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Berlin: „Warum haben Sie mich gewürgt? Geschlagen? Warum? Warum?“ Ein normaler Tag im Amtsgericht – ein Blick darauf, was Menschen einander zumuten

Von Katja Füchsel Der Mann im Zeugenstand wirkt nicht unglücklich. Mit seinen blonden Strähnchen, das Hemd leuchtet in gelb-grün-rosa-hellblau.

Von Katja Füchsel

Der Mann im Zeugenstand wirkt nicht unglücklich. Mit seinen blonden Strähnchen, das Hemd leuchtet in gelb-grün-rosa-hellblau. Trotzdem scheint den Richter echtes Mitleid zu bewegen: „Mein Gott, haben Sie einen schrecklichen Posten!“ Herbert C. zuckt mit den Schultern. Der Vertreter der Ausländerbehörde sitzt im Saal wie auf einem Präsentierteller – zwischen schwarzgewandeten Rechtsanwälten, Ankläger und Richter.

Ein ganz normaler Tag in Saal 672 des Moabiter Amtsgerichts. An denen, die auf den Zuschauerbänken Platz nehmen, ziehen die Probleme und Problemchen der Stadt gewissermaßen im Zeitraffer vorüber. Da steht das deutsch-vietsische Paar, das der Scheinehe verdächtigt wird. Der Vater, der seinen Unterhalt nicht zahlt. Der Ex–Hausmeister, der mit den Nachbarn im Krieg lebt. Es geht um Kampfhunde, Lügen, Hitlergrüße, Flüche. . .

. . .und Zahnbürsten. Die nämlich hat die Ausländerbehörde vermisst, als sie die frühere Wohnung von Thorsten S. und seiner Frau Yin durchsuchte. Keine gemeinsamen Fotos, kein Rasierzeug – nichts. Inzwischen leben die beiden mit ihrem Sohn Paul („117 Tage alt“) in einem Dorf bei Anklam. Doch damals, nach der Heirat im Jahre 1999, so die Ausländerbehörde, hat die Familie S. geschummelt. Und deshalb kam man zu dem Verdacht: Scheinehe.

Der Richter lächelt. „Wissen Sie, was man Ihnen unterstellt?“ Der Zeuge von der Ausländerbehörde schüttelt mit dem Kopf. „Dass Sie die beiden Angeklagten absichtlich reinlegen wollten.“ Dass die Behörde das Paar nach der Heirat ins Amt zitierte. Dass man nach der gemeinsamen Wohnung fragte. Sich ein Papier unterschreiben ließ – obwohl es für die Vorladung gar keinen Grund gab. Denn Yin S. hatte bereits vor der Hochzeit eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Der „Angestellte im gehobenen nicht-technischen Verwaltungsdienst“ blättert etwas ratlos in den Akten, dann zuckt auch der Staatsanwalt resigniert mit den Schultern: Freispruch.

Auftritt von Setki S. Der 24-jährige Albaner schlendert zur Anklagebank, als klemmten ihm Rasierklingen unter den Achseln. Doch wenig später ringt er die Hände im Schoß. „Ich lüge nicht! Ich brauche nicht zu lügen!“ Im Oktober 2000 geriet der Koch Setki S. vor einem Lokal in der Skalitzer Straße gewissermaßen zwischen die Fronten. Auf der einen Seite: sein Chef. Auf der anderen: eine Nachbarin mit Freundin und Kampfhund. „Battges, ein ganz, ganz liebes Tier“, beteuert Jennifer G.

Es ging es um einen Keller, und es ging hoch her. Erst schimpfte Jennifer G., dann schrie der Gastronom. Sie drohten, schubsten, schlugen – und mittendrin hörte Setki S. die Worte: „Beiß ihn!“ Das jedenfalls gab er bei der Polizei zu Protokoll, das sagte er als Zeuge vor Gericht – und wurde, weil keiner der Kontrahenten seine Worte bestätigte, jetzt selbst zum Angeklagten. „Uneidliche Falschaussage“, nennt der Staatsanwalt das. Er glaubt an kein Versehen. Vermutet, dass Setki S. absichtlich flunkerte, um seinen Chef zu unterstützen. „Mag ja sein“, sagt der Richter. „Aber hundertprozentig sicher ist das nicht. Freispruch!“

Fünf Minuten Pause, die nächste Verhandlung dauert nicht viel länger: Marco S. ist seit drei Jahren arbeitslos. Der 33-Jährige lebt wieder bei den Eltern in Buckow, kommt mit den Unterhaltszahlungen für seinen 13-jährigen Sohn nicht hinterher. „Aber immer, wenn ich Geld habe, zahle ich“, behauptet er. Mal 300 Euro, mal 100, dann wieder 300. Seine Ex-Frau sagt: „Das ist nie auf meinem Konto eingegangen.“ Weil sich das aber heute nicht beweisen lässt, unterbricht der Richter die Verhandlung. Er „hasse“ es, angelogen zu werden, sagt der Mann in der schwarzen Robe und schickt Marco S. mit einer Warnung auf den Weg zur Bank: „Wenn Sie die Zahlungen nicht belegen können, wird’s ernst!“

Seinen Humor scheint Klaus S., der nächste Angeklagte, schon vor langer Zeit verloren zu haben. „Sie sind ein Lügner!“, schreit er im Saal seine Wut heraus. Der ehemalige Hausmeister trägt Brille und Tattoo, die weißen Socken stecken in schwarzen Sandalen. „Warum haben Sie mich gewürgt? Geschlagen? Warum? Warum?“

Das Lachen des Beschimpften klingt bitter. „Ständig gibt es Ärger. Und immer geht es um Klaus S.“, sagt der Mann von der Hausverwaltung. Das Drama in der Lychener Straße begann nach seinen Worten, als nach der Sanierung des Mietshauses ausgerechnet Jamal A. „als einziger Ausländer“ über dem Angeklagten einzog. „Heil Hitler!“, soll der Hausmeister mal zur Begrüßung gerufen haben. Und: „Judensau!“ Weil er sich weigerte, dafür eine Geldstrafe zu zahlen, landete der Fall vor Gericht.

Der Hausverwalter sagt, dass das ganze Haus unter den Ausbrüchen von Klaus S. zu leiden habe. Er selbst sammelte seine Erfahrungen mit dem aufbrausenden Mieter, als er einmal gerufen wurde, weil ein Müllkasten im Hof vor sich hinschmorte. Da sei plötzlich Klaus S. im Unterhemd angerauscht; schimpfend, spuckend, schubsend. Wieder fährt der Angeklagte dazwischen: „Ich habe ein T-Shirt angehabt, kein Unterhemd!“

Der Richter hat genug gehört. Es ist bereits Nachmittag, ein halbes Dutzend Zeugen wurden vernommen, die Hitze drückt im Gerichtssaal. „Ich kann jetzt nicht mehr“, sagt der Jurist – und ruft den Feierabend aus. Einen Ratschlag hat er noch: „Akzeptieren Sie besser den Strafbefehl“, verabschiedet er den Angeklagten. Klaus S. hört die Warnung, doch sie erreicht ihn nicht. Zwei Tage später wird er zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Auf Bewährung.

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