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Christa Beer ist Profi-Sortiererin und hilft beim systematischen Ordnung-Schaffen

© Oliver Wolff

Schreibtisch aufräumen: Die Existenzgründerin Christa Beer bietet einen Sortierservice an

"Wir bringen Ordnung in Ihr Leben", wirbt die Existenzgründerin Christa Beer. Ihr Sortierservice räumt überfüllte Schreibtische auf. Mancher trennt sich nur ungern von seinen lange gesammelten Aktenstapeln.

Auf dem Kontoauszug liegen Hustentabletten. Daneben eine Tonbandkassette.

Weiter hinten noch eine Kassette: darunter ist die Lohnsteuerkarte. Eine Versicherungspolice liegt unter einer Zeitschrift. Schon ist ein Eselsohr drin. Auch die Polizei hat sich gemeldet: Bußgeld wegen Falschparkens.

Neben dem Bescheid liegen noch mehr Kontoauszüge. Und Einkaufsbons, eine Telefon-Rubbel-Karte und ein Pizza-Gutschein. Alles zusammen ist es eine etwa zehn Zentimeter hohe Schicht, die Roland Harferts Schreibtisch bedeckt (Name geändert). Keine einzige Ecke auf dem Schreibtisch ist frei.

"Das ist irgendwie so gewachsen", sagt Harfert. Sein System ist das Chaos.

Christa Beer wird den Tisch aufräumen: Zuerst - "das hier doch auch, oder?" - packt sie das ganze Papier in zwei Pappkisten. Für 205 Euro pro Karton wird sie dann jeden Brief, jede Quittung und jede Bescheinigung dorthin abheften, wo sie hingehören: In bunte Ordner, mit Beschriftung und Register. Eine Woche später kann sich Harfert dann fünf farbige Ordner ins Regal stellen: System statt Chaos.

Ordner helfen", sagt Beer, "Aktenmuffel werfen ihre Sachen nur deshalb auf einen Haufen, weil sie sich nie System angelegt haben." Auch bei Harfert war das wohl so: Nach seinem Studium hieß es vor fünf Jahren für den jungen Arzt: Durchpowern! Und das blieb bis jetzt so: An sechs Tagen in der Woche ist er zehn Stunden in der Praxis. Die Zeit, die er nebenbei noch hat, braucht der 37-Jährige für seine Freundin und die zwei Kinder.

Aufräumen - so etwas erscheint da auf den ersten Blick unnötig.

Aber auf den zweiten nicht: Mahnungen trudelten ein, und vor vier Jahren fehlten das erste Mal Honorarabrechnungen und Kontoauszüge: Die Steuerberaterin murrte, Harfert verlor Geld ans Finanzamt. Sogar zwei Schecks waren auf einmal weg, eine Steuerrückzahlung und ein Lottogewinn.

500 Mark waren futsch. "Sonst dachte ich immer, wenn etwas irgendwo in der Wohnung ist, verschwindet es schon nicht", sagt Harfert. Pustekuchen.

Die Erste, die zur Tat schritt, war seine Partnerin. Das war vor drei Jahren. "Die neue Ordnung für meinen Freund" steht auf drei Ordnern, in denen einige alte Belege stecken. Aber diese Ordnung war nicht gut genug.

Wieder häuften sich die Stapel, und Harfert probiert nun das Beer-System aus: "Grundordnung" nennt Christa Beer das, was sie sich zur Gründung ihres Sortierservices überlegt hat. Sie hat fünf Ordner: Beruf, Finanzen, Auto, Versicherungen und Haushalt. Strom, Gas, Miete, Telefon sind im Ordner unterteilt mit Trennblättern. Und auch Betriebskosten, Fernsehgebühren, Zeitungsabo.

Ordnung ist ein psychologisches Problem: Bürokratie und Formalien sind keine Dinge, mit denen sich zu beschäftigen man in der Freizeit große Lust hätte. Und manche sind nicht zum Papiertiger geboren, sondern zum Faultier. Man könnte es auch so sagen: Es gibt zwei Sorten von Schreibtischbesitzern. Beide sind unglücklich, und jede beneidet die andere. Schreibtisch-Vollstapler beneiden die Schreibtisch-Aufräumer um Ordnung auf dem Tisch - und womöglich auch um Ordnung im Kopf. Und die Aufräumer beneiden die - ihrer Meinung nach sorgenfreien - Vollstapler um die durchs Nicht-Aufräumen gewonnene Zeit. Doch wachsende Unordnung kann zum handfesten Problem werden: Je größer die Stapel werden, desto geringer wird die Motivation des Staplers, sie abzuarbeiten. Und desto größer werden die Stapel. Hier setzt Christa Beer an.

Ihr Service bietet den Ausweg aus der Falle, in die so mancher ahnungslose Schnell-Wegleger tappt. "Ich habe immer alles fröhlich irgendwo hingelegt", sagt Harfert. Lohnzettel, Rentenbescheinigung, Einkommensteuerbescheide. Jetzt spricht er von "körperlichem Unwohlsein", das allein dann kommt, wenn er an seinen Schreibtisch denkt. Das Einschlafen werde zur Qual, das Selbstbewusstsein leide, die Energie schwinde, die Freundin sei genervt. Vor einem Jahr habe ihm ein Freund, ein Betriebswirt, gesagt: "Los, zwei Stunden, und wir machen das zusammen." Harfert wollte es aber alleine tun. Und tat es dann gar nicht.

Als er dann die Werbung von Christa Beer fand, hat er sich "erkannt gefühlt".

Seit einem halben Jahr fährt die 53-Jährige mit einem VW-Bus durch die Stadt, im Laderaum Pappkartons und an der Seitenwand Werbung: "Wir schaffen Ordnung mit System." Christa Beer arbeitete vorher im Umweltamt Spandau und in einem Ingenieurbüro. Überall verfeinerte sie die Dokumentenablage, bis sie sich entschloss, genau das zu ihrem Beruf zu machen. Mit ihrem Sortierservice nimmt sie am diesjährigen Businessplan-Wettbewerb für Existenzgründer teil. Die ausgebildete Agrarökonomin sagt von sich, auch sie selbst sei einmal unordentlich gewesen. Einmal, lange ist es her, habe sie beinahe einen Flug verpasst, weil sie das Ticket nicht finden konnte. Zurzeit arbeitet sie jedoch ordentlich - und mit System: Auf ihrem Schreibtisch liegt eine Mappe mit den Fächern "Erledigen", "Ablegen" und "im Auge behalten". "Den gehe ich jeden Tag einmal durch", sagt sie. Sie sehe das pragmatisch, sagt Beer.

Wer Ordnung habe, brauche weniger suchen.

Ihre Kunden pflegen oft eine Hassliebe zu ihrer Un-Ordnung. Wenn der Aktenwust endlich in den Kisten verschwindet, sagt Beer, seien die meisten trotzdem froh. Nicht so Harfert: Er kratzt sich am Kopf. "Die Sachen fehlen mir schon", sagt er und guckt den Kisten hinterher.

Der Beer-Sortierservice ist unter der Telefonnummer 420 888 66 erreichbar.

Von Christian Domnitz

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