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Berlin: Sein Leben ist eine Baustelle

Wolfgang Nagel, der erste Gesamtberliner Bausenator, wird heute 60

Er schwebt die Rolltreppe zum Café im Untergeschoss herab. Zwei, drei Leute an den Tischen ringsum überlegen, woher sie das Gesicht kennen. Auf der Straße und dort, wo er oft herumläuft, im „Quartier 206“ an der Friedrichstraße, stutzen Passanten immer wieder. Einige sprechen ihn an und fragen, wie’s denn so geht. „Aber es werden immer weniger“, sagt Wolfgang Nagel, und betont es so, dass es nicht traurig klingt. „Das ist mir auch lieber, ich will keine Öffentlichkeit.“

Nun sitzt er im Café des Quartiers, bestellt bei Piano-Klängen Orangensaft, sieht zufrieden aus. Was es über ihn denn zu berichten gebe, fragt er skeptisch. Und überlegt: „Wollen Sie was zum 60. Geburtstag schreiben?“

So ist es. Wir wollen hören, was er macht, was er vorhat. Es wird gemunkelt, dass er – seit acht Jahren Geschäftsführer bei der Fundus-Immobiliengruppe – sich selbstständig machen will. Ab Oktober, als Berater. „Ich will was Neues machen“, sagt er nur. „Ich habe gelernt, meinen Horizont zu erweitern und zwei Sprachen zu sprechen: Die der Verwaltung und die der Wirtschaft.“

Nagel war bis Anfang 1996 fast sieben Jahre SPD-Bau- und Wohnungssenator, ein Mann der sich nur zu gern öffentlich zeigte. „Ich war der letzte West-Berliner und der erste Gesamtberliner Bausenator,“ sagt er stolz. „Es war meine beste Zeit.“ Er war populär, managte die große Zeit des Bauens. Er öffnete neue Straßen und Brücken über alte Grenzen, legte ständig Grundsteine am Potsdamer Platz oder an der Friedrichstraße.

„Bauen ist geil“, sagte er damals. Mit Senatsbaudirektor Hans Stimmann, den er aus Lübeck holte, setzte er die Planung am Pariser Platz in Gang. Unter Nagels Regie wurde aber auch vorschnell das Stadion der Weltjugend abgerissen, entstanden sinnentleerte Olympiahallen oder „Wasserstädte“, deren öffentliche Kosten später desaströs ausufern sollten. Er stellte Projekte vor, die nicht verwirklicht wurden: etwa das Hochhaus „Zoofenster“ oder eine Medienstadt am Messedamm.

Er war ein „Macher“. Er schnauzte respektlos altgediente Abteilungsleiter an, provozierte inneren Widerstand. Gern hätte er neben seiner Bauverwaltung auch das artverwandte Stadtentwicklungs-Ressort gehabt, aber das wollte sich die CDU mit Volker Hassemer nicht aus der Hand nehmen lassen. Beide hätten besser kooperieren können, aber sie zelebrierten oft die Streitkultur, eifersüchtelten bei städtebaulichen Wettbewerben. Nagel war der Ehrgeizigere, fühlte sich als Supersenator.

Als er mit der Wiederauflage der großen Koalition auch Finanzsenator werden wollte, wurde er seiner Partei, die er als „offene Psychiatrie“ bezeichnet hatte, zu größenwahnsinnig. Sie servierte ihn ab. Für einen Vollblutpolitiker, der 1989 erfolgreich den Wahlkampf für Walter Momper zum Regierenden Bürgermeister gemanagt hatte, ein herber Schlag.

Nagel war bis dahin nur den Aufstieg gewohnt. In Lüdden an der Warthe geboren, wuchs er in Westfalen auf, studierte in Münster Geschichte und Pädagogik. Zog nach Berlin, wurde Erzieher in einem Wilmersdorfer Kinderheim, dann wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pressechef im Deutschen Institut für Urbanistik. Politisch avancierte er vom Charlottenburger Bezirksverordneten 1981 zum Abgeordneten. Er wurde baupolitischer Sprecher, dann Senator. Kalt entmachtet hätte er hart fallen können.

Aber Anno August Jagdfeld fing ihn auf. Der Chef der Fundus-Gruppe (Adlon, Quartier 206, Luxushotel Heiligendamm) suchte für seine Projektentwicklungsfirma Bredero einen Mann mit Verwaltungserfahrung und dem Image als Entscheider. Nagels engeres Reich wurde das Quartier 206 an der Friedrichstraße. Bis heute kümmert er sich um die Vermietung von edlen Läden, ist auch Geschäftsführer der Fundus-eigenen „Meoclinic“ für reiche Privatpatienten aus aller Welt. Er beobachtet die Immobilienszene, hält beispielsweise die Bebauung des Tacheles-Areals an der Oranienburger Straße derzeit für unrealistisch.

Öffentlich taucht er auf, wenn er sich an den Wirtschaftsgesprächen seines Freundes Walter Momper, des Parlamentspräsidenten, beteiligt. Nagel arbeitet im Stadtentwicklungsausschuss der Industrie- und Handelskammer, sitzt im Aufsichtsrat der städtischen Wohnungsgesellschaft Gewobag. Er fühlt sich als Teil von „Netzwerken“ und freut sich, dass ihn der CDU-Abgeordnete Fritz Niedergesäß kürzlich „mein Bausenator“ nannte.

Nagels Handy piept. Ein afrikanischer Botschafter will Räume an der Friedrichstraße besichtigen. Ein Fall für den Vermieter Nagel. Schon ist er auf der Rolltreppe nach oben.

Christian van Lessen

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