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Geschichtsfestival: Auftritt der Revoluzzer

Geschichtsunterricht auf der Straße: Zur Historiale spielen 100 Darsteller Szenen der Märzrevolution.

Ein grauer Holzsarg steht vor dem Büro von Enno Lenze in Mitte. Wenn der 25-jährige Historiker ihn anschaut, denkt er darüber nach, wie lange es dauert, 183 davon auf dem Gendarmenmarkt zu arrangieren. Denn damit soll in wenigen Wochen an einen Tag in der Geschichte Berlins und Preußens erinnert werden: Das Gedenken an die Aufbahrung der Gefallenen der Märzrevolution, Menschen, die bereit waren, für Demokratie ihr Leben zu geben, ist am 22. März Höhepunkt und Abschluss der Historiale.

So erinnert das zum dritten Mal stattfindende Geschichtsfestival an jenen Tag vor 160 Jahren, an dem die Toten der Märzrevolution von 20 000 Menschen vom Gendarmenmarkt in den Friedrichshain geleitet wurden. Am Schloss erwies König Friedrich Wilhelm IV. den Gefallenen die letzte Ehre und verneigte sich mit entblößtem Haupt vor den Särgen.

Lenze und seine Mitstreiter vom Verein Historiale sind engagierte Profis, was Berlins Vergangenheit angeht. „Geschichtsvermittlung muss nicht trocken sein. Wer weiß, worum bei der Märzrevolution bis aufs Blut gerungen wurde, begreift, woher die Grundlagen unserer Demokratie stammen“, sagt Lenze. Das Historiale-Team organisierte bereits 2007 das Spektakel zum 200. Jahrestag der preußischen Reformen, und ein Jahr zuvor wurde der Einzug Napoleons 1806 in Berlin am Brandenburger Tor nachexerziert. „Die Resonanz spiegelt das große Interesse an Geschichte wider“, sagt auch Wieland Giebel, der die Buchhandlung Berlin Story Unter den Linden betreibt und die Historiale erfunden hat. Öffentliche Gelder erhält das Spektakel, das im vergangenen Jahr zehntausende Besucher ins Nikolaiviertel lockte, nicht. „Alles zusammen kostet in diesem Jahr etwa 50 000 Euro, aber all unsere Förderanträge wurden abgelehnt“, sagt Giebel.

Zum einwöchigen Event vom 17 bis 22. März gibt es nicht nur massentaugliche Inszenierungen, sondern unter anderem auch einen Tag für Jugendliche im Freizeit- und Erholungszentrum FEZ Wuhlheide, an dem es um Meinungs- und Pressefreiheit gehen soll. Dazu werden Jugendliche aus all jenen Ländern erwartet, in denen es vor 160 Jahren revolutionäre Ereignisse gab.

Das Stadtbild prägen werden aber die großen Inszenierungen, zu denen rund 100 Geschichtsdarsteller aus Vereinen in ganz Deutschland kommen. So soll am Donnerstag vor Ostern die Freilassung des polnischen Wanderrevolutionärs Ludwik Mieroslawski aus dem Zellengefängnis Moabit am Ort nachgestellt werden. Mieroslawski wurde während der Barrikadenkämpfe verhaftet und musste am 20. März wieder freigelassen werden. Der Pole avancierte zu einer Art Volksheld.

Die nördlichste Barrikade der Kämpfe stand aber am Alexanderplatz. An diesem historischen Ort soll sie auch wieder errichtet werden. Geschichtsdarsteller werden die Aufständischen und das gegen sie vorgehende Militär geben. Dabei bemühen sich die Historiale-Macher auch in Details um Genauigkeit. Weil nirgendwo passende Pickelhauben für die Militärdarsteller aufzutreiben waren, wurden 20 dieser Kopfbedeckungen in einer Spezialwerkstatt, dem Zeughaus Kinnemann im brandenburgischen Neuenhagen, angefertigt.Claudia Pietsch (ddp)

Claudia Pietsch (ddp)

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