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Queere Bildungsprojekte in Berlin vor dem Aus: Senatorin Katharina Günther-Wünsch muss Klarheit schaffen
Mehrere Träger fürchten das Aus für queere Bildungsangebote an Berlins Schulen. Denn ihre Projekte fehlen im Haushaltsentwurf. Hier muss die Bildungssenatorin schnell für Transparenz sorgen.

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Wochenlang beherrschte der Fall Oziel Inácio-Stech in diesem Sommer die Schlagzeilen. Der schwule Lehrer war an seiner Berliner Grundschule massiv gemobbt worden. Doch statt Queerfeindlichkeit in Schulen den Kampf anzusagen, hat die CDU-geführte Bildungsverwaltung in ihrem Haushaltsentwurf die Förderung zahlreicher queerer Bildungs- und Beratungsangebote gestrichen. Bislang waren in dem Etat einzelne Projekte aufgelistet. Nun tauchen Träger, die seit Jahren Workshops in Klassen und Fortbildungen für Lehrkräfte anbieten, nicht mehr auf.
Lediglich 500.000 Euro sind für queere Bildung vorgesehen; deutlich weniger als bislang. Ob etablierte Projekte wie Queerformat, Queerleben, queer@school und andere ab dem kommenden Jahr noch Geld bekommen, ist unklar. Auch in den laufenden Haushaltsberatungen verrät Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) bislang nicht, ob und wie es mit der queeren Bildung weitergeht – trotz Nachfrage mehrerer Abgeordneter im vergangenen Bildungsausschuss.
Auch auf die Frage, nach welchen Kriterien und welchen Verfahren künftig über Zuwendungen entschieden wird, gab es keine Antwort. Selbst der Koalitionspartner SPD zeigte sich ob dieser Intransparenz irritiert. Unklar bleibt zudem, wann überhaupt etwas entschieden wird. Das bedeutet eine große Unsicherheit für die Projekte selbst, vor allem aber für die Mitarbeitenden, die nun zittern müssen, ob sie ab Januar noch einen Job haben oder nicht.
Von Günther-Wünschs Verwaltung heißt es lediglich lapidar, dass Fragen von Vielfalt und queerer Bildung auch künftig eine Rolle im schulischen Kontext spielen würden. In welchem Rahmen – und ob auch künftig die Expertise der externen Projektträger genutzt wird – ungewiss.
Vielmehr schiebt die Bildungsverwaltung die Verantwortung ab: Über konkrete Förderentscheidungen oder gar das Ende einzelner Projekte zu spekulieren, greife der Arbeit des Abgeordnetenhauses unzulässig vor und sei irreführend, heißt es.
Dabei wäre es zunächst einmal Aufgabe des Hauses von Günther-Wünsch gewesen, in ihrem Haushaltsentwurf klarzumachen, dass es die Arbeit der Projekte mit Expertise, dass es die Träger mit jahrzehntelanger Erfahrung braucht. Und dass es mehr Geld braucht statt weniger: Schließlich hat der Senat selbst – in diesem Fall die Sozialverwaltung – kürzlich in einem Bericht an den Hauptausschuss festgestellt, dass die Nachfrage nach Workshops zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in Schulen viel größer ist als das Angebot. Und dass die bislang vom Land geförderten Projekte die Nachfrage überhaupt nicht abdecken können.
Spätestens jetzt sollten Günther-Wünsch und ihre Verwaltung diese Klarheit schaffen. Wenn es dieser Koalition, wenn es der Bildungssenatorin ernst ist im Kampf gegen Queerfeindlichkeit an Schulen, dann sollte sie konkret benennen, wie die Mittel, die in ihrem Haushaltsentwurf vorgesehen sind, konkret eingesetzt werden sollen – wie Projekte ausgewählt werden und wann. Sonst verliert die gesamte Koalition, die sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet hat, mehr gegen Queerfeindlichkeit zu tun, an Glaubwürdigkeit.
Der Bedarf an queerer Bildung ist riesig
Der Bedarf ist riesig: Laut Queerformat erfahren 82 Prozent der queeren Jugendlichen an Schulen Diskriminierung. Sie leiden häufiger unter Ängsten, Depressionen und Suizidgedanken. 52 Prozent verstecken sich beziehungsweise ihre Identität in der Schule. Und mehr als die Hälfte der queeren Lehrkräfte in Berlin traut sich immer noch nicht, sich zu outen. Wie immens wichtig Prävention und der Schutz vor Diskriminierung und Mobbing, die Sensibilisierung und Aufklärung über queere Lebensrealitäten sind, hat auch der Fall Inácio-Stech eindringlich gezeigt.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Abgeordneten, insbesondere von CDU und SPD, gefragt, bei queerer Bildung nicht zu sparen. Damit Berlin – bislang Vorreiter in der queeren Bildungsarbeit – sein Image als Regenbogenhauptstadt nicht verliert.
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