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Kindertheater

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Kinder- und Jugendtheater: Mehr als Kinderkram

Rund 80 Theater machen in Berlin Programm für junge Zuschauer. Sie setzen sich mit Themen auseinander, die Kinder und Jugendliche interessieren und setzen sie entsprechend um. Viele Stücke sind schon für Sechsjährige – und auch für große Kinder lehrreich.

„Was für eine Glut“, klagt die Bäuerin Stine, „was für eine große Dürre!“ Das Land braucht Wasser, die Ernte steht auf dem Spiel. Nur eine kann sie noch retten: die Regentrude. „Sie muss eingeschlafen sein“, sagt Frau Stine, „aber sie kann geweckt werden.“ Andrees, Frau Stines Sohn, und Maren, die Tochter des reichen Nachbarn Wiesenbauer, wollen es versuchen. Mit kleiner List entlocken sie dem Feuermann den Ort, wo sich die Regentrude aufhält. „Falls es innerhalb der nächsten 24 Stunden regnet“, verspricht der Wiesenbauer, „soll Andrees meine Maren freien“. Er glaubt nicht daran – weder an die Regentrude noch daran, dass es bald regnet.

Eine junge Liebe, die der Vater verbietet. Dazu der Konflikt zwischen Arm und Reich, zwischen fantastischem Glauben und Rationalität. Das sind Themen der Weltliteratur, die in Theodor Storms Märchen stecken, findet Intendant Kay Wuschek. Keine leichte Aufgabe für ihn, den ernsten Stoff seinem Publikum näherzubringen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass viele Gäste im Theater an der Parkaue erst sechs sind.

Die Parkaue gehört zu den bekanntesten Namen einer lebhaften Szene. Das größte deutsche Kinder- und Jugendtheater spielt auf drei Bühnen mehr als 500 Vorstellungen jährlich, hat 27 Stücke im Repertoire. Aber in Berlin gibt es noch mehr hochwertige Produktionen: Der Jugend Kultur Service (JKS) verzeichnet rund 80 Berliner Kinder- und Jugendtheater auf seiner Internetseite. Und das sind nur die professionellen Häuser, also solche mit ausgebildeten Schauspielern, die besonders spielfreudig auf ihre jungen Zuschauer eingehen, sagt Geschäftsführerin Doris Weber-Seifert. Um das zu beurteilen, besuchen Mitarbeiter des JKS regelmäßig Vorstellungen speziell für das Publikum zwischen 2 und 18 Jahren. Die Häuser besetzen ganz unterschiedliche Nischen: Es gibt Puppen- und Marionettentheater, Figuren- und Papiertheater, Musiktheater und Zauber-Mitmach-Theater.

Allen Produktionen ist gemein, dass sie sich mit Themen auseinandersetzen, die Kinder und Jugendliche interessieren. Während es in der „Regentrude“ um Liebe und soziale Unterschiede geht, greift „Wehr dich, Mathilda!“ im Grips- Theater das Thema Mobbing auf. Das Stück für Kinder ab sechs Jahren setzt sich mit der Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Mädchen inmitten psychischer und körperlicher Gewalt in der Grundschule auseinander. Ebenfalls im Grips-Theater geht es derzeit um „Winner & Loser“, um eine Gesellschaft, die bereits die Heranwachsenden in Gewinner und Verlierer einteilt. Manchmal geht es auch um den Tod: „Nellie Goodbye“ heißt das Schauspiel von Lutz Hübner, in dem eine junge Sängerin mit der Diagnose Gehirntumor konfrontiert ist. Das Stück wurde hoch gelobt – und vom Spielplan genommen. Die Schulklassen blieben aus. Wahrscheinlich, weil im Unterricht die Zeit fehlt für eine aufwendige Vor- und Nachbereitung des Stoffs, vermutet Theatersprecherin Anja Kraus.

Vom Ausgangspunkt der Macher – der Regisseure, Dramaturgen und Schauspieler–, sei Theater für Kinder nicht anders als für Erwachsene, sagt Kay Wuschek, der Parkaue-Intendant. Es soll unterhalten, anregen, Trost spenden. Aber: „Kinder sind unhöflich.“ Kinder stehen auf, sie rufen dazwischen, sie werden unruhig, wenn sie sich langweilen. Wenn sie sich freuen, auch. Wuschek reizt die Interaktion: „Da sitzt keine stillschweigende Menge, die voller Ehrfurcht das Geschehen auf der Bühne beobachtet.“ Mehr noch als Erwachsene wollen Kinder Figuren, mit denen sie sich identifizieren, die sie faszinieren.

Deshalb verlegt Wuschek seine „Regentrude“ vom deutschen Norden in eine Western-Szene. „Wiesenbauer Ltd.“ steht an einem der hölzernen Balkone. Wiesenbauer selbst tritt mit Cowboyhut und in braunen Chaps auf, den ledernen Beinkleidern über der Bluejeans. Und der Feuermann ist kein fieser Gnom, wie in Storms Vorlage, er tanzt als mexikanischer Gaucho zu „Ring Of Fire“ über die Bühne. Wenn die kleinen Feuersprüher aufflammen, recken die jungen Zuschauer ihre Hälse noch ein bisschen weiter, stecken die Köpfe zusammen, tuscheln hinter vorgehaltener Hand.

2005 erhielt das Grips-Theater für „Nellie Goodbye“ den „Ikarus“, einen Preis, den der Jugend Kultur Service für herausragende Neuinszenierungen vergibt. In diesem Jahr ist unter anderem das Theater Strahl für „Klasse Klasse“ nominiert. Dahinter verbirgt sich eine Theatercollage von Michael Vogel über den Mikrokosmos Schule. Fast ohne Worte, dafür mit Masken und viel Musik inszenieren die Schauspieler die Konflikte einer Schulklasse: zwischen Diva und hässlichem Entlein, zwischen Streber und Klassenclown. Mit auf der Bühne ist Mando, zweifacher deutscher Meister im Beatboxen. „Die Kinder erfahren eine Art Katharsis“, sagt Anja Kraus, „sie bekommen das Gefühl: Ich bin nicht allein mit meinen Problemen.“

In der „Regentrude“ wendet sich letztlich alles zum Guten: Das schöne Mädchen erwacht, die Wiesen blühen, Maren und Andrees heiraten. Und sogar der hochnäsige Wiesenbauer darf sich am Ende verlieben.

Christina Kohl

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