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CLINT zwischen den Fronten: Verdammte Freiheit

Clint Lukas über sein Doppelleben als Vater und Clubgänger.

Ich gehe gerade über den Hausvogteiplatz, als mich jemand ruft. Es ist Frank, ein ehemaliger Arbeitskollege. Drei Jahre lang haben wir hier und auf anderen Wochenmärkten die Holzbuden aufgebaut.

„Ich dachte schon, der feine Herr Kolumnist hat’s nicht mehr nötig, zu grüßen“, sagt er. Wir schütteln uns die Hand. Seine ist immer noch voller Schwielen. Die Arbeit ist hart, aber man muss dafür nicht das schärfste Messer im Kasten sein. Frank war damals der Einzige, mit dem man reden konnte.

„Ganz schön viel Bullshit in deiner Kolumne“, sagt er dann. „Dass dir angeblich jede Woche irgendwelche Frauen schreiben. Und dich treffen wollen. Das erfindest du doch!“

„Dazu reicht meine Fantasie nicht aus“, sage ich.

„Quatsch nicht! Du verwurstest einfach nur deine Tinder-Dates.“

Sein Gesicht ist vom Alkohol ganz rot und merkwürdig prall. Trotzdem soll er nichts Falsches denken.

„Tinder ist ein Albtraum“, sage ich. „Die Leute haben alle zu viele Castingshows geschaut. Die Dates, die ich hatte, waren wie Bewerbungsgespräche. Ich bin doch kein Produkt, das ich vermarkten will.“

Frank winkt ab. „Warst ja schon immer ein bisschen sensibel.“

„Stimmt. Ich wusste nur nicht, dass das ein Nachteil ist.“

„Ich glaub’ trotzdem nicht, dass dir die Frauen einfach so schreiben.“

Statt langer Beteuerungen zeige ich ihm die E-Mails und Facebook-Nachrichten der letzten zwei Wochen. Als Autor mit öffentlichen Profilen bin ich leicht zu erreichen.

Frank staunt. „Wie alt sind denn die Frauen?“ – „Meistens Ende zwanzig.“ – „Und triffst du die alle?“

Ich zucke vielsagend mit den Schultern. Tatsächlich treffe ich nur einen Bruchteil der Frauen. Und nur in den seltensten Fällen läuft dann auch was. Allerdings ist es schon zweimal vorgekommen, dass ich mich verliebt habe. Das erzähle ich Frank lieber nicht.

„Aber warum schreiben die dir? Was wollen die?“

„Sie sind auf der Suche. Oft kommen sie aus einer langen Beziehung. Die sie beendet haben, weil in ihrem Leben Stillstand geherrscht hat. Und irgendwie denken diese Frauen, ich sei ein wichtiges Puzzleteil für ihren Masterplan.“

Ich merke selbst, wie abwertend das klingt. Dabei kann ich die Sehnsucht auszubrechen verstehen. Scheint ein Zeichen unserer Zeit zu sein, dass man der Freiheit immer den Vorzug davor gibt, das Bestehende zu bewahren.

„Du kommst in deiner Kolumne als totaler Hallodri rüber“, sagt Frank. „Mir wären Frauen unheimlich, die sich von so was angezogen fühlen.“

Ich bin beeindruckt von seinem Scharfsinn. Das ist nämlich die Kehrseite der Medaille. Ich bin nur eine Projektionsfläche. Der Hebel, den manche Frauen benutzen, um die Weichen in ihrem Leben neu zu stellen. Was meistens nicht mal gelingt. Erst nachdem sie ihr altes Leben zu Scherben zerklopft haben, merken sie, was sie hatten. Und wollen zurück.

„Die Freiheit, zu tun, was wir wollen“, sage ich. „Segen und Fluch.“ – „Ist wie mit dem Internet“, stimmt Frank zu. „Da müssen wir auch noch lernen, wie man damit umgeht.“

Auf so viel Weisheit müssen wir erst mal ein Bier trinken. Frank ist meine Gertrude Stein. Wir sind jedoch keine „verlorene Generation“. Wir sind frei. Wir suchen Halt. Und wollen dann wieder ausbrechen. Wir sind eine Generation zwischen den Fronten.

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