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Peter Neitzke (1938-2015)

© Privat

Berlin: Peter Neitzke (Geb. 1938)

Er demonstrierte in vorderster Reihe mit, aber immer gut gekleidet.

Am Rande einer Demonstration der KPD / AO in West-Berlin trafen sie sich wieder. Uli durfte nicht mehr mitmarschieren, denn ihn hatte die Partei gerade ausgeschlossen. Peter Neitzke trat aus dem Block und gab Uli die Hand. Was wiederum die übrigen Genossen argwöhnisch stimmte: Was hatte er mit "diesem Element" zu tun, so nannten sie die Ausgeschlossenen. Kurz zuvor hatte Peter im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei für den Ausschluss von Uli gestimmt. Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen und reichte ihm die Hand. Wenig später wurde Peter selbst ausgeschlossen.

Uli war verheiratet mit Friederike, deren Bild immer gedruckt wird, wenn es um die Studentenbewegung geht: die blonde junge Frau, die den Kopf des sterbenden Benno Ohnesorg hält. Dieser Tod hatte Peter Neitzke – wie so viele andere – damals dazu gebracht, aufs Ganze zu gehen.

Den Freispruch eines NS-Juristen durch einen Richter namens Ernst-Jürgen Oske stellte er in einer Rede in den großen Zusammenhang: "Richter Oske teilt mit seinen Kollegen die genau umrissene Aufgabe, den Bestand des Staates zu schützen. Wessen Staates? Des Staates einer verschwindenden Minderheit von Ausbeutern, die im Verein mit den Arbeiterverrätern aus der SPD und den DGB-Bürokraten die Massen niederhalten." Da war das gerade bewilligte Stipendium der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung für Peter Neitzkes Zweitstudium Soziologie schnell wieder weg.

Er fand, dass man die Verhältnisse umstürzen müsse, und dass das nur mit einer Kaderpartei möglich sei. Die Genossen lasen bei Lenin nach, wie das geht, und schufen die Aufbauorganisation einer neuen KPD, die KPD / AO. Der Ton wurde strenger und kompromissloser, Gefährten von einst wandten sich ab, und das Selbstbewusstsein der Revolutionäre wuchs umso mehr. Die Optimisten unter ihnen waren sich sicher, dass West-Berlin in vier Jahren eine Räterepublik sein würde, die Pessimisten gingen von zehn Jahren aus. Das Gründungsmanifest, das Peter Neitzke mitverfasste, nannten sie „Thesenpapier“. Ihre Ironie legten sie nicht ganz ab.

Peter Neitzke war älter als die anderen vom SDS, er hatte schon Frau und Kind. Seine Genossen hielten sich gern in seiner Wohnung in der Knesebeckstraße in Charlottenburg auf. Sie staunten, wie viele Gedanken sich einer um Einrichtung und Ausrichtung der Lampen machen konnte.

Mutter, Sohn und Tochter überlebten in einem Versteck

Er demonstrierte in vorderer Reihe mit, aber immer gut gekleidet. Aufs gute Benehmen legte er Wert. Er hatte schon ein Architekturstudium an der TU hinter sich, war Student bei Oswald Ungers und arbeitete bei Peter Poelzig, der das Urbankrankenhaus in Kreuzberg entwarf. Die Architekten der Nachkriegsmoderne teilten ihren unerschütterlichen Fortschrittsglauben mit den Linken in der Politik.

Peters Vater, Glasermeister und Kunsthändler in Charlottenburg, war Sozialdemokrat und Mitglied im Reichsbanner Schwarz Rot Gold, seine Mutter war Jüdin mit Sympathien für die Kommunisten. Die Ehe schützte sie während der ersten Jahre der Nazizeit. Als der Vater sich weigerte, sich scheiden zu lassen, kam er ins Arbeitslager. Der Mutter schärfte er vorher ein, nie den gelben Stern zu tragen. Mutter, Sohn und Tochter überlebten in einem Versteck bei Potsdam.

Den politischen Kurs des Sohnes beobachteten die Eltern später mit Sorge. Sie hatten ihm schon nahegelegt, bevor er Maler werden würde, was er eigentlich vorhatte, etwas Richtiges zu lernen. So war er zur Architektur gekommen. Dass er außerdem Marxist geworden war, fanden sie nicht weiter schlimm, jedenfalls nicht prinzipiell. Aber mit dem Marxismus kann man schlecht Geld verdienen.

Ein Freund nannte ihn im Zentralkomitee gern „Bruno Lamentini“ wegen seines Faibles für Italien und weil er ständig Vorbehalte äußerte. Über seinen Partei-Ausschluss war er erleichtert.

Im Rheinland – dahin hatte ihn noch die Partei entsandt, um der dortigen Arbeiterklasse zum richtigen Bewusstsein zu verhelfen – fing er als Lektor in einem Verlag an und betreute das Architekturprogramm. Später gab er die Buchreihe "Bauwelt Fundamente" heraus. Er schrieb Artikel zum Städtebau und immer wieder zu den sozialen Verwerfungen in den Metropolen. Dass die Kommunisten nicht die richtigen Antworten gefunden hatten, hieß ja nicht, dass die Verhältnisse gut waren.

Irgendwann in den Achtzigern reichte eine junge Architektin aus der Schweiz ein Manuskript ein. Das war Elisabeth, zu ihr zog er, nach Zürich. Sie schrieben zusammen Aufsätze und Bücher, schoben Projekte an. Am liebsten diskutierten sie im Kaffeehaus unweit ihrer Wohnung, sie gingen auf Städtereisen, um auf neue Ideen zu kommen. Elisabeth fand, sie sollten nach Berlin ziehen. Hier ist es doch auch schön, sagte er. So blieben sie in Zürich. Das Erscheinen seines Romans, gespickt mit Autobiografischem, erlebte er nicht mehr.

Gunnar Hinck

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