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Carsten Stahl, Anti-Mobbingtrainer.

© Thilo Rückeis

Schule in Berlin: Carsten Stahl: Einzelkämpfer gegen Mobbing

Carsten Stahl weiß, wie man sich als Opfer und als Täter fühlt. Über seine Erfahrungen hat der Anti-Mobbing-Trainer und Ex-Schauspieler ein Buch geschrieben.

Er weiß, was Mobbing ist. Carsten Stahl, Ex-Schauspieler und heute Anti-Mobbing-Trainer, sieht mit seinen 110 Kilo Kampfgewicht nicht wie ein Opfer aus, aber er war es. Als kleiner Junge in Neukölln hat er von größeren so viel Prügel bezogen, dass er sich wochenlang nicht in die Schule getraut hat. Er hat erlebt, wie es ist, wenn man keinen hat, dem man sich anvertrauen kann, und niemanden, der einen schützt. Und er weiß, wie es wirkt, wenn man wütend genug ist, um zurückzuschlagen. Denn das hat er gemacht und sich auf dem Schulhof und darüber hinaus einen Ruf wie Donnerhall erarbeitet. Kurzum: Er weiß, wie man sich als Opfer fühlt – und als Schläger.

Vom Opfer zum Täter, um irgendwann endlich das zu werden, wozu er sich berufen fühlt: Das ist es, wovon Stahl Schülern in seinen Anti-Mobbing-Seminaren erzählt. Zusammen mit dem Autor Jürgen Lemke erzählt er diese Geschichte nun in einer ausführlichen Form.

Bekannt wurde er als Fernsehdetektiv

Stahls Art, auf Menschen zuzugehen, seine Direktheit, seine Wucht kennen viele Jugendliche aus der RTL2-Serie „Privatdetektive im Einsatz“. Sie besteht aus schlichten Geschichten um den durchsetzungsstarken Betreiber einer Detektei, für das Frühstücksfernsehen gemacht, längst abgedreht und immer noch in einer Dauerschleife zu sehen. Die Serie hat Stahl zum Fernsehhelden gemacht, auch wenn sie seit Jahren nicht weiter gedreht wird, weil Stahl nicht mehr will. Manchmal, wenn er vor einer Schulklasse steht, hört er als Erstes, man habe ihn morgens schon im Fernsehen gesehen. Das kann Vertrauen schaffen, damit arbeitet sich Stahl an die Jugendlichen heran. Er findet Zugänge, weil er uneitel ist und eine Sprache spricht, die jeder versteht. Nur spricht er mit den Schülern nicht über Fernsehheldentum, sondern darüber, wie manche von ihnen mit anderen umgehen.

Carsten Stahl ist überzeugt, dass Mobbing und seine Internetvariante wie eine Seuche Kinder und Jugendliche krank machen. Zum Anti-Mobbing-Trainer ist er geworden, weil ihn das Fernsehheldendasein anödete. Er schlug dem Sender eine Serie über einen Streetworker vor – „kein stromlinienförmiger Typ, eher einer, der da und dort aneckt, auch bei den Kids, dem es letztlich aber gelingt, zwischen den Interessen der Erwachsenen und denen der Kids einen Ausgleich herzustellen“.

Die Idee kam nicht an. Stahl war inzwischen Vater geworden und begann, als Einzelkämpfer gegen Mobbing Flugblätter vor Schulen zu verteilen „und Hilfe in Sachen Anti-Mobbing anzubieten“, wie er in einem Interview sagte. Bei Schulleitern, die das Problem nicht verschweigen wollten, kam er an. Ein Berliner Schulpsychologe fand sein Konzept überzeugend. Dass Stahls kleiner Sohn gleich an einem der ersten Schultage von anderen verprügelt wurde, hat ihn nur bestärkt in seinem Engagement.

Unterstützung in Brandenburg

In Brandenburg hatte Stahl bald so ein gutes Feedback, dass die Landesregierung seine Seminare mit Geld förderte. „Camp Stahl“ ist inzwischen zu einer Institution geworden. Nur die Berliner Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) möchte nichts mit ihm zu tun haben. Zigtausend Euro, die ihm die SPD-CDU-Koalition zugesichert hatte, bekam er nicht.

Doch längst ist er bundesweit bekannt und anerkannt. Immer wieder weist er darauf hin, dass Mobbing katastrophale Folgen haben kann – der Amoklauf von München im Juli 2016 war die Tat eines Jugendlichen, der jahrelang von Mitschülern gemobbt worden war. Stahl sagt in einem im Buch enthaltenen Interview auf die Frage, was ihn legitimiere, in Schulen zu sprechen, ohne Pädagoge oder Psychologe zu sein: Er sei „einfach glaubwürdig“ und habe sich die Legitimation erkämpft, „durch meine eigene Geschichte“.

Die ist nun nachzulesen. Das Buch liest sich, als würde man dem Typen aus Neukölln einfach zuhören, wie er von seinem Leben erzählt: von Schulen, die ihm nicht viel gegeben haben, vom Sport, mit dem er seinen Körper und sein Selbstvertrauen aufgebaut hat, von der Drift ins Neuköllner Milieu und dem Nahkampf krimineller Gangs. Nur in dieser Hinsicht ist er nicht so offen wie sonst: Als er seine Karriere im Kiez beendete, so schreibt er, habe er versprochen, über diese Zeiten nicht zu reden. Schließlich will er ein Vorbild sein.

Carsten Stahl und Jürgen Lemke: Du Täter, Du Opfer. Stark gegen Mobbing und Gewalt. Gräfe und Unzer Verlag, München 2018. 210 Seiten, 17,99 Euro.

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