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Stadtleben: Im Häppchenrausch

Käse, Gnocchi und Trüffelsalami: Wie man sich gratis durch die Hallen isst

Heute habe ich – entgegen aller Gewohnheit – nicht gefrühstückt. Denn wozu bin ich bitte sonst auf der Grünen Woche? Ich verzichte auf Fleckvieh-Show und Dirndl-Performance und begebe mich ohne Umwege in die Hallen 12 bis 17, das Fress-Rondell. Hier gibt es Wurst und Käse, Wein und Bier, Spezialitäten verschiedener Länder und entgegen allen Hoffnungen nichts von alledem hinterhergeschmissen.

Anscheinend haben die Händler aus der Erfahrung gelernt, denn bei vielen Ständen sind Gratiskostproben nicht mehr ausgelegt, sondern müssen beim Händler erfragt werden, womit man Messe-Schnorrern wie mir die eigene Raffgier unter die Nase reiben will.

Aber ich finde die wenigen Gratisstände trotzdem, und so schare ich mich nur kurze Zeit später zwecks schneller Kohlenhydrataufnahme mit einer ganzen Spandauer Schulklasse hyänenartig um einen schon brutal zugerichteten rumänischen Hefezopf. Heimlich nehme ich ein Stück Hefezopf mit zum Schwarzwälder Wurststand, um mir mit dieser Kombination ein Wurstbrot zusammenzustellen.

Aber auch auf mehrfache Nachfrage hin werden hier weder Schwarzwürstle noch Pfefferbeißer herausgerückt. Das angebotene Stück Bauchspeck verschmähe ich mit gerümpfter Nase und gehe demonstrativ zum Käsestand gegenüber, wo eine Frau mit Puffärmelbluse gut gelaunt und großzügig Käsehäppchen verteilt. Als ich zum dritten Mal den Appenzeller probieren will, gefriert ihr Lächeln ein wenig. Ich greife noch schnell nach einer Handvoll Bergkäsehäppchen und behaupte, ich würde nachher etwas bei ihr kaufen.

Am Stand eines südafrikanischen Weingutes bleibe ich stehen und frage, ob ich mal einen Schluck probieren dürfe. Ein Mann mit roter Schürze und Zahnlücke füllt ein Glas Rotwein. Ich simuliere Weinkenntnis und lobe den holzigen Abgang, verrate mich aber als ich frage, wo Cabernet-Sauvignon eigentlich genau liegt. Glücklicherweise mag mich der Mann und ich bekomme nach dem Cabernet noch ein Glas Shiraz und dann wieder einen Cabernet, esse Salzgebäck und bin plötzlich mit einem südafrikanischen Winzer per Du. Dafür bin ich jetzt aber auch betrunken.

An einem Feinkoststand lächele ich schief einem Verkäufer zu und darf zum Dank Wildschwein- und Fenchelsalami essen, die Trüffelsalami wird mir allerdings zunächst verwehrt. „Anweisung vom Chef. Die ist zu teuer.“ Als ich bereits auf dem Weg zum Verband der deutschen Fruchtsaftindustrie bin, um dort im Rahmen eines Ratespiels an der Gratisverköstigung teilzunehmen, kommt mein Salamiverkäufer hinterher. Er guckt sich um wie ein Dealer und drückt mir eine Trüffelsalami in die Hand. „Komm Mädel, lass es dir schmecken!“ Dann verschwindet er in der Menge und die Trüffelsalami in meiner Tasche.

Beim Saft-Quiz muss ich Säfte am Geschmack erkennen. Ich stelle mich blöd, weil ich wegen Alkohol und Salami starken Nachdurst habe, und erschnorre mir auf diese Weise erfolgreich ein Glas Birnen-, zwei Gläser Apfel- und ein Glas Traubensaft.

Meine kulinarische Ausbeute findet im Dreiländereck Schweiz-Italien-Österreich ihren Höhepunkt. Denn erst bekomme ich ein halbes Schweizer Raclette-Brot geschenkt, dann erwecke ich den Mutterinstinkt einer dicken italienischen Mama, die mich mit Gnocchi, hausgemachten Fusilli und Bruschetta versorgt und am Ende lässt sich ein Österreicher erweichen und schenkt mir einen halben Germknödel, der sonst vier Euro gekostet hätte.

Unangenehmerweise wird mein neuer Trüffelsalami-Freund Zeuge, wie ich unelegant und maßlos den Germknödelrest in mich hineinstopfe und macht mir ganz ohne Nachfrage das schönste Geschenk am heutigen Tag: es gibt Grappa. Elena Senft

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