee für den schwächelnden deutschen Film, der sich nun erholte. Und er war es auch, der aus „Groundhog Day“ „Und täglich grüßt das Murmeltier“ machte.
Dann kamen die neuen jungen Menschen. 2003 zog sich Jürgen aus dem Geschäft zurück.
Er reiste mit Elfie um die Welt. Sie beobachteten Wale. Sie adoptierten Wale. Sie kauften ein Häuschen auf Neufundland, 80 Meter entfernt vom Wasser. Sie entdeckten, dass es viele Papageientaucherjunge nicht allein ins Meer schaffen und richteten eine Puffin Patrol, eine Papageientaucherpatrouille, ein. Jürgen trug jetzt keine Miyake-Jacken mehr. Scherzte in einem Interview: „Julia Roberts here, puffin there, right.“
Und Elfie sagt, nun, da Jürgen gestorben ist: Wenn ich auf die See blicke und der Schau steht nicht mehr neben mir, ist das kaum auszuhalten.
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