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Schule: Vom Winde bewegt

Aus dem Bora macht Volkswagen wieder den Jetta. Er soll hierzulande an die Erfolge in den USA anknüpfen

GENESIS: Nach 14 Jahren kehrt der Jetstream als Namensgeber zurück. Der VW-Jetta, der nach dem Windstrom benannt ist, wird künftig auch in Europa wieder diesen Namen tragen. Damit setzt Volkswagen bei der fünften Generation der erstmals 1980 positionierten Stufenheck-Limousine wieder auf einen weltweit einheitlichen Modellauftritt. Zwischenzeitlich sollten in Europa Namensneuschöpfungen wie Vento (1991 bis 1998) und Bora (1998 bis 2005) für Aufwind sorgen, was allerdings nur begrenzt Erfolg hatte. Gefertigt wird der Global Player im mexikanischen VW-Werk Puebla, wodurch sich allerdings Lieferzeiten von zwei bis drei Monaten für Bestellungen aus Europa ergeben. Die wahre Heimat des Rucksack-Golfs, den hierzulande unbeirrbar das Image eines „Rentnerrenners“ verfolgt, sind aber sowieso die USA. Von den seit Markteinführung insgesamt 6,6 Millionen gefertigten Jetta verkauften sich dort allein 2,2 Millionen. Dank der Aura eines typisch deutschen Qualitätsautos ist der biedere Jetstream-Flitzer in den USA eines der meist verkauften Modelle europäischer Hersteller. nos

ZIELGRUPPE: „Einer für alle“, könnte das Motto für die kompakte Limousine der Wolfsburger lauten. Denn sie sehen den neuen Jetta „analog zum US-Konzept stärker im sportlich-eleganten Bereich“, erzählt Christian Buhlmann, der Pressesprecher. Auch hierzulande wolle man junge Käufer erreichen, denen der Jetta eine Alternative zum 3er von BMW, dem Alfa 159 oder dem Audi A4 bieten soll. Das Durchschnittsalter der bisherigen Bora-Kunden spricht allerdings eine andere Sprache: Es liegt bei 53 Jahren. Image hin, Image her – es gibt auch handfeste Gründe für das fortgeschrittene Alter der Käufer. Der Jetta, der ab sofort im Handel ist, kostet mindestens 18 950 Euro. Mit einer etwas größeren Motorisierung und einigen Extras ist man schnell bei Preisen weit jenseits der 20 000 Euro-Marke. Diese Hürde dürfte für viele junge Käufer recht hoch liegen, auch wenn in den riesigen Kofferraum eine Bassrolle genauso gut hineinpasst wie das Reisegepäck für zwei Ehepaare, die sich zur Moseltour aufmachen. rok

KONZEPT: In seiner Anmutung ist der Jetta eigentlich so neutral wie Backpulver. Mit der Modellauffrischung ist die Stufenhecklimousine nun aber noch einmal richtig aufgegangen. Gegenüber dem Vorgängermodell Bora hat der neue Jetta in der Länge (4,55 Meter) 18 Zentimeter dazugewonnen, in der Breite (1,78 Meter) 4,6 Zentimeter, in der Höhe (1,46 Meter) 1,3 Zentimeter. Für Passagiere auf der Hinterbank machen sich die neuen Dimensionen in einer um 6,5 Zentimeter zugelegten Beinfreiheit bemerkbar. Der Kofferraum ist auf 527 Liter (ein Plus von 72 Liter) gewachsen. Die Rückbank ist praktisch umklappbar, so dass sich eine Durchlademöglichkeit von bis zu 1,9 Metern ergibt. Der Jetta-Fahrer soll sich wohlfühlen und dazu braucht es auch eine Grundausstattung, die überzeugt: Das beinhaltet unter anderem vier elektrische Fensterheber, elektrisch einstell- und beheizbare Außenspiegel, eine halbautomatische Klimaanlage, Zentralverriegelung und das elektronische Stabilitätsprogramm ESP. nos

FAHRGEFÜHL: Kleine Holper spüren die Insassen des Jetta deutlich. Fahrwerk und Dämpfung sind straff ausgelegt. Der Jetta will zwar ein eigenständiges Auto sein, die technische Basis ist aber der Golf V – und das tut der Limousine gut. Sie macht nicht nur einen sportlichen Eindruck, sie liegt auch souverän auf dem Asphalt. Das Handling überzeugt dank der optimierten Federbein-Vorderachse und der aufwändigen Mehrlenker-Hinterachse. Die elektromechanische Servolenkung aus dem Golf reagiert direkt auf jeden Wunsch des Fahrers, sie ist leichtgängig und präzise. So werden kurvenreiche Landstraßen zum Fahrvergnügen. Dazu tragen auch die überzeugenden Bremsen bei. Etwas albern, aber angeblich immer noch Kundenwunsch ist die Option, das elektronische Stabilitätsprogramm ESP abschalten zu können. Das wird im Normalbetrieb ohnehin kein vernünftiger Fahrer tun. Denn das im Jetta serienmäßig eingebaute Sicherheitssystem hilft auch ausgewiesenen Fahrprofis, das Auto in kritischen Situationen unter Kontrolle zu halten. Nach Informationen des Auto-Zulieferers Bosch übrigens haben mittlerweile 67 Prozent aller neu zugelassenen Pkw in Deutschland ESP. Gerade die Zahl der schweren Unfälle könne damit weiter gesenkt werden. rok

DESIGN: Schaut man sich den Jetta aus den 80er Jahren an, kann man nur gratulieren. Die kompakte Limousine hat deutlich an Dynamik gewonnen. Die schnittigen LED-Rückleuchten zum Beispiel verleihen ihr in der Heckansicht einen markanten Auftritt. Insgesamt wirkt die Karosserie des neuen Jetta konservativ sportlich und erinnert in der Modellzeichnung sogar an die eines 3er BMW. Bei der Frontpartie wird mit dem verchromten Wappenkühlergrill auf VW-Familienzugehörigkeit gesetzt. Die coupéhafte Anmutung ergibt sich durch die verkürzte C-Säule. Im Interieur ist der Jetta, der nun in den drei Ausstattungsstufen Trend-, Comfort- und Sportline angeboten wird, zurückhaltend sachlich. Die Armaturen sind übersichtlich und „selbsterklärend“, wie es bei VW heißt. Für Parkscheine und Kleinkram sind praktische Schlitze und Ablagen vorhanden. Der Aschenbecher ist so groß, dass selbst Kettenraucher zufrieden sein können. Steckdosen wie Getränkehalter sind erstaunlich zahlreich eingebaut, größere Becher geraten bei rasanter Fahrt allerdings schnell mal aus der Spur der Mittelkonsole. nos

MOTOREN: Klein ist ganz schön groß beim neuen Jetta. Der Einstiegsmotor ist ein 1,6-Liter Benziner, der mit 75 kW (102 PS) zwar kein Sprinter ist, die Limousine aber zügig voranbringt. Er fährt Spitze 186 km/h und beschleunigt in 12,2 Sekunden von null auf Tempo 100. Die bisherige Einstiegsmotorisierung mit 75 PS wird nicht mehr angeboten. Zum Start stehen vier Motoren zur Wahl: Zweiter Ottomotor ist ein Zwei-Liter-Benzindirekteinspritzer (FSI), der 110 kW (150 PS) leistet: Höchstgeschwindigeit 211 km/h, Beschleunigung 9,2 Sekunden – diese Werte kann man ohne Zögern sportlich nennen. Überdies sind zur Markteinführung zwei Turbodiesel-Direkteinspritzer im Angebot. Der 1.9 TDI mit 77 kW (105 PS) ist ein recht rauer Geselle. Seine Leistung reicht zwar völlig für den Familienalltag, wenn die Kinder lauter sind als der Motor. Feine Ohren dürften auf Dauer aber genervt sein. Der 2.0 TDI mit 103 kW (140 PS) geht da schon etwas sanfter zu Werk. Dicker Minuspunkt für die Selbstzünder: Sie gehen ohne Partikelfilter an den Start. Der Rußschlucker wird erst sukzessive erhältlich sein. Pluspunkt der Diesel ist ihr Verbrauch. Trotz guter Fahrleistungen – der 2-Liter-TDI beschleunigt zum Beispiel in 9,7 Sekunden auf Tempo 100 und fährt Spitze 207 km/h – soll er nur 5,5 Liter Kraftstoff verbrauchen. Sein maximales Drehmoment von 320 Nm liegt bereits bei 1750 U/min. an. Das verspricht viel Kraft bei niedrigen Drehzahlen.

In Kürze werden zwei weitere Benzindirekteinspritzer folgen: ein 1.6 FSI mit 85 kW (115 PS) und ein Turbo-geladener 2-Liter-FSI, der 147 kW (200 PS) auf die Straße bringt. Stärkster Diesel soll schon bald ein 125 kW (170 PS) starker 2.0 TDI sein. Damit bietet der Jetta ein Motorenangebot, bei dem wohl für jeden Geschmack etwas dabei sein dürfte. Mit Ausnahme des 1,6-Liter-Benziners und des kleinen 1,9-Liter-Dieselmotors wird serienmäßig ein Sechsgang-Schaltgetriebe zum Einsatz kommen. Darüber hinaus gibt es optional für einige Motorisierungen das Doppelkupplungsgetriebe DSG sowie eine Sechsgang-Automatik mit Tiptronic. rok

FAZIT: Die Fahrerin. Wie bei einigen anderen modernen Stufenheck-Limousinen auch besticht der Jetta nicht gerade mit guten Sichtverhältnissen hinten hinaus. In dem Gefährt sitzt man eingepackt bis zur Halskrause und fühlt sich auch so – sicher behütet, aber auch eingeschränkt und nicht unbedingt zum Abenteuer motiviert. Der Jetta ist, was er ist – ein funktionaler Kompaktwagen, dem es an automobiler Spritzigkeit fehlt, der aber alle Ansprüche an Qualität und Sicherheit erfüllen dürfte.

Der Fahrer. Der Jetta ist ein Auto, in das man sich reinsetzen und sofort losfahren kann. Kein Knopf gibt Rätsel auf, jeder Schalter oder Hebel sitzt da, wo man ihn vermutet. Der Gesamteindruck ist überdies solide, man traut dem Wagen auch nach Jahren noch einen anständigen Wiederverkaufswert zu. Einerseits ist das alles rundum alltagstauglich. Andererseits ist es mehr auch nicht. Wer das Besondere, das Verspielte oder Überraschende sucht, sucht vergebens. So dürfte die Entscheidung für den Jetta vernunftbegründet sein, das Herz kommt wohl eher nicht zu Wort.

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