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Mein Berlin: Seelenkaffee

Notizen aus der globalen Stadt von Hatice Akyün

Am Wochenende ist mir ein kleines Café in meinem Kiez aufgefallen. Draußen standen einige Holztische mit bunten Stofftischdecken dekoriert. Die Besitzerin, eine Frau um die 40, stellte kleine Vasen mit frischen Blumen darauf. Niemand saß vor und niemand in dem Café, obwohl die beste Einkaufszeit war. Nur einige Meter weiter beobachtete ich, wie sich eine Schlange in einer Kaffeehauskette mit grün-weißem Logo bildete. Ich muss zugeben, dass Kaffee aus diesen Läden Herzrasen bei mir auslöst. Das liegt weniger am Kaffee als am Preis. Aber besonders daran, dass ich in diesen Läden das Gefühl habe, nach einem immer gleichen Takt bedient zu werden. Jeder eigene Gedanke wird einem freundlich abgenommen: Tall, Grande, Venti? Low fat, Soja oder laktosefrei? To go oder to stay? Vielleicht noch einen extra shot? Muffin, Donut, Cheesecake oder ein herzhaftes Sandwich dazu? Wenn man es endlich geschafft hat, dem Barrista, so nennen sich die Verkäufer, alle Fragen zu beantworten, bekommt man endlich sein Heißgetränk ausgehändigt.

Ich möchte nicht altmodisch wirken, aber geht es Ihnen manchmal wie mir? Rechnen Sie Euro auch noch in Mark um? Und hätten wir für einen mittelgroßen Kaffee mit heißer Milch früher acht Mark bezahlt? Für diese Summe bekam man ein ganzes Mittagessen und ein Kaltgetränk. Mit früher meine ich nicht die Zeit vor meiner Geburt, sondern eine Zeit, deren Erinnerung bei mir noch nicht einmal verblasst ist. Seit wann ist es hip geworden, Kaffee im Pappbecher mit sich herumzutragen, den man im Gehen versucht, aus einem viel zu kleinen Loch zu trinken? Vielleicht ist das der urbane Lifestyle, von dem alle so sehr schwärmen. Genormte Läden mit genormtem Kaffee und genormten Menschen. Kein Risiko, enttäuscht zu werden, keine Ungewissheit, weltweit das gleiche Angebot, identische Becher, Kaffeemaschinen, Aufschäumer, Löffel und Kakaostreuer. Überall die gleichen Tische, Stühle, und für den Toilettenbesuch muss man sich den Schlüssel an der Theke abholen. Und weil es diese Läden mittlerweile überall auf der Erde gibt, wirken sie wie alte Bekannte. Dagegen kann ein individueller Laden mit individuellem Angebot, wie das kleine Café bei mir im Kiez, nicht mithalten.

Ich habe mich trotzdem in das Café gesetzt. Oder gerade deswegen. Heike, so heißt die Besitzerin, belegt Brötchen erst dann, wenn ein Kunde sie bestellt, also frisch. Der Kaffee schmeckt nach Kaffee, und den Kakao bereitet sie mit Milch zu. Liebe Mitte-Bewohner, das ist die weiße Flüssigkeit, die von Kühen stammt. Während ich gemütlich den Tagesspiegel durchblätterte, spielte Heike mit meiner Tochter, malte mit ihr Herzchen und brachte ihr Buchstaben und Zahlen bei.

Auch meine Eltern stammen noch aus einer alten Kaffeezeit. Mein Vater liebt seinen Handfilter, den er auf Reisen immer im Gepäck hat. Seit ich denken kann, trinkt er Filterkaffee mit Kondensmilch und Zucker. Ihn von Latte Macchiato zu überzeugen, ist fast so unmöglich, wie einem Asiaten seinen Tee auszureden.

Zu Hause dachte ich über Heike und ihr Café nach. Ich fragte mich, warum ein grün-weißes Logo beliebter ist als Individualität? Ich dachte darüber nach, wie lange es Heikes Café wohl noch geben wird? Werfen Sie mir Naivität oder Albernheit vor, aber ich habe beschlossen, meine Brötchen, meinen Kuchen und meinen Kaffee in Zukunft bei Heike zu kaufen. Von mir aus können die Barristas weiterhin ihre auswendig gelernten Sätze durch den Laden rufen. Einheitlichkeit ist zwar bequemer, aber auch langweiliger.

Oder wie es mein Vater sagen würde: „Gönül ne kahve ister, ne kahvehane, gönül sohbet ister, kahve bahane“ – die Seele braucht keinen Kaffee und kein Café, die Seele braucht das Gespräch, der Kaffee ist nur der Vorwand.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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