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Berlin: Rudi Dutschke stand für Gewalt

Warum nach dem Studentenführer keine Straße benannt werden sollte Von Gerd Langguth

Ich finde die Idee super. Damit würde man Springer eins reinwürgen, und das ist immer gut. Viva la Revolución!“ So wird im Chatroom der „Tageszeitung“ die Kampagne des Blattes für die Umbenennung der historischen Kochstraße in RudiDutschke-Straße propagiert. Heute soll die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg darüber entscheiden. Rudi Dutschke steht für einen Teil der 68er Generation – aber nur für einen Teil. Selbst vielen seiner einstigen Anhänger ist heute kaum noch verständlich, warum seinerzeit viele aus der akademischen Jugend von der charismatischen Kraft dieser tragischen Persönlichkeit so angezogen waren.

Straßenumbenennungen sollten nur in einem breiten Konsens geschehen. Das setzt aber eine unvoreingenommene Prüfung voraus, inwieweit zu ehrende Figuren als Vorbild für die Gegenwart gelten können. Dutschke war aber kein Demokrat. Sicher, er war ein leidenschaftlicher Utopist. Historisch widerlegt ist aber die Behauptung, Dutschke sei ein Verfechter der Gewaltfreiheit, selbst wenn er durch tragische Umstände von einem Hilfsarbeiter niedergeschossen wurde und elf Jahre später an den Folgen dieser Schüsse starb. Bei aller selbstkritischen Reflektion, die ehemalige APO-Aktivisten in der Aufarbeitung ihres 68er Engagements an den Tag legen, wollen viele „ihre“ Identifikationsfigur nicht in Frage stellen und nicht wahrhaben: Dutschke hat durch seine Einstellung zur Gewalt einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung derselben geleistet. Lassen wir die Fakten sprechen:

Dutschke hat selber bewusst und frühzeitig gewalttätige Aktionen befürwortet. Dies geht aus Papieren hervor, die erst Jahre nach der Studentenrevolte bekannt wurden, die aber doch die These von Dutschke und dem SDS, man habe aus „Notwehr“ Gegengewalt ausüben müssen, stark relativieren: „Genehmigte Demonstrationen müssen in die Illegalität überführt werden. Die Konfrontation mit der Staatsgewalt ist zu suchen und unbedingt erforderlich“ notierte Dutschke 1965. 1968 hat er auf die Frage, ob er sich von Gewalt distanziere, geantwortet: „Nein, aber die Höhe unserer Gegengewalt bestimmt sich durch das Maß der repressiven Gewalt der Herrschenden. Wir sagen ja zu den Aktionen der Antiautoritären, weil sie einen permanenten Lernprozess der an der Aktion Beteiligten darstellen.“ Er kündigte eine „Propaganda der Tat“ an. Hierbei handelt es sich um einen Fachbegriff aus der anarchistischen Revolutionsstrategie. Dutschke lehnte 1967 einen „prinzipiellen Pazifismus“ ab. Gemeinsam mit dem SDS-Ideologen Hans Jürgen Krahl forderte er sogar eine „Guerilla-Mentalität“. In Fidel Castro sah er ein Vorbild. Er lobte die Räteprinzipien in der Partei Fidel Castros, die „eine bisher unerreichte Verbindung zwischen Exekutiventscheidungen der temporären politischen Führung und direkter Demokratie der Massen“ darstellten. In Fernsehinterviews gab sich Dutschke etwas moderater. In einem Ché-Guevara-Dokument aber schloss Dutschke nicht aus, dass auch in der Bundesrepublik Deutschland eines Tages ein bewaffneter Kampf notwendig sein könne – wenn die Bundesrepublik sich stärker an der „amerikanischen Gewaltmaschinerie“ in der dritten Welt beteilige. Unter Historikern ist unstreitig, dass die Übertragung der südamerikanischen Stadtguerillastrategie auf die Metropolen Westeuropas aus dem SDS erfolgt ist. Es ist ein Protokoll Dutschkes aufgetaucht, aus dem hervorgeht, dass bereits 1966 eine Guerillastrategie mit Hilfe von „Sabotageakten“ geplant wurde, die sich „gegen Transport, Telekommunikation, Häfen und Eisenbahn“ richten könnten. Über den Aufbau einer „illegalen“ Organisation dachte Dutschke nach. Seine Witwe Gretchen bestätigte das in ihrer Biografie. Sie berichtete auch, dass sich Kontakte zur ETA in Spanien und zur IRA in Nordirland anbahnten.

Man mag die Studentenrevolte als inspirierenden Faktor für die Bundesrepublik ansehen – oder nicht. Doch sollte man sich mit dem Demokratie- und Gewaltverständnis Dutschkes auseinander setzen. Nur wer nachweisen kann, dass Dutschke ein untadeliger Demokrat gewesen ist, sollte die Umbenennung einer traditionsreichen Berliner Straße nach einer zeithistorisch höchst umstrittenen Figur propagieren. Ideologische Irrungen durch eine Straßenumbenennung zu adeln, wäre fatal. Man würde der Gewaltphilosophie Dutschkes ein Denkmal setzen.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und schrieb das Buch „Mythos ’68 – Die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke“.

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