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Berlin: Plötzlich verwundbar geworden Wie der Jüngste Tag

Ein Sonntagsgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Wie türkische Blätter über die Naturkatastrophe in Südasien berichten

Wie leer gefegt sah gestern Morgen der Breitscheidplatz aus. Weder Touristen, noch das übliche Elend der Gestalten, die am Rande der Gesellschaft leben, bevölkerten das weite Areal. Heftig pfiff der Wind und wehte die Kirchgänger förmlich in die angenehm temperierte KaiserWilhelm-Gedächtniskirche.

Eine ganz besondere Stille vermeinte man dort gestern unter dem Eindruck der Flutkatastrophe im Kirchenraum zu spüren. Auf dem Altar spendeten hohe Kerzen warmes Licht , rechts und links von Amaryllissträußen geschmückt. Meist sichtlich gut situierte Besucher in der zweiten Lebenshälfte füllten einigermaßen die Reihen. Nur ganz hinten nahm einer derjenigen Platz, die ihre Obdachlosigkeit durch bunte Plastiktüten verraten, in denen sie ihre Habe mit sich führen.

Regungslos verfolgt der Mann im mittleren Alter den Gottesdienst, den aufrauschendes Orgelspiel eröffnet, bevor die Pfarrerin Susanne Dannenmann ihre Gemeinde begrüßt. Allen voran die Hauptperson an diesem ersten Sonntag im neuen Jahr – die winzige Zoé. Im Kreis ihrer Angehörigen wartet sie vor der mit Lichtern geschmückten Tanne auf das wichtigste Ereignis ihres erst kurzen Lebens – ihre Taufe.

In den Kreis derjenigen wird sie damit aufgenommen, von denen Jesus im Kapitel 9 des Markus-Evangeliums spricht: „Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt.“ Wer glaubt, vertraut auch, dass die Liebe Gottes ihn schützt, sagt die Pfarrerin. Und Baby Zoé beweist Urvertrauen – mucksmäuschenstill erträgt es die Taufzeremonie. „Ich möchte, dass er mit mir geht“, singt anschließend die Gemeinde, bevor die Pfarrerin daran ihre Predigt anknüpft.

Ohne die anderen wären wir unglücklich und einsam, sagte sie und nennt Jesus, der uns den Weg ins Reich Gottes zeige. Doch auch Jesus brauche dazu Menschen, die ihm helfen. „Wahrlich, ihr werdet den Himmel offen sehen“, sagt er im 1. Kapitel des Johannes-Evangeliums zu Nathaniel. „Was kann aus Nazareth Gutes kommen“, hatte dieser an dem Menschensohn gezweifelt, bis Jesus ihn an sich glauben machte. Hielt er doch Nathaniel für einen offenen und ehrlichen Menschen. So einer lässt sich nicht blenden – und so einer liegt auch nicht schon wieder in der Sonne am Strand, während ringsum noch die Opfer geborgen werden – schlägt die Pfarrerin die Brücke in die kaum fassbare Gegenwart der Flutkatastrophe.

Katastrophen gebe es aber nicht nur dort – mit Kriegen, Terror und Korruption reichten sie bis zu uns. „Es gibt keine Trennung mehr. Wir sind verwundbar geworden – in unserer sozialen Stellung, in unseren Gefühlen“, sagt Susanne Dannenmann.

Wer aber den Himmel auf Erden sehen wolle, müsse sich ohne Falsch begegnen – Jesus brauche Menschen, die sich ins Gesicht sehen. Erst dann sei wirklich Frieden auf Erden. hema

Auch die türkischen Blätter reagierten auf die Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean mit Entsetzen. „Wie der Jüngste Tag“, titelte die Hürriyet am Montag über den Bildern aus den überschwemmten und verwüsteten Gebieten in Fernost. „300 Türken vermisst“, lautete die Schlagzeile der Tageszeitung Türkiye am Dienstag. Die Regierung holte alle überlebenden Türken mit einem staatseigenen Flugzeug nach Hause – darunter einige Prominente wie den türkischen Nationalspieler Emre Asik und den Jugendtrainer des Fußballclubs Galatasaray Istanbul Suat Kaya.

Die Berichte in den türkischen Printmedien ähnelten denen in deutschen Zeitungen oft nahezu wörtlich. Der Außenminister Abdullah Gül rief das türkische Volk zu Spenden auf, auch er zählte die „eigenen“ Vermissten und die Toten. Am Wochenende wurde vermeldet, dass noch neun Türken im Katastrophengebiet als vermisst gelten und dass ein ums Leben gekommener Landsmann nach Istanbul überführt wurde.

Auf den Europa-Seiten fiel in der vergangenen Woche ein großes Interview auf: Die Hürriyet sprach ausführlich mit der Fraktionschefin der Berliner Grünen, Sibyll Klotz. Die Hürriyet füllte damit immerhin die komplette dritte Seite der wöchentlichen Berlin-Beilage, die der Zeitung an jedem Mittwoch beigefügt wird. Bemerkenswert sind bei den Interviews türkischer Zeitungen mit deutschen Politikern immer wieder die Fragen. „Wenn Sie eine Türkin oder türkischstämmige Deutsche wären, wie würden Sie sich bei der derzeitigen Diskussion über die Türkei innerhalb der CDU fühlen?“, fragte die Hürriyet. Oder: „Verstehen Sie, dass sich viele Türken wegen der Türkeipolitik der CDU/CSU diskriminiert fühlen?“ In einer weiteren Frage wollten die Journalisten von Sibyll Klotz wissen, was sie von türkischen Familien in Berlin erwarte.

Sibyll Klotz antwortete diplomatisch bis direkt. Die Überschrift der Interviewseite verkündete: „Die Türkei wird für innenpolitische Ziele missbraucht.“ In den Unterzeilen fasste die Hürriyet die wesentlichen Aussagen der Politikerin so zusammen: „Sibyll Klotz erklärte, dass die Diskussion über die EU-Mitgliedschaft der Türkei sie befremdet. Sie betonte, dass der Weg der Integration nur über das Lernen der deutschen Sprache geht. Gleichzeitig sagte sie, sie könne sich vorstellen, dass in 30 Jahren ein Zuwanderer, dessen Eltern in Istanbul, Warschau oder anderswo auf die Welt kamen, Bürgermeister von Berlin wird.“ Suzan Gülfirat

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