zum Hauptinhalt
WIRECENTER

© Mike Wolff

Schule: Die Geduld der Lesepaten

1800 ehrenamtliche „Paten“ helfen Kindern in Berlins Schulen und Kitas beim Lernen. Sie bringen viel Zeit und Ausdauer mit

DIE LESEPATIN

Im Klassenzimmer ist es ruhig. Zu hören ist nur die tiefe, ruhige Stimme von Monika Gühlke, die eine Geschichte vorliest: Vom kleinen Wikinger Thor, der sich mit Leif anfreundet, dem Sohn des gegnerischen Stammesführers. Monika Gühlke hat nur eine Zuhörerin, eine Zweitklässlerin. Die sitzt ganz still da und genießt „ihre“ Viertelstunde, in der die Lesepatin nur für sie da ist. Und ihr hilft beim Drehen und Wenden und Formen von Buchstaben und Wörtern.

Seit vier Jahren macht sich Monika Gühlke einmal in der Woche für mehrere Stunden von Marienfelde auf den Weg nach Kreuzberg, an die Hunsrück-Grundschule. Eine Freundin hatte ihr von diesem besonderen Ehrenamt erzählt. „Mich hat das interessiert“, sagt sie.

Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller hat sich die Idee mit den Lesepaten vor vier Jahren ausgedacht. Mittlerweile machen 1800 Ehrenamtliche mit. Die Paten schenken Schülern und seit kurzem auch Kita-Kindern, die in sozial schwierigen Kiezen aufwachsen, regelmäßig Zeit. Die Ehrenamtlichen kommen in die Klassen und ziehen sich mit ein, zwei oder drei Schülern zurück in einen ruhigen Nebenraum, in dem sie den Kindern vorlesen, ihnen beim Lesen zuhören oder mit ihnen das Schreiben üben. Den Lehrern wollen sie dabei nicht ins Handwerk pfuschen. Aber im kleinen Kreis fällt es vielen Kindern einfach leichter, das Lesen zu üben. Und zu überlegen, ob das Bild im Übungsheft jetzt eine „Nodel“ ist oder eine „Nudel“.

Monika, wie die Kinder sie nennen, liest gerne Geschichten von Peter Härtling vor oder von Christine Nöstlinger. Aber eigentlich sollen die Kinder ja vor allem selber lesen und ein Gefühl bekommen für die Sprache.

Der kleine Junge, der jetzt neben Monika Gühlke Platz genommen hat, schreibt das Wort Stempl, fast richtig. „Du verschluckst die Vokale“, sagt die Lesepatin, „da fehlt noch ein ,e‘.“ Und der Zweitklässler schreibt „Stempel“. Monika Gühlke bleibt ruhig und geduldig, auch wenn sich fast in jedem Wort, das die Kinder schreiben, ein Rechtschreibfehler versteckt. Die Lehrerin teilt der Lesepatin am Morgen Kinder zu und erklärt, wo Übungsbedarf ist. Die Kinder, die betreut werden, sind nicht unbedingt die Schwächsten in der Klasse: Häufig teilen die Lehrer auch jene Kinder für die Arbeit mit dem Lesepaten ein, die an diesem Tag etwas mehr Ruhe gebrauchen können – oder im kleinen Kreis besser lernen.

Am Anfang haben die Lesepaten ausschließlich Grundschulen besucht. Mittlerweile kommen sie auch in Haupt- und Sonderschulen und in Kitas. Um die Rechtschreibhürden in einem Wort abzubauen, braucht Monika Gühlke an diesem Morgen drei, vier Minuten. Es ist manchmal ein mühsames Geschäft. Aber die Lesepatin will die Kinder „ihrer“ Klasse auch die nächsten Jahre begleiten. Sie selbst lernt in den Stunden in Kreuzberg auch viel: über Kindheiten, die sie sich vorher nicht vorstellen konnte.

DER RECHENPATE

Karl-Heinz Baumbach hat im Februar 2007 als Lesepate angefangen, in der Heinrich-von-Stephan-Oberschule in Moabit. Anfangs hat er mit den Schülern gelesen, dann eine Weile mit einer kleinen Gruppe Geschichte geübt. „Wir haben Arbeitsblätter zur Französischen Revolution ausgefüllt“, erzählt der Rentner, der erst vor zwei Jahren von Hessen nach Berlin gezogen ist. Und hier etwas Sinnvolles tun wollte.

Mittlerweile übt er mit Siebtklässlern Mathe, drei sind heute mit ihm in den etwas düsteren Computerraum gekommen. Die drei Jungen türkischer Herkunft wollen sofort anfangen, und jeder hat mindestens eine Frage an den „Rechenpaten“. Es geht um Prozentrechnen, und Karl-Heinz Baumbach soll nochmal erklären, wie das mit dem Dreisatz funktioniert. „Ich verwechsle immer was, ich weiß auch nicht“, sagt einer der Jungen.

„Geh doch systematisch vor“, sagt Karl-Heinz Baumbach, und beginnt mit einem Beispiel zum Warmdenken. „Wieviel ist ein Prozent von 600?“ „Sechs“, antwortet der Schüler, und schon geht es weiter mit der nächsten Textaufgabe. „Wenn von 75 Äpfeln 15 wurmstichig sind, sind das wie viel Prozent?“ liest der Schüler vor. Und rechnet es aus, ganz schnell, so dass sein Nachbar gar nicht mit dem Abschreiben nachkommt.

Abschreiben findet Karl-Heinz Baumbach nicht so gut, und auch nicht, dass die Jugendlichen immer zum Taschenrechner greifen, statt erst einmal selber nachzudenken. „Darf ich ihm den Rechenweg erklären?“ fragt der schnelle Schüler, und kritzelt seinem Nachbarn Zahlen aufs Papier. Nicht nur an der Heinrich-von-Stephan-Schule werden viele Lesepaten nach und nach zu „Lernpaten“ : Sie konzentrieren sich nicht mehr ausschließlich auf Sprache und das Lesen, sondern vermitteln auch andere Kenntnisse. An der Heinrich-von-Stephan-Schule ist sogar ein Koch als Lernpate eingestiegen.

Ab und zu versucht Karl-Heinz-Baumbach, bei seinen Mathe-Schülern auch andere Kenntnisse abzufragen. Weil in einer Textaufgabe der ehemalige Bundespräsident auftaucht, will er wissen, wie der heutige Bundespräsident heißt: „Obama“, ruft einer, „Angelika Merkel“, ein anderer.

DIE VORLESERIN

Noch nicht viel Ahnung von Buchstaben und Wörtern haben die vier Jungen und Mädchen, denen Renate Ehlert an diesem Vormittag vorliest, in der Kita Uthmannstraße in Neukölln.

Die Vorschüler sitzen auf gelben Kindermatratzen. Und die Lesepatin verteilt ein paar Bilderbücher, zum Blättern und damit die Kinder ein Gefühl dafür bekommen, dass ein Buch etwas Wertvolles ist. Ein Junge bekommt „Tomte Tummetott“, ein Mädchen das Buch „Gehe nie mit einem Fremden mit“. „Das können wir uns ein anderes mal auch genauer anschauen“, sagt Renate Ehlert, sammelt die Bücher nach ein paar Minuten wieder ein und liest aus einem anderen Bilderbuch vor: Die Geschichte vom Hund Toto und der Katze Mimi. Wenn sie eine Seite vorgelesen hat, stellt sie den Kindern Fragen: „Was hat die Mimi denn da im Haar?“ „Einen Fisch“, ruft ein Mädchen. Und Toto hat einen Hundeknochen dabei. Auf der nächsten Seite ist ein Eis abgebildet, und Renate Ehlert fragt nach den Lieblingssorten. „Vanille“, ruft ein Junge, „alle Sorten“ ein Mädchen.

Nach dem Lesen wird dann das Lied von Dornröschen gesungen. Die Kinder schlagen dazu auf Triangel, Bongos und Xylophon. Das klingt in diesem schmalen Raum fast ohrenbetäubend. Die Kinder toben sich ein bisschen aus. „Fertig!“, ruft ein Kind nach dem kleinen Konzert, und Renate Ehlert packt die Bilderbücher in ihre große Tasche. „Lesepatin zu sein ist manchmal zwar anstrengend“, sagt sie. Aber es mache Spaß. Und für die Kinder sei es ja auch eine Art von Zuwendung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false