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Berlin: Rotkäppchen wohnt jetzt in Mitte

Gegenüber von Clärchens Ballhaus treiben Märchengestalten aus dem „Hexenkessel“ ihre Späßchen

Eine Hütte unter lauter Palästen: Genau im ganzen Mitte-Schick steht seit Anfang Dezember ein kleines grob zusammengenageltes Holzhaus. „Ich will gar nicht weiter auffallen“, scheint die Hütte zu sagen, wie sie da so hockt in der Baulücke gegenüber von „Clärchens Ballhaus“. Aber gerade deshalb bleibt der Blick an ihr hängen. In ihrem Inneren gibt es keinerlei typisches Mitte-Gut, weder panasiatische Speisen noch asymmetrische Haarschnitte, stattdessen: sechs klobige Holztische, viel Kerzenschein, ein weißer Ofen, dazu Märchen, erzählt und gespielt von der Theatergruppe „Hexenkessel“.

Unter der Leitung von Jan Zimmermann haben acht Mitglieder des Ensembles vier Stücke erarbeitet, die sie bis Februar aufführen: „Die kleine Meerjungfrau“, „Hans im Glück“, „Hase und Igel“ und „Rotkäppchen“. Feste Eintrittspreise gibt es nicht, jeder zahlt für die knapp halbstündigen Inszenierungen so viel er will. Märchen auf fünf mal zehn Metern in einer Hütte sind der maximale Kontrast zur sonstigen „Hexenkessel“-Arbeit: Im Sommer spielt Zimmermann mit seinen Leuten Shakespeare im Monbijoupark. Schwer sei die Umstellung nicht gewesen, meint er: „Die Märchen haben mir zugeflüstert, wie sie umgesetzt werden wollen.“

Rotkäppchen scheint Zimmermann einige Schweinereien ins Ohr gesagt zu haben: Zwar sieht es mit seinem knielangen, hochgeschlossenen Kleid züchtig aus, doch liegt in den Blicken, mit denen es den Wolf bedenkt, mehr Sex als anderswo in überbordenden Dekolletés. Dem Wolf gefällt’s, und als er auf Rotkäppchens Frage, warum er so große Hände habe, brummt: „Damit ich dich besser packen kann“, klingt es mehr nach Verheißung als Drohung. Das ist Spaß ab 18; die Kinder lachen an anderen Stellen, zum Beispiel als der Wolf Messer und Gabel zückt und anfängt,an Rotkäppchen herumzusäbeln.

Andreas Köhler, alias der Wolf, spielt gerne vor Kindern, sie seien am spontansten, sagt er, mitunter gnadenlos: „Wenn man schlecht spielt, rufen sie: Nicht du schon wieder!“ Das Schlechtspielen gehört aber eigentlich nicht zu Köhlers Repertoire, und deshalb hat der Absolvent der Rostocker Schauspielschule ab dem 29. Januar auch ein festes Engagement am Hamburger Thalia Theater. Fans hat er bereits hier: Die achtjährige Susa ist mit ihren Eltern da. Auf die Frage, wer ihr am besten gefallen habe, piepst sie: „Der Wolf war am hübschesten“ und klimpert aufgeregt mit den Wimpern. Der Zuschauerin Giesela Schneewind haben es vor allem die Räumlichkeiten angetan: „Das ist ein Holzhaus in der Pampa. wie nicht ganz von dieser Welt.“

Und damit hat sie sogar etwas recht: Die Hütte stammt aus einem Wald in Polen, nahe der ukrainischen Grenze. Dass sie nun in Berlin ist, ist das Werk von David Regehr und Christian Schulz, „Hexenkessel“-Manager und Betreiber von „Clärchens Ballhaus“. Schon lange wollten die beiden etwas mit der Brache gegenüber anstellen – Theater sollte es sein, am besten Märchen. „Dazu wollten wir einen Spielort mit Persönlichkeit", sagt David Regehr. Einer ihrer Mitarbeiter erzählte ihnen von einer Holzhütte seines Onkels in Polen. Regehr und Schulz ließen die Hütte zerlegen, nach Berlin fahren und hier Bohle für Bohle wieder aufbauen – als Märchen für Mitte, wie ein Wink aus einer anderen Welt.

Märchenhütte, Auguststraße 68, Mitte, Infos unter www.maerchenhuette.de

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