Schule: Dr. Jekyll und Mr. Benz
Noch nie hatten die Modellversionen der C-Klasse so unterschiedliche Charaktere – ab heute stehen sie beim Händler
Stand:
56. Diese Zahl ist das Problem. Denn 56 Jahre ist er im Durchschnitt alt, der Kunde, der eine C-Klasse-Limousine bestellt. Nicht, dass man bei Mercedes etwas gegen ältere Menschen hätte. Aber zu oft war bisher der kleinste „richtige“ Mercedes etwas, womit sich der gereifte Fahrer für ein arbeitsreiches Leben belohnte, während Sohnemann mit dem 3er-BMW um die Ecken flog.
Attraktiver für junge Käufer sollte das neue Modell also werden. Andererseits bringt auch die Stammkundschaft Geld in die Kasse. Deshalb ist das Ergebnis der Überlegungen, das ab diesem Wochenende bei den Händlern steht, eine Art Jekyll-und-Hyde-Konzept: Auf der einen Seite die Ausstattungslinien Elegance und Classic, die mit Stern auf der Haube und drei dezenten Streben im mit Chrom eingefassten Grill sofort das klassische Mercedes-Gefühl aufkommen lassen. Auf der anderen Seite der Avantgarde: Optisch viel aggressiver, mit auffälligem Stern in der Schnauze und Leere auf der Haube – zum ersten Mal bei einer Mercedes-Limousine.
Damit bietet die C-Klasse nun ein Styling, das Kunden bisher selbst beim Tuner ihres Vertrauens nachrüsten lassen mussten. Und Fahreigenschaften, die der Optik in nichts nachstehen. Das gilt vor allem dann, wenn das ab Herbst erhältliche Advanced-Agility-Paket an Bord ist: Für knapp 2000 Euro lassen sich dann Schaltcharakteristik der Automatik und Fahrwerk per Knopfdruck auf „Sport“ stellen – und dem Daimler damit ein Fahrverhalten einimpfen, das den Lenker sprachlos macht: Seitenneigung existiert nicht mehr, der Wagen hat Grip ohne Ende, lässt sich mit jeder Menge Spaß in enge Kurven werfen, ohne dass man im Rückspiegel nach Fahrern anderer Marken sehen müsste. Allerdings erfordert die Fahraktivität in der Advanced-Agility-C-Klasse beim Fahrer charakterliche Reife. Denn durch Fahrwerksabstimmung und Traktionskontrolle gibt sich der Wagen bis weit hinein in den Grenzbereich dermaßen neutral und unbeeindruckt, dass man immer das Gefühl hat, dass noch mehr geht – bis die Physik dem Vorwärtsdrang ein Ende macht.
Ein himmelweiter Unterschied zum Fahrgefühl im „normalen“ neuen C: Denn der präsentiert sich durch und durch als klassischer Mercedes im besten Sinn: Mit Elegance-Holz statt Avantgarde-Alu im Innenraum und dem großen 350er-Benziner mit 272 PS (Mercedes hat bisher nur die leistungsstärksten Modelle für Fahrtests zur Verfügung gestellt) gleitet man absolut unangestrengt durch den Verkehr. Sicher, man könnte rasen wie mit dem Advanced-Agility-Benz,Leistung wäre genug da. Aber muss man? Lieber genießt man die fantastische Dämmung, die von den Fahrgeräuschen nur noch das Abrollen derReifen übrig lässt. Und selbst die Automatik, die im Comfort-Modus – auf „Sport“ ließe sich umschalten – nicht zu übertriebener Hektik neigt, passt sich stimmig ins Gesamtkonzept ein.
Auch wenn es nur ein Gefühl ist: Irgendwie wirkt die C-Klasse in dieser Abstimmung harmonischer. Zumal die Lenkung direkter geworden ist und der Wagen auch ohne fortgeschrittene Agilität ausgesprochen flott um die Ecken komm. Denn auch das Standard-Fahrwerk passt sich der Fahrsituation an und stellt automatisch auf straff, wenn es die Situation erfordert. In den engen Kehren in den Bergen merkt man: So viel langsamer ist die C-Klasse auch ohne „Sport“-Knopf in der Konsole gar nicht. Sicher – man schafft nicht ganz die Go-Kart-mäßigen Querbeschleunigungen des Advanced-Fahrwerks. Aber auch hier verkörpert der Wagen klassische Mercedes-Tugenden: Ausgesprochen komfortabel – aber wenn man es probiert, dann merkt man, dass viel mehr Reserven da sind, als man das vorher gedacht hätte. Nur in schnellen, lang gezogenen Kurven bringt das Advanced-Agility-Fahrwerk im Alltag wirklich mehr. Dafür könnte die C-Klasse mit dem Standard-Fahrwerk der E-Klasse Kunden abspenstig machen, so kommod fühlt man sich in ihr.
Und schnell zuhause: Denn der Innenraum ist im besten Sinne – wie immer. Zwar ist das Design natürlich neu und man hat dem Neuen in der Mittelkonsole eine Art iDrive light spendiert, aber der Drehknopf verfügt hier nicht über die überbordende Funktionsvielfalt des Münchener Mitbewerbers und ist deshalb auf Anhieb bedienbar. Überhaupt finden sich Knöpfe und Hebel da, wo man sie vermutet. Fast ist der Innenraum dadurch schon zu sachlich geraten – vor allem beim Classic und beim Avantgarde, wo kein Holz das Ambiente aufhübscht. Dafür sind die Sitze bequem und zumindest auf den Vordersitzen kommen durch gewachsene Innenraumdimensionen auch bei Großen keine Platzängste auf. Was den Fond betrifft: Man kann es als erwachsener Mann aushalten, aber Raumwunder trifft man in dieser Fahrzeugklasse selten.
Bleiben noch Verbräuche und damit verbundene CO2-Werte: 9,7 und 7,2 Liter gibt Mercedes für die von uns gefahrenen C 350 und C 320 CDI an. Das wäre angesichts der Leistung im Rahmen – hätte nicht BMW vor kurzem den 530i präsentiert, einen schwereren Wagen, der mit weniger Hubraum, aber gleichviel Leistung wie die Top-C-Klasse glatte zwei Liter weniger schluckt. Auch der C 320 CDI liegt schlechter als der 330d des Mitbewerbers. 0,7 Liter verbraucht er nach Werksangaben mehr als der Konkurrent aus München.
Allerdings sind solche Überlegungen Momentaufnahmen: Im kommenden Jahr wird es die C-Klasse als 220 Bluetec-Diesel geben – mit 5,5 Litern Verbrauch je 100 Kilometer.
Kai Kolwitz
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