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Illustratorin, Designerin und Sketchnote-Expertin, Nadine Roßa, bei der Arbeit.

© Melanie Schwochow

Sketchnotes: Lasst die Kinder zeichnen!

Sketchnotes sind visuelle Notizen. Die Illustratorin Nadine Roßa hat ein Buch geschrieben, wie man diese in der Schule einsetzen kann.

Wer kennt diese Situation nicht: Man sitzt in der Schule, in einem Meeting oder einer Konferenz und kritzelt still vor sich hin, während vorne jemand spricht. Viele empfinden das als unaufmerksam, ja möglicherweise sogar unhöflich. In der Schule heißt es dann oft: Pass auf, hör zu, nicht malen, sondern mitschreiben! Doch Zeichnen steigert die Konzentration beim Zuhören.

Beim Zeichnen bleibt der Kopf aktiv

Das ist keine Ausrede, die Schüler gern benutzen, sondern gilt als wissenschaftlich erwiesen. Was genau beim Zeichnen im Kopf passiert, das uns Gehörtes besser aufnehmen lässt, ist nicht abschließend geklärt. Die Designerin und Illustratorin Nadine Roßa erklärt es jedenfalls so: „Bei Vorträgen wird man schnell müde, weil man passiv ist und sich berieseln lässt. Doch zeichnet man, bleibt der Kopf aktiv, weil er gezwungen ist, Dinge zu durchdenken und zu reflektieren.“

Die in Berlin lebende Nadine Roßa gilt als eine Expertin auf dem Gebiet des Sketchnotings, also dem Anfertigen von visuellen Notizen. Vor Kurzem hat sie das Buch „Sketchnotes in der Schule“ veröffentlicht. Es ist bereits ihr drittes. Beim Zuhören, so die Idee, soll nicht einfach nur unstrukturiert gekritzelt werden.

Vielmehr wird eine Gliederung des Gehörten erstellt, die Zeichnungen und Stichworte verbindet. „Mit Hilfe meiner Sketchnotes kann ich mich noch an Dinge von Konferenzen erinnern, die schon Jahre zurückliegen. Das würde ich mit bloßen Stichpunkten niemals schaffen“, sagt sie. „Ein unschätzbarer Wert für das Lernen in der Schule.“

Durch das Zeichnen werden visuelle Verknüpfungen erstellt

Eine Studie mit dem Titel „The Surprisingly Powerful Influence of Drawing on Memory“ („Der überraschend starke Einfluss des Zeichnens auf das Gedächtnis“) von Wissenschaftlern der University of Waterloo in Kanada kommt zu dem Schluss, dass Menschen Definitionen und Texte besser erinnern können, wenn sie durch das Zeichnen eine visuelle Verknüpfung zu ihnen herstellen.

Dieser Effekt sei vor allem auch bei Menschen mit Demenz zu beobachten. Durch das Zeichnen werde der visuelle Teil des Gehirns angeregt. Dies führe dazu, dass mehr Anknüpfungspunkte für die Erinnerung geschaffen würden. Das bestätigt auch Nadine Roßa: „Uns fällt das Lernen leichter, wenn wir an irgendeiner Stelle an eigene Erfahrungen andocken können. Sketchnoting regt zum Reflektieren dieses alten Wissens an und hilft dabei, es mit neuem zu verbinden.“

Seit 2015 gibt sie Workshops und hat im letzten Jahr sogar auf der Bildungsmesse Didacta einen Vortrag über Sketchnoting in der Schule gehalten. Dabei sind Sketchnotes nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihre Leidenschaft. „Es ist mein Herzensthema“, sagt sie. Ihr Buch ist ein Versuch, das Thema nun auch Lehrern näherzubringen. Für Anfänger gedacht, handelt es sich dabei aber weniger um eine Zeichenvorlage als eher um eine Anleitung zur Selbsthilfe.

"Keine Angst vorm Zeichnen haben!"

Wichtigste Botschaft: Keine Angst vor dem Zeichnen haben! „Viele Leute schrecken davor zurück, weil sie sofort an perspektivisches, detailreiches Zeichnen denken, das sie aus dem Kunstunterricht kennen und sich nicht zutrauen“, sagt sie. „Aber darum geht es gar nicht. Die Qualität ist nicht entscheidend, sondern der Akt.“ Regeln gibt es keine.

Vielmehr finden sich im Buch Hilfestellungen, die letztlich auf klassischen Gestaltungsregeln basieren. Um das Zeichnen zu erleichtern, wird beispielsweise auf das visuelle Alphabet verwiesen. Dieses bietet mit Punkten, Linien, Kreisen, Recht- und Dreiecken grundlegende Elemente, aus denen Visualisierungen zusammengesetzt werden. Damit kann jeder so gut wie alles zeichnen.

Natürlich ist auch Übung erforderlich, sagt Roßa: „Das ist wie eine Sprache zu lernen. Erst kann man nur ein paar Worte, dann immer mehr.“ Zudem wird auf das Erfordernis von visuellen Hierarchien hingewiesen. Solche könnten durch Farben, unterschiedliche Größe und Symbole geschaffen werden, was zur Übersichtlichkeit beitrage.

Sogar im Sportunterricht hilfreich

Ziel sei es, so Roßa, eine Struktur zu schaffen, die das Verständnis von Prozessen erleichtere. Dadurch könnten sogar vielschichtige Themen wie die Photosynthese oder auch komplexe literarische Werke aus dem Deutschunterricht zugänglich gemacht werden. „Texte, bei denen viele Personenkonstellationen vorkommen – wie zum Beispiel Effi Briest – sind mit Sketchnotes einfacher zu erfassen.“

Doch nicht nur Personenkonstellationen, sondern auch ganze Kapitel oder Gedichte könnten dadurch wiedergegeben werden. „Generell eignen sich Sketchnotes hervorragend für jede Art von Prozess.“ Aus diesem Grund schlägt Roßa sogar Sketchnotes für den Sportunterricht vor. „Zeichnen beim Sportmachen?“, möchte man erstaunt fragen. „Ja“, sagt sie und lacht. „Lehrer können ihre Gymnastikübungen, Zirkeltrainings oder Spielregeln zum Beispiel für Völkerball veranschaulichen.“

Mit Sketchnotes kann man selbst komplexe literarische Werke wie Effi Briest von Theodor Fontane veranschaulichen.
Mit Sketchnotes kann man selbst komplexe literarische Werke wie Effi Briest von Theodor Fontane veranschaulichen.

© Nadine Roßa

Das alles klingt sehr plausibel, wenn Nadine Roßa es erklärt und dabei hervorragend gestaltete Zeichnungen vorzeigt. Zuhören, verstehen, während dessen noch zeichnen und eine Struktur schaffen, das erscheint dennoch auch ganz schön fordernd. Und das nicht nur für die jungen Leute in der Schule, sondern für jeden, der nicht so gut und flüssig zeichnen wie schreiben kann.

"Das aktive Zuhören haben wir ein Stück weit verlernt"

„Wie gesagt, es braucht Übung“, sagt Roßa. „In erster Linie richtet sich das Buch ja auch an die Lehrer. Die müssen mit gutem Beispiel, also mit guten Tafelbildern vorangehen. Schüler übernehmen das dann sehr schnell.“ Die Resonanz auf das Buch ist jedenfalls beachtlich. Schon anderthalb Wochen nach Erscheinen musste nachgedruckt werden.

„Ich konnte mir vorstellen, dass das Thema bei Lehrern gut ankommt, aber mit der Reaktion hätte ich niemals gerechnet“, sagt Roßa sichtlich stolz. Immer wieder schicken ihr Lehrer aus ganz Deutschland via E-Mail oder Instagram Fotos von Tafelbildern, die sie im Unterricht angefertigt haben.

Das Bedürfnis nach einer neuen Herangehensweise im Unterricht scheint immens. „Ich glaube es geht vor allem um das aktive Zuhören“, sagt Roßa. „Das haben wir in Zeiten der Digitalisierung, wo unsere Aufmerksamkeit ganz anders gefordert wird, ein Stück weit verlernt.“ Für Kinder und Schüler gelte das in verstärktem Maße, meint Roßa.

„Die, die heute in der Schule sitzen, sind in einem Informationsdschungel, den keiner vor ihnen so hatte. Sie müssen lernen, sich dort zurecht zu finden.“ In der Schule sollte es in Zukunft also besser heißen: Lasst die Kinder zeichnen!

Nadine Roßa: Sketchnotes in der Schule. Unterrichtsinhalte leicht darstellen und merken. Mit Schritt-für-Schritt-Anleitung. Cornelsen, Berlin 2019, 80 Seiten, 15,99 Euro.

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