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Berlin: Störfaktor im Erinnerungsbild

Kein Foto vom Reichstag: Weil die Wiese bis zum Kirchentag umzäunt ist, ärgern sich die Touristen

Wer wollte, könnte hier sitzen, stehen und erst recht liegen. Er könnte laufen oder einfach nur gehen, könnte Kniebeugen machen oder sich im Schattenboxen üben. Nur eines könnte er nicht: Fußball spielen. Ist die eine Hälfte der vom IntensivKicken malträtierten Grünfläche vor dem Reichstag „zur Erholung“ ohnehin eingezäunt, ist die andere, etwas bessere Hälfte, von rotweißen Sperrbändern durchzogen. Dazwischen, kreuz und quer, ringsherum und über Eck, lässt sich beim besten Willen kein Tor erzielen. Da steht, wer Fußball spielen will, im Abseits.

Den vielen Touristen, die am Sonntagmittag am Reichstag vorbeischlenderten, war die wochenlange Berliner Fußball-Posse nicht geläufig oder schlicht egal. Der Streit um das neue und schon so gealterte Grün auf dem Platz der Republik, die angedrohten 50-Euro-Bußen beim amtlich verbotenen Fußballspiel – das alles zählte nicht. Die Touristen mit Fotoapparaten und Filmkameras ärgerten sich aus einem anderen Grund über den Zaun: Er verhindert die schöne Weitsicht auf den Reichstag und die Kuppel. Für gute Aufnahmen ist ausreichend Abstand nötig. Und der fehlt, wenn gleich hinter der Reichstagsvorfahrt dieser Zaun den Weg auf den Rasen versperrt. Film- und Fotofreunde müssten eigentlich bis zur Entlastungsstraße gehen. Aber dann wäre ein Störfaktor im Erinnerungsbild: Dieser elende Zaun!

Den Rasen-Verantwortlichen im Bau- und Grünflächenamt dürften diese Sorgen wiederum egal sein. Der Bezirk weiß sich nicht anders zu helfen, als die Republik vom Platz auszusperren, zumindest von einem großen Teil davon. Denn was da eingezäunt ist, sieht stellenweise so vernarbt und verbraucht aus, als wüchse es am Rand der Sahara.

Die Stollenschuhe der Freizeitkicker haben eben ihre Spuren hinterlassen, hässliche kleine Löcher und Sandflächen, die wie misslungene Maulwurfshügel aussehen. Kaum vorstellbar, dass sich die geschützte Grünanlage und ausgewiesene Liegewiese in gut zwei Wochen bis zum Abschlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchentags erholt. Dann wird der Zaun wieder fallen, weil das herbeigeeilte Kirchenvolk das Grün genießen soll, wenn’s muss, auch barfüßig. Das Grünflächenamt hofft, dass der erholte Rasen das verkraftet, zumal bis dahin auch noch Ausbesserungen geplant sind. Auch Schutzplatten sollen ausgelegt werden, die ein wenig an Kunstrasen erinnern. Das alles kommt wieder weg, wenn der Kirchentag vorbei ist. Dann kommt aber auch wieder der Zaun zurück, für mindestens zwei weitere Wochen, damit erstmal Gras über die Sache wächst.

Aber so richtig klar ist noch immer nicht, ob die Hobby-Fußballer nicht doch irgendwann wieder spielen können, so wie sie es über Jahrzehnte vor dem alten Reichstag taten. Der Bezirk, der schon ein Schreckensszenario von jährlich 220 000 Euro Rasenschäden aufzeichnete, weist auf leere Kassen. Er will das Fußballspiel nur genehmigen, wenn der Bundestag, aus dessen Reihen immer wieder mildes Verständnis für die Kicker geäußert wird, auch die Kosten trägt. Doch das gilt wegen leerer Bundeskassen als frommer Wunsch. Der Präsident des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, hatte neben einer finanziellen Beteiligung des Bundes jetzt auch einen Kostenbeitrag der Fußballer angeregt. Von einer „Liegewiese“ aber ist kaum noch die Rede.C. v. L.

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