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Eine Figur von Justitia steht vor der Länderfahne von Berlin.

© Imago/Steinach

Tod eines Zwillings: Berliner Landgericht verurteilt zwei Mediziner zu Bewährungsstrafen wegen Totschlags

Bewährungsstrafen gegen zwei Ärzte, die einen Zwilling mit schwerer Hirnschädigung im Bauch der Mutter töteten. Das Urteil: ein Jahr und vier Monate.

Das Mädchen ist fast zwölf Jahre alt, seine Zwillingsschwester sollte wegen einer schweren Hirnschädigung nicht leben. Der medizinisch, ethisch und juristisch komplexe und umstrittene Fall beschäftigte am Donnerstag zum zweiten Mal das Landgericht. Zwei Mediziner mit glänzenden Karrieren auf der Anklagebank. Es bleibt für sie bei Bewährungsstrafen wegen gemeinschaftlichen Totschlags in einem – juristisch – minderschweren Fall.

Ein Jahr und sieben Monate Haft auf Bewährung erhielt der damalige Chefarzt Klaus V., ein Jahr und vier Monate Haft auf Bewährung ergingen gegen Babett R., leitende Oberärztin in einem Klinikum. Damit verringerten sich die im ersten Prozess verhängten Bewährungsstrafen gering – jeweils um zwei Monate. Den Schuldspruch hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bereits im November 2020 bestätigt. Den beiden Medizinern droht nun der Widerruf ihrer Approbation.

Babett R., leitende Oberärztin, und Klaus V., damals Chefarzt, hatten im Sommer 2010 in einem Klinikum während einer Zwillingsgeburt tödliches Kaliumchlorid eingesetzt. Ihre Sorge galt dem Wohl des gesunden Kindes.

Bereits während der Schwangerschaft war bei dem anderen Zwilling eine schwere Hirnschädigung diagnostiziert worden. Es hatte zudem Komplikationen gegeben, weil sich die Föten die Plazenta teilten. Die Eltern entschieden sich nach Beratungen zu einer Abtreibung. Eine medizinische Indikation für einen späten Abbruch lag vor.

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Bei Babett R. fühlte sich die Mutter der eineiigen Zwillinge gut aufgehoben, zuvor war sie in Hamburg in Behandlung und hatte den Eindruck, man würde ihr nicht helfen wollen. Sie war in der 32. Schwangerschaftswoche, als Wehen einsetzten. Babett R. und Klaus V., heute 60 und 75 Jahre alt, entschieden sich für einen Kaiserschnitt. Gegen 5.20 Uhr kam das gesunde Kind zur Welt. Kurz danach injizierten sie dem anderen Zwilling noch im Mutterleib tödliches Kaliumchlorid.

Verfahren erst durch anonyme Anzeige

Eine anonyme Anzeige brachte das Verfahren gegen die beiden Ärzte Jahre später ins Rollen. Sie sagten vor Gericht, sie seien damals von einem rechtlich zulässigen Eingriff ausgegangen. Wann wird aus einem Fötus rechtlich gesehen ein Mensch? Darum wurde im ersten Prozess im Herbst 2019 debattiert. Im Urteil hieß es dann, Ärzte wüssten, „dass es verboten ist, ein Kind im offenen Mutterleib totzuspritzen“.

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Der Eingriff hätte nur vor, nicht nach Beginn der Geburt vorgenommen werden dürfen, so die Gerichte. Die Regeln zu einem Abbruch würden nur bis zum Beginn der Geburt gelten, stützte der BGH das Berliner Urteil. Mit Beginn der Eröffnungswehen beziehungsweise im Fall eines Kaiserschnitts mit Eröffnung des Uterus werde dem Strafrecht zufolge aus dem Fötus ein Mensch. Der BGH ordnete allerdings eine neue Verhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts über das Strafmaß an.

Die Angeklagten äußerten Bedauern. Ein Anwalt sagte: „Hier ist die Verurteilung der Fluch der gut gemeinten Tat.“ Das Gericht berücksichtigte beim Strafmaß unter anderem die lange Verfahrensdauer und die drohenden berufsrechtlichen Konsequenzen für die Angeklagten.

Kerstin Gehrke

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