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Berlin: Was duzt du?

Der Abgeordnete Mutlu soll einen Polizisten beleidigt haben – und muss nun vor Gericht. Doch oft fühlen sich Ausländer von Beamten herablassend behandelt

Manchmal ist das kleine Wörtchen „du“ Anlass für große Auseinandersetzungen: Der grüne Abgeordnete Özcan Mutlu muss sich jetzt vor Gericht verantworten, weil er einen Polizisten unstatthaft angesprochen und geduzt hat. Dies erfülle den Tatbestand der Beleidigung. Der Fall Mutlu hat die ausländischen Berliner provoziert: „Es passiert viel zu oft, dass Ausländer Opfer von Beleidigungen werden. Dagegen klingt ein ’hey, du’ noch freundlich“, sagt Taciddin Yatkin, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde zu Berlin. Zahlreiche ausländische Berliner fühlen sich auf Ämtern und Behörden – in erster Linie aber von der Polizei oft durch distanzloses Duzen nicht ebenbürtig behandelt. Der Tagesspiegel hat sich umgehört.

„Die Polizei, dein Freund und Helfer“ – mit dem Slogan diente sich die Behörde den Bürgern einst jovial duzend an. Der Preußische Staatsminister Carl Severing soll den Satz 1926 geprägt haben, um das Bild des Königlich-Preußischen Schutzmannes zu entstauben. Heute wirbt sie im Internet höflicher als „Die Polizei – Ihr Freund und Helfer“. Doch Ausländern gegenüber bleibt es offenbar häufig beim guten Vorsatz.

„Von Polizisten werde ich generell geduzt“, beschwert sich etwa Ersoy Sengül, Student an der TU. Etwa bei Verkehrskontrollen, „und da ergibt sich schon ein Gefühl der Schikane“. Besonders unangenehm blieb dem 27-Jährigen aus Lankwitz der Tag in Erinnerung, als die Polizei ihn zu einer Gegenüberstellung mit einer Ladenbesitzerin bat. Der Dieb hatte ein südländisches Aussehen, das reichte wohl als Grund. „Die Polizei denkt wohl, mit uns kann sie das ja machen“, ärgert sich auch Bilkay Öney, 32-jährige Mitarbeiterin eines Kreuzberger Bildungswerks, über das oft selbst erlebte, herablassende Geduzt-Werden. „Ich hab’ schon gedacht, manchmal behandeln Beamte einen absichtlich so, damit man sich schlecht fühlt.“ Einmal zum Beispiel, als sie im neuen Auto noch keinen Erste-Hilfe-Koffer vorzeigen konnte. Auch Taxifahrer Hassan Togrulca fühlte sich schon von „aggressiven Beamten“ ungerecht behandelt. Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bundes, ärgert sich indes noch über etwas ganz anderes als das unfreiwillige Per-Du-Sein. „Oft reden Mitarbeiter von Behörden mit einem in gebrochenem Deutsch.“ Wer die Sprache nicht beherrsche, lerne sie so erst recht nicht. Im Türkischen gibt es übrigens auch das förmliche „siz“, das „du“-Pendant „sen“ wird aber viel häufiger gebraucht.

Özcan Mutlu freute sich gestern über den Rückhalt von türkischen Berlinern. Wie oft Beleidigungsfälle wie dieser letztlich in Verfahren vor Gericht gipfeln, kann weder die Justizverwaltung noch die Ausländerbeauftragte sagen. Die Justiz erfasst Anrede-Fälle nicht gesondert. „Zu uns kommen die Leute wegen schwerwiegenderer Dinge“, sagt Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John. Justiz-Sprecher Björn Retzlaff weiß zumindest, dass die meisten Beleidigungsverfahren („ein Massendelikt“) in Zusammenhang mit Polizisten stehen. Polizisten, die ihrerseits verbal angegangen wurden.

Denn die Berliner Polizei fühlt sich eher selbst in der Opferrolle. „Beleidigungen gegenüber Beamten nehmen massiv zu“, sagt der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft GDP, Eberhard Schönberg. „Selbst Zehlendorf ist keine Oase der Glückseligkeit mehr.“ Es mache sich doch kein Beamter das Leben unnötig schwer, indem er sein Gegenüber provoziere. Aber: Einen Bürger zu duzen, könne auch „deeskalierend“ wirken. Um Verständnis für die jeweils andere Seite zu schaffen, lädt die Türkische Gemeinde regelmäßig Polizeischüler zum Gespräch. Die Kreuzbergerin Bilkan Öney findet, dass sich der Ton bei manchem Beamten schon gebessert habe. Adel Ezemerli aus Libanon lebt seit über 30 Jahren in der Stadt und kann sich über mangelnde Umgangsformen der Berliner nicht beschweren. Und der pakistanische Berliner Iftikhar Ahmad Kahan hat bei verbalen Angriffen stets eine entwaffnende Antwort parat: „Wer in den Spiegel schaut, sieht sein eigenes Gesicht.“

Annette Kögel

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