Berlin: Paris und London wachsen – Berlin schrumpft
Bis 2050 wird die deutsche Single-Hauptstadt voraussichtlich 300 000 Einwohner verlieren
Stand:
Das Problem ist nicht neu. Als der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz im April 1967 eine Regierungserklärung abgab, sah er den Westteil Berlins „in den nächsten Jahren in die kritischste Phase seiner sozialen Belastung eintreten“. Der Anteil der Bürger über 65 Jahre werde bis 1971 von 20,5 auf 22 Prozent steigen, warnte der Sozialdemokrat. Die eingemauerte Stadt konnte Familien und jungen Leuten kaum noch eine vernünftige Lebensperspektive bieten. Wer es sich leisten konnte, zog weg.
Heute ist Berlin jünger als damals: Knapp 18 Prozent der Bewohner haben das Rentenalter überschritten. Aber 2020 wird der Anteil der über 65-Jährigen laut Bevölkerungsprognose des Senats die 20-Prozentmarke erreichen. Es gibt also (wieder) ein demographisches Problem, das von der Politik ernst genommen werden muss. Berlin verliert, wenn nicht erfolgreich gegengesteuert wird, bis 2050 über 300 000 Einwohner. In der Hauptstadt werden dann voraussichtlich nur noch 3,1 Millionen Menschen wohnen. Dagegen rechnen andere Hauptstadtregionen – besonders London und Paris (Ile de France) – mit einem stetigen, hohen Bevölkerungswachstum.
Es hilft Berlin wenig, dass seine Umgebung noch stärker schrumpft. Brandenburgs Einwohnerzahl wird, das sagen die Statistiker, von 2,6 Millionen (1990) auf 1,8 Millionen (2050) sinken. Und in Berlin sind seit dem Mauerfall bis heute mehr als 550 000 Berliner gestorben, aber nur 450 000 Kinder wurden geboren. Die jährliche Zahl der Geburten sinkt weiter. Berlin ist Single-Hochburg: Jeder zweite Haushalt besteht aus einer Person. Die Zuwanderung, vor allem aus dem Ausland und den ostdeutschen Ländern, kann den natürlichen Bevölkerungsverlust und die Abwanderung ins brandenburgische Umland kaum ausgleichen. Bei den Migranten zeichnet sich übrigens ein neuer Trend ab: Waren es früher Menschen aus der Türkei, Nahost, Ex-Jugoslawien und Russland, die nach Berlin kamen, sind es nun Polen und andere Mittel- und Osteuropäer.
Weil nicht genügend Kinder nachwachsen, wird das Durchschnittsalter in Berlin von 39 (1990) auf 44 Jahre (2020) steigen. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre verringert sich in diesem Zeitraum um 25 Prozent, wenn es nicht gelingen sollte, aktiv gegenzusteuern. Dagegen erhöht sich bis 2020 die Zahl der über 65-Jährigen um 30 Prozent und der über 75-Jährigen um mehr als 50 Prozent. Der „Alterungsprozess“ Berlins wird nicht nur für die deutsche Bevölkerung vorausgesagt, sondern auch für die Migranten. Der demographische Wandel ist multikulturell.
Für die Sozialsysteme, aber auch für die Volkswirtschaft ist das eine kritische Entwicklung. Denn die erwerbsfähige Bevölkerung wird sich bis 2020 spürbar verringern. Ein schmerzhafter Fachkräftemangel könnte die Folge sein. Für Studenten und Akademiker mag Berlin in der Zukunft attraktiv genug sein, um in die Stadt zu ziehen. Auszubildende kommen aber nicht von allein, Schüler erst recht nicht. Vor zehn Jahren gab es in der Hauptstadt noch fast 1000 allgemeinbildende Schulen, im vergangenen Schuljahr waren es nur noch 870. Und immer mehr Kinder wachsen in Haushalten auf, in denen es nur ein Elternteil gibt. Die traditionelle Konstellation – Vater, Mutter, Kind – gibt es nur noch in der Hälfte der Berliner Familien.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: