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„Er war verzweifelt“: Anwälte im Prozess um erstochene Mutter Zohra G. plädieren auf Totschlag
Mordmerkmale sah die Verteidigung als nicht gegeben an und plädierte für eine Strafe von nicht unter zehn Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor lebenslange Haft wegen Mordes gefordert.
Stand:
Prozess um Tod von Zohra G.: Mord oder Totschlag? Gul A. aus Afghanistan erstach seine Ehefrau, die sich von ihm getrennt hatte. Die Verteidiger sehen nach neunmonatigem Prozess keine Mordmerkmale. Er zeterte und klagte wieder einmal. „Ich fühle mich in meinen Rechten eingeschränkt, ich rede hier um mein Leben“, beschwerte sich Gul A. vor dem Berliner Landgericht.
Er hatte am Freitag im Prozess um den Tod der sechsfachen Mutter Zohra G. nach den Plädoyers das letzte Wort. Es wurde eine stundenlange und noch nicht beendete Rede, in der er, der seine Frau erstochen hat, sich bedauerte. Seine Verteidiger hatten zuvor beantragt, den 43-Jährigen aus Afghanistan als Totschläger und nicht als Mörder zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft hat auf lebenslange Haft wegen Mordes plädiert.
Nach der Trennung stach er zu
Es war 9.54 Uhr, als Gul A. am 29. April 2022 an der Kreuzung Maximilian-Mühlenstraße in Berlin-Pankow an eine Frau mit Kopftuch herantrat: Zohra G., 31 Jahre alt. Die sechsfache Mutter hatte sich Wochen zuvor von Gul A. getrennt. Auf der Straße kam es zu einem Streit und einem Handgemenge. Dann stach er zu – 13 Stiche und Schnitte, dann ein tiefer Schnitt in den Hals. Es geschah nur hundert Meter entfernt von dem Flüchtlingsheim, in dem Zohra G. mit den sechs gemeinsamen Kindern lebte.
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ermordete A. die 31-Jährige, weil er „das eigenständige Leben seiner Frau nicht hinnehmen wollte“. A. habe nach der Ankunft in Berlin Anfang 2020 alte Gewohnheiten wieder aufgenommen, ein Frauenbild aus seiner Heimat gehabt und Gleichberechtigung nicht akzeptieren wollen, sagte Oberstaatsanwalt Ralph Knispel in seinem Plädoyer vor zwei Wochen. Wegen der Trennung der 31-Jährigen habe sich A. rächen und seine verletzte „Ehre“ durch die Tötung wiederherstellen wollen. Ein „Femizid“, so einer der Anwälte der Nebenklage.
„Er war verzweifelt“
Die Beweislage scheint erdrückend. Es gibt Zeugen und Videos. Die Anklage geht von niedrigen Beweggründen als Mordmerkmal aus. Verteidiger sehen den Fall anders. „Die grauenvolle Tötung hat er begangen“, begann Anwalt Valentin Babuska sein Plädoyer. Doch: „Faktoren wirkten auf dramatische Weise zusammen - Totschlag ist die gerechte Interpretation des Tatgeschehens.“ Dass man ihm die Kinder entziehen könnte, sei „die zentrale Angst“ des Angeklagten gewesen – „er war verzweifelt“.
„Was geschah, ist unverzeihlich“, so Anwalt Robert Tietze. Bei dem Geschehen habe es allerdings nicht sofort ein Töten gegeben. „Es gab einen Streit, es wurde an einem Rucksack gezogen, in dem die Ausweise der sechs Kinder waren.“ Zeugen hätten von einem „Tunnelblick“ bei A. gesprochen, er habe „irre“ gewirkt. Er habe auch keinen Plan gehabt, sei nach der Tat orientierungslos gewesen. Der Angeklagte sei ein „sprachunkundiger Analphabet, in unser Wertesystem hineinkatapultiert“. Die Verteidigung beantragte eine Strafe nicht unter zehn Jahren Haft wegen Totschlags.
Emanzipation nach der Flucht
Er hatte Zohra G. 2008 in Afghanistan nach islamischem Recht geheiratet. Da war sie 17 Jahre alt. Eine arrangierte Ehe sei es gewesen. Zohra G. brachte bis 2019 sechs Kinder zur Welt. 2016 habe die Flucht aus Afghanistan begonnen. Über mehrere Stationen kam die Familie Anfang 2020 in Berlin an und lebte in einem Flüchtlingsheim. In Deutschland soll sich Zohra G. zunehmend emanzipiert haben. Gul A. hatte die Tötung zugegeben, aber von einem „Unfall“ gesprochen. Er habe etwas „Dummes“ gemacht ohne Absicht, er sei provoziert worden.
Nach 32 Prozesstagen sollte alles gesagt sein – ein Urteil schien möglich. Doch Gul A. redete und jammerte: „Es ist doch ein Scheißleben, das ich hier in Deutschland habe“, bemitleidete er sich. Er habe hart gearbeitet, um die Flucht, die er gar nicht gewollt habe, zu bezahlen – „alles habe ich für sie und die Kinder getan“. Nach fast drei Stunden war er noch längst nicht fertig mit seinem letzten Wort. Am 25. September geht der Prozess weiter.
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