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Lukasz Kaminiski schreibt über sein Berlin.

© Thilo Rückeis

The Promised City: Teil zwei - Der magische Knöchel

Lukasz Kaminski schreibt normalerweise für die polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza". Im Rahmen des Projekts "The Promised City" ist er Gast beim Tagesspiegel und beschreibt, wie er Berlin erlebt.

Stand:

Kurz nach meiner Ankunft in Berlin saß der Knöchel mit mir in der U-Bahn. Er war auf der Titelseite aller Zeitungen, die meine Mitreisenden in den Händen hielten. Sie alle haben über Michael Ballacks Verletzung und den magischen Knöchel des Mannes berichtet, durch den Deutschland - vielleicht - nach 20 Jahren wieder Weltmeister geworden wäre.

So sehr ich Ihren Schmerz auch verstehen kann: diese ganze Situation fasziniert mich (bitte bedenken Sie, dass ich das aus der Perspektive eines Fans schreibe, dessen Team noch nie die Weltmeisterschaft gewonnen hat). Mein irrationaler Glaube an diese Mannschaft erinnert deshalb an Don Quichotte).

Aus der Zuschauerposition kommt mir das Ganze vor wie eine Telenovela; mit ganz vielen Intrigen, unterschiedlichen Subtexten und nicht so leicht erkennbaren Bedeutungen.

Sie glauben mir nicht? Schauen Sie sich die Tatsachen an. Noch vor ein paar Tagen haben wahrscheinlich gar nicht so viele Deutsche gewusst, wer Kevin-Prince Boateng ist - obwohl der Mann Berliner ist. Aber jetzt ist er der Staatsfeind Nummer eins.

Es gibt sogar spezielle Internetseiten, auf denen die Fans ihren Hass auf Boateng zum Ausdruck bringen: kollektiv und virtuell. (Vergessen Sie Eyjafjallajökull, denn wenn es zu wütenden Ausbrüchen kommt, dann ist auch dieser Vulkan nichts gegen einen bösen, enttäuschten Fußballfan).

Wenn für ihn alles nach Plan läuft, dann wird Kevin-Prince Boateng bei der WM für Ghanas Nationalmannschaft kicken, die in der Vorrunde gegen Deutschland antreten wird.

Aber das ist noch nicht alles: Diese ganze Geschichte wird immer interessanter. Es besteht nämlich die Möglichkeit, dass Kevins Bruder Jerome für die deutsche Mannschaft spielen wird. Und als ob das noch nicht genug wäre, behauptet nun auch noch der Vater der beiden Spieler, zwischen Kevin und Ballack habe es Konflikte gegeben. Was bedeuten würde, dass das ganze kein Unfall gewesen ist.

Ballacks Rechtsanwalt denkt darüber nach, vor Gericht zu ziehen. So hat Michael Ballacks Knöchel also auch außerhalb der Fußballwelt für Aufregung gesorgt.

Für mich ist die eigentliche Tragödie dieser Geschichte ziemlich offensichtlich: Wenn ein Opernsänger seine Stimme verliert, kann man die Aufführung verschieben. Bei Fußballern geht das nicht so einfach. Ballack wird bis zur nächsten WM warten müssen. So einfach ist das.

Falls Deutschland Weltmeister wird, dann wird die "Knöchelaffäre" sicher ganz schnell vergessen sein. Aber falls (und dieses falls ist ziemlich groß, wenn man bedenkt, wie gut Spanien gerade ist, wie verzweifelt die Engländer und wie unberechenbar die Argentinier...) Ihre Mannschaft nicht gewinnt, wird die Debatte über den Knöchel gar nicht mehr aufhören. Sie wird wieder hochkommen oder sogar explodieren, jedesmal ausbrechen - und Ihrer langen Fußballgeschichte dann ein neues Kapitel hinzufügen.

Übersetzung: Rita Nikolow

Lukasz Kaminski

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