Berlin: „Neukölln ist härter“
Am Freitag war Premiere des Detlev-Buck-Films „Knallhart“. Die Jugendlichen aus dem Kiez finden den Film nicht realistisch genug
Der Junge mit dem Kapuzenpulli hat keine Chance. Er liegt gekrümmt am Boden, zu fünft treten sie auf ihn ein. Gesichter sind nicht zu erkennen, die Kamera wackelt. Mehrmals versucht der Junge auf die Beine zu kommen und wegzurennen. Aber die anderen sind schneller, treten ihn in den Bauch, in den Rücken, ins Gesicht. 38 Sekunden geht das so. Dann Schwarzbild.
Die Prügelei ist keine Szene aus Detlev Bucks neuem Film „Knallhart“, der Gewalt unter Jugendlichen in Neukölln zeigt. Sondern eine Videoaufnahme, die Yuossen Attamjaoui auf seinem Handy hat. Und sie ist nicht mit Schauspielern nachgestellt, sondern wirklich passiert. „Hier, Hermannstraße, siehst du?!“ Yuossen ist 15, Neuköllner, Deutscher mit ägyptischen Eltern. Und war gerade in der Premiere von „Knallhart“. Regisseur Buck wollte keine „Schicki-Party am Potsdamer Platz“ feiern, sondern lieber „ein Volksfest in dem Kiez, in dem der Film stattfindet.“ Also hat er die Karli-Kinos in den Neukölln-Arcaden gebucht. Alle neun Säle sind ausverkauft, 2500 Besucher wollen den Film sehen und anschließend zur Premierenparty ins alte Hertie-Gebäude gegenüber vom Rathaus. Einige Promis sind da. Und viele junge Menschen, denen man ansieht, dass sie wahrscheinlich in Mitte oder Prenzlauer Berg wohnen, vielleicht auch in Kreuzberg. Wie die Neuköllner Jugendlichen im Film sehen sie jedenfalls nicht aus. Keine Bomberjacken, keine Schlabberhosen. Yuossen Attamjaoui und seine Freunde fallen mit ihren Baseball-Kappen in der Menge auf. Neuköllner sei man mit Stolz, sagt Yuossen. „Forty-four eben.“ So nennen sie ihren Stadtteil, wegen der 44 damals in der alten Postleitzahl. „Forty-four forever!“, ruft ein Freund. Yuossen hat noch mehr Gewaltfilme auf dem Handy. Die hätten Freunde aufgenommen, sagt er. „Happy Slapping“ nennen das die Soziologen, wenn Jugendliche ihre Gewalttaten mit dem Handy filmen. Yuossen nennt das einfach „Filmchen machen“.
„Knallhart“ hat Yuossen nicht so gut gefallen, „der war zu unrealistisch“. Haben die Kritiker also doch Recht, die Buck in den letzten Wochen vorwarfen, sein Film übertreibe maßlos und fantasiere sich ein Ghetto-Bild von Neukölln zusammen? Wie der Grüne Abgeordnete Özcan Mutlu, der im Tagesspiegel-Interview von „Schwarz-Weiß-Malerei“ sprach? Nein, so meint Yuossen das nicht. Sondern so: „Zum Beispiel, wo der Typ im Hausflur verprügelt wird. Wie der so am Boden liegt und der andere schlägt nur auf ihn ein. Also ich trete dann gleich noch, das kommt härter.“
Yuossen fühlt sich ziemlich wichtig vor seinen Freunden. Die stehen um ihn herum und nicken beifällig. Yuossen, der Wortführer, sagt schließlich: „Neukölln ist härter als im Film.“ Soll man ihm glauben? Auch Alexander Roggan findet den Film in manchen Szenen „nicht echt“. Der 18-Jährige kommt zwar nicht aus Neukölln, sondern aus Kreuzberg 61. Aber dort gehe es ähnlich zu wie in Neukölln. Die Details im Film, die seiner Meinung nach nicht stimmen: Wenn einer bedroht wird und sein Handy hergeben soll, es aber gar nicht dabei hat, dann werde derjenige – anders als im Film – „nicht sofort zusammengeschlagen. Also zumindest nicht immer!“ Alexanders Freundin fällt auch etwas ein: „Das Dealen in der Hasenheide – total unrealistisch!“ Im Film arbeitet die Hauptperson als Drogenkurier, soll einem Dealer im Park Haschisch vorbeibringen und dafür 1500 Euro kassieren. „Die wären schön blöd, wenn sie im echten Leben so viel Geld mit sich in der Hasenheide rumschleppen würden.“
Die Darsteller sind auch auf der Party. Kai Michael Müller spielt im Film einen Jugendlichen, der sich einer Gruppenprügelei nur durch Wegrennen entziehen kann. Im richtigen Leben ist er 14 und geht in Charlottenburg zur Schule. Da sei die Situation vergleichsweise harmlos. Dass Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) die Darsteller kurz vor der Premiere im Rathaus empfangen hat, findet Kai gut. Aber richtig verstehen könnten Politiker die Sache mit der Jugendgewalt nicht. „Die sagen Dinge wie: ,Seid cool und hört auf damit.‘ Die haben noch gar nicht verstanden, dass Starksein und Zuschlagen eben als besonders cool gelten.“ Eine richtige Mode sei das geworden. Sogar bei ihm in Charlottenburg.