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Berlin: Sanfte Kommandos

In der Bundeswehrfachschule Gatow werden ehemalige Zeitsoldaten zu Erziehern ausgebildet Die Leiterin einer Friedrichshainer Kita freut sich über männliche Verstärkung in ihrem Team

Für den ehemaligen Marineausbilder Marko Flächsenhaar ist es ein Einsatz auf ungewohntem Terrain. In einer großen Grünanlage nicht weit vom Strausberger Platz in Friedrichshain betreut er derzeit seine Truppe. In der Gruppe drei der Kindertagesstätte „Spielen, Lernen, Begreifen“ steht gerade Essenfassen auf dem Programm. „Benjamin, beug dich nach vorne“, sagt der Zwei-Meter-Mann mit den tätowierten Oberarmen zu einem Vierjährigen, dem gerade eine Nudel samt Putengeschnetzeltem von der Gabel auf die Hose fällt. Geduldig beobachtet er den zweiten Versuch des Manövers. Mit Menschenführung kennt Flächsenhaar sich aus. Zehn Jahre hat er Marinesoldaten geschult, jetzt schult der Berufssoldat auf sanfte Kommandotöne um. An der Bundeswehrfachschule in Gatow lässt er sich im zweiten Semester zum Kita-Erzieher umschulen, das Praktikum in der Friedrichshainer Kita ist Teil der Ausbildung.

„Ich hatte richtig Angst“, sagt er, als er die Teller der achtköpfigen Gruppe abräumt, „einfach, weil ich keine Erfahrung mit Kindern hatte.“ Inzwischen hat er die Vier- und Fünfjährigen in sein Herz geschlossen, und sie ihn offensichtlich auch. Andrea Schmidt, Leiterin der von einem freien Träger unterhaltenen Kita, ist froh über die männliche Verstärkung im Erzieherteam. „Von unseren 13 Erziehern sind gerade mal zwei männlich. Wir hätten gerne mehr, aber das ist schwierig. Es gibt zu wenige, und die Bezahlung ist auch nicht gerade üppig.“ Das weiß auch der ehemalige Zeitsoldat: „Die meisten, die ich gesprochen habe, hatten zwei Jobs. Volle Stellen gibt es kaum noch.“ Trotzdem hat er sich für diesen Ausbildungsgang entschieden. Die Kosten übernimmt laut Vertrag die Bundeswehr. „Ich wollte weiter etwas mit jungen Menschen machen“, sagt der 29-Jährige.

Seit 30 Jahren werden im Rahmen der Berufsförderung der Bundeswehr Soldaten zu Erziehern ausgebildet. Die meisten von ihnen an der Bundeswehrfachschule in Gatow. Rund hundert Männer absolvieren hier derzeit die dreijährigen Erzieherausbildungen. Das sind knapp zehn Prozent der Fachschüler, „aber die Nachfrage steigt, und nächstes Jahr rechnen wir mit Zulassungsbeschränkungen“, sagt Friederike Moser-Vief, Leiterin der Erzieherausbildung in der Bundeswehrfachschule. Am nächsten Tag steht sie in der Klasse 6 b der Bundeswehrfachschule. Vierzig Jahre lang diente die ehemalige Reichsluftwaffenkaserne als „Havel School“ für Kinder von Soldaten und Bediensteten der britischen Royal Air Force. Heute ist in der General-Steinhoff-Kaserne auch die Fachschule der Bundeswehr Berlin untergebracht. Im ersten Stock von Gebäude 3 B hängen Fotos von Spiel- und Gestaltungsaktivitäten der angehenden Erzieher. Im Musikzimmer üben drei Männer Kinderlieder auf der Gitarre, im Gestaltunterricht lernt eine Gruppe ehemaliger Zeitsoldaten, Handpuppen zu basteln. „Ist das nicht toll?“, fragt Friederike Moser-Vief. In ihrer Klasse sitzen zwölf ehemalige Soldaten im Rund. Es geht um ein wichtiges Thema: Wie sollen Kinder und Jugendliche ihren ersten Tag in einem Heim erleben? Die Studierenden sollen in Arbeitsgruppen verschiedene Ideen für ein Aufnahmeritual entwickeln. „Kinder und Jugendliche brauchen Rituale“, sagt Moser-Vief.

Und mit Ritualen und klaren Regeln kennen sich Soldaten aus. Bei Marko Flächsenhaar lautet das Kommando nach dem Essen: gemeinsam Tisch aufräumen. Danach dürfen die Kinder spielen. Flächsenhaar legt Wert auf „Ausgeglichenheit zwischen Freizeit, Spiel und Kreativität sowie der Vorbereitung auf die Schule“. Erzieherin Katrin Lothert, die seine Gruppe leitet, schätzt die Arbeitseinstellung des ehemaligen Bundeswehrsoldaten. Sie ist es, die nach zwölf Wochen Praktikum den entscheidenden Bericht schreibt. „Da muss die Chemie stimmen, sonst ist das Semester flöten“, weiß Flächsenhaar.

Ob er sich vorstellen kann, in zwei Jahren in einer Kita zu arbeiten? „Eigentlich wollte ich mit Jugendlichen arbeiten, aber wer weiß“, sagt er und geht zurück in seine Gruppe. Die Kleinen erwarten ihn schon. Vor allem Benjamin: „Mit Marko kann man so toll toben.“

Weitere Informationen im Internet:

www.erzieherausbildung-bundeswehr.de

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