Berlin: Überflüssig und gestelzt
Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker
Stand:
Seltsam, wie oft Verben mit einem Reflexivpronomen gebraucht werden, obwohl sie es nicht vertragen. „Es beweist sich in der täglichen Arbeit, dass es immer wieder gelingt, Kompromisse zu finden“, hörte ich einen Bundesminister im Fernsehen sagen. Schön und gut, Kompromisse gehören zum politischen Geschäft. Allerdings beweist es sich nicht, sondern es erweist sich, dass es gelingt, Kompromisse zu finden. Es zeigt sich, es stellt sich heraus.
Doch offenbar nimmt man den feinen Unterschied zwischen beweisen und sich erweisen nicht mehr so genau. Diese Verben werden einfach als Synonyme betrachtet, und schwupp, schon wird beweisen zum reflexiven Verb. Im Deutschen Universalwörterbuch steht unter „beweisen“ ein Beispiel für die Bedeutung von „sich erweisen“: „Die Journalisten, die sich als hartnäckig bewiesen hatten, ließen sich nicht abweisen.“
Bei reflexiven (rückbezüglichen) Verben wird das vom Subjekt ausgehende Geschehen auch auf das Subjekt bezogen. Er ärgerte sich. Sie beeilte sich. Wie die beiden Beispiele zeigen, gibt es echte und unechte reflexive Verben. Echte sind mit dem Reflexivpronomen fest verbunden. Man beeilt sich, wundert sich, entsinnt sich, schämt sich. Bei unechten reflexiven Verben kann ein Reflexivpronomen stehen. Sie holte die Zeitung / holte sich die Zeitung. Oft kommt es auf den Sinn des Gesagten an. Sie wäscht sich; sie wäscht das Kind. Der Arzt verschreibt ein Medikament; er verschreibt sich (schreibt aus Versehen falsch). Er ärgerte sich; er ärgerte seinen Nachbarn.
Doch häufig sind eben Reflexivpronomen überflüssig und hören sich zudem grauenvoll an. „Wie begründet sich die Auffassung des Senats von Berlin…“, wollte der Abgeordnete Michael Arndt (SPD) in der Fragestunde des Parlaments wissen. Das klingt reichlich gestelzt. Man könnte auch schlicht fragen: Wie begründet der Senat seine Auffassung…? Ach, so etwas ist öfter zu hören: Wie begründet sich sein Anspruch? Gregor Hoffmann (CDU) meinte in der Parlamentsdebatte: „Deswegen erwarten wir uns… eine ganz klare Vorlage.“ Du liebe Güte, die CDU erwartet die Senatsvorlage im Sinne einer selbstverständlichen Forderung. Ich jedenfalls erwarte mir gar nichts, sondern erhoffe mir etwas. Doch wieder irritierte mich ein Beispiel im Deutschen Universalwörterbuch. Unter „erwarten“ wird unter anderem die Bedeutung „sich erhoffen“ aufgeführt: „Ich erwarte mir viel von ihm.“ Nun ja, dieses Wörterbuch, das über die Herkunft und Bedeutung der Wörter Auskunft gibt, soll ein Abbild der „Gegenwartssprache“ sein.
Nur: Wer zwingt uns so zu reden, dass sich aufhört die Sprachkultur?
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