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Berlin: Sein letzter Wunsch: die Erinnerung an die Diktatur wach halten Witwe von Ex-Senator Gerd Löffler bittet um Buchkauf statt Blumen

Die Geste spricht noch einmal für den Mann: ein Buch statt Blumen. Es ist sozusagen die letzte Botschaft von Gerd Löffler, dem früheren Schul- und Wissenschaftssenator, langjährigen Abgeordneten, zeitweiligen SPD-Vorsitzenden, der am gestrigen Montag beigesetzt wurde – ein getreuer Eckart dieser Stadt, ein in Berlin hoch geschätzter Mann.

Die Geste spricht noch einmal für den Mann: ein Buch statt Blumen. Es ist sozusagen die letzte Botschaft von Gerd Löffler, dem früheren Schul- und Wissenschaftssenator, langjährigen Abgeordneten, zeitweiligen SPD-Vorsitzenden, der am gestrigen Montag beigesetzt wurde – ein getreuer Eckart dieser Stadt, ein in Berlin hoch geschätzter Mann. Auf seinen Wunsch bittet seine Frau in der Traueranzeige, das Buch „Orte erinnern. Spuren des NS-Terrors in Berlin. Ein Wegweiser“ von Johannes Heesch und Ulrike Braun zu erwerben und an einen jungen Menschen zu verschenken. Das Buch richtet den Blick auf die Gedenkstätten in Berlin und will so die Erinnerung an Opfer und Täter, Terror und Widerstand, Niedertracht und Auflehnung im Bewusstsein der heute Lebenden im wörtlichen Sinne „verorten“.

Vielleicht hatte der alte Pädagoge noch etwas anderes im Sinn. An den Streit um das Holocaust-Mahnmal hat man sich ja fast schon gewöhnt, so regelmäßig kehrt er wieder – manchmal aus guten Gründen, oft auch nur, weil der neue Streit der alte ist, von dem die Kontrahenten nicht lassen wollen. Da in der Nachbarschaft des Mahnmals weitere Denkmale geplant sind, wird den Streitern der Diskussionsstoff nicht ausgehen, und es droht, dass diese deutsche Endlosgeschichte die Gedenkstätten-Landschaft aus dem Blick geraten lässt, die es schon gibt, gerade in Berlin. Sie ist über die Jahre hin gewachsen, oft im Rücken des öffentlichen Interesses. Das Buch führt sie vor.

Dass es sie gibt, ist nur in zweiter Linie ein Verdienst der Berliner. In ihr schlägt sich – worauf Günter Braun im Vorwort des Buches hinweist – die Vergangenheit der Stadt als Reichshauptstadt nieder. Hier ballten sich die Instanzen, die den Terror planten und organisierten. Zugleich war Berlin aber auch eines der Zentren des Widerstandes gegen das Regime. Und vor allem war die Stadt ein Kulminationspunkt des jüdischen Lebens in Deutschland. Entsprechend groß ist die Zahl der Orte, die an die Verfolgung und Vertreibung der deutschen Juden erinnern.

Der Titel des Buches ist doppeldeutig: „Orte erinnern“ meint zugleich die Aufforderung zum Aufsuchen der Gedenkplätze und die Wirkung, die von ihnen ausgehen soll. Es ist tatsächlich ein Wegweiser, ein Buch zum Gebrauch: knappe Beschreibungen der Ereignisse, denen die Gedenkstätten gelten, Informationen über Verkehrsverbindungen, gut ausgewählte Fotos. Natürlich bietet es nur eine Auswahl, eine durchaus persönliche. Aber aus den gut dreißig Stücken entsteht ein eindringliches Bild, das ein Ganzes imaginiert, gerade wegen der Unterschiedlichkeit der Gedenk-Anlässe und der Mahnmale. Plastiken wie die für das Abtransport-Lager an der Großen Hamburger Straße, Gedenkstätten wie Plötzensee, Kunstwerke wie die Spiegelwand für die Steglitzer Juden und Denk-Figuren wie der „verlassene Raum“ auf dem Koppenplatz, dieses Gebilde aus leerem Tisch und umgeworfenem Stuhl – sie legen in die Stadt ein Netz von Zeichen und Spuren, alle zusammen „Bezugspunkte unserer Geschichte“, wie Peter Steinbach in seinem Einleitungsessay formuliert. Es fällt auf, wie West und Ost, frühere Nachkriegsjahre und die Jahre seit 1990 am gleichen Gedankenfaden ziehen. Es ist ein in seiner Betroffenheit einiges Berlin, das da auftaucht.

Das Buch bezeugt einen Geist, dem man Verbreitung wünschen möchte: Gerd Löfflers hat es so gewollt, aber auch der Herausgeber Gunter Braun, der das Buch, das seine Tochter miterarbeitet hat, möglich gemacht hat. Einen guten Teil der Auflage haben er und seine Frau Berliner Schulen zur Verfügung gestellt. Weil, wie er überzeugt ist, anders lebe, wer sich der Erinnerung an das Dritte Reich aussetzt – dort, wo es geschah.

Johannes Heesch/Ulrike Braun, Orte erinnern. Spuren des NS-Terrors in Berlin. Ein Wegweiser, herausgegeben von Günter Braun. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2003, 233 Seiten, 12,90 Euro.

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