
© Britta Pedersen/dpa
„Kein Grund“ für Zweifel an Fahrtüchtigkeit: Verteidiger fordern Freispruch für Unfallfahrer von Berliner Invalidenstraße
Nach dem SUV-Unfall mit vier Toten sieht die Verteidigung keine Schuld beim Fahrer. Das Landgericht will am 17. Februar ein Urteil verkünden.
Stand:
Für den Unfall, bei dem vier Fußgänger getötet wurden, ist Michael M. aus Sicht seiner Verteidiger strafrechtlich nicht zur Verantwortung zu ziehen. Als er sich am 6. September 2019 ans Steuer seines Autos setzte, habe es für ihn „keinen Grund gegeben, an seiner Fahrtüchtigkeit zu zweifeln“, sagte einer der Anwälte am Mittwoch in seinem Plädoyer. Denn sein Mandant sei von seinen Ärzten nicht über eine epileptische Erkrankung aufgeklärt worden. Freispruch beantragte die Verteidigung. Das Landgericht will am 17. Februar ein Urteil verkünden.
Die Richter müssen in dem Prozess wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs prüfen: Saß Michael M. am Steuer, obwohl er – so der Vorwurf der Anklage – wegen eines bekannten Anfallsleidens und einer kurz zurückliegenden Hirn-OP dazu nicht in der Lage war? War es eine vermeidbare Tragödie?
Der Oberstaatsanwalt plädierte vor einer Woche auf eine Strafe von eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung. Michael M. sei der fahrlässigen Tötung in vier Fällen und der Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig zu sprechen, beantragte der Ankläger. „Er hätte auf keinen Fall fahren dürfen“, sagte der Oberstaatsanwalt. Schon gar nicht bei der Vorgeschichte. Er hätte sich eigenverantwortlich informieren müssen, ob er fahrtauglich war.
Es war gegen 19 Uhr, als mit seinem Porsche Macan Turbo die Invalidenstraße in Mitte befuhr. Seine Mutter und seine kleine Tochter saßen mit im Auto. „Infolge eines epileptischen Anfalls verkrampfte er, trat das Gaspedal durch“, so die Anklage. Er habe wegen des Anfalls „konstant beschleunigt“.
Verteidigung: Keine strukturelle Epilepsie diagnostiziert
Der SUV fuhr in die Gegenspur, rammte eine Ampel, riss Poller aus der Verankerung. Das Auto wurde in die Luft geschleudert, überschlug sich mehrfach und erfasste an der Kreuzung Invalidenstraße/Ackerstraße die vier Fußgänger auf dem Gehweg. Ein dreijähriger Junge, dessen 64-jährige Großmutter und zwei 28- und 29-jährige Männer starben.
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Michael M. habe am 12. Mai 2019 erstmals in seinem Leben einen epileptischen Anfall erlitten, erklärte der Verteidiger. Er habe sich in Behandlung begeben, ihm sei ein Medikament verordnet worden. Die nächsten drei Monate sei es ihm gut gegangen. Im August 2019 sei ihm bei einer Operation in der Schweiz ein kleiner Hirntumor entfernt worden. Alles sei erfolgreich verlaufen. Es sei keine Warnung erfolgt – „auch nicht darüber, dass wiederum die Narbe zu einem epileptischen Anfall führen könnte“. M. habe nicht gewusst, dass er an einer strukturellen Epilepsie litt. Eine solche Diagnose sei nicht gestellt worden.
Sollte das Gericht trotz der Umstände zu der Überzeugung gelangen, dass M. gegen seine Eigenverantwortung verstoßen hat, sei von Fahrlässigkeit am unteren Rand auszugehen, so die Verteidigung. Auch sei zu berücksichtigen, dass M. bereits 50 000 Euro Schmerzensgeld gezahlt und seit dem Unfall auf das Autofahren verzichtet hat. Michael M. verzichtete auf ein eigenes Schlusswort vor dem Urteil.
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