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Berlin: Wenig Probleme, lauter Protest

Die Berliner Arbeitsämter waren auf den ersten Tag mit Hartz IV weitgehend gut vorbereitet. Doch in Wedding gab es Krawall

Schon früh am Morgen standen Leute Schlange, und auch die Mitarbeiter der neuen Jobcenter und Arbeitsagenturen hatten sich auf einen langen Tag eingestellt. Und doch: Die Premiere des neuen Arbeitslosengeldes II verlief am ersten Werktag des neuen Jahres problemlos. Beinahe jedenfalls. Denn während in den meisten Arbeitsagenturen heftige, aber friedliche Betriebsamkeit herrschte, kochte in Wedding die Stimmung hoch (siehe unten). Am Abend endete dagegen eine Demonstration von rund 180 HartzIV-Gegnern friedlich vor der SPD-Zentrale in Kreuzberg.

Die Computerpanne in der Nürnberger Zentrale für Arbeit schienen die Berliner Agenturen und ihre Kundschaft zu verkraften: Statt der bis zu 10 000 erwarteten Empfänger von Arbeitslosengeld II, die versehentlich noch keinen Cent überwiesen bekamen, holten sich nur 844 Menschen am Montag bei den Berliner Ämtern Bares ab.

Andrang herrschte beispielsweise bei der Arbeitsagentur Süd an der Grenzallee in Neukölln. Bereits im Foyer empfingen Mitarbeiter an Infotischen „die Kunden“, wie Pressesprecher Uwe Mählmann formulierte. „Hier geht es zwar zu wie in einem Taubenschlag, aber die sind alle ganz artig“, sagte eine Mitarbeiterin. Auch Walter Sauer aus Treptow, 42, gelernter Landwirt, scheint sein Schicksal und die neue Zahlweise mit Fassung zu tragen. Auf dem Bau hat er es schon erfolglos versucht, „als Steinsetzer kann ich nicht mehr arbeiten, die Knie sind fertig“. So bleibt dem Mann, der sich nun ehrenamtlich bei der Kleiderkammer des Obdachlosenhilfevereins Mut engagiert, nur „Alg II“.

Auch die gelernte Lötmontiererin und frühere Sozialhilfeempfängerin Beate S. aus Neukölln zieht sich aus dem Automaten im Foyer Geld, weil es wegen Datenfehlern bei der Übertragung der Kontonummern Probleme gab. Die 40-Jährige sieht ernst aus. „345 Euro sind das, ein Abschlag für meinen Mann und mich, das wird knapp.“ Im Bereich der Arbeitsagentur Süd wurden bis zum Nachmittag 290 solcher Barauszahlungen am Automaten oder über Postschecks gezählt. 86 waren es im Bereich Ost, 62 in Nord und 55 in Südwest, 280 in Mitte.

Dass nicht mehr Berliner am ersten Tag persönlich vorbeikamen, erklärt der Sprecher der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, Olaf Möller, auch so: Wer Arbeitslosenhilfe bezieht, hätte sie gerade erst Ende Dezember ausgezahlt bekommen. Rund 200 500 Anträge auf Arbeitslosengeld II waren in Berlin bearbeitet worden, insgesamt sind 270 000 Menschen von der Arbeitsmarktreform Hartz IV betroffen. Viele Empfänger von „Alg II“ , die 2004 bei den Sozialämtern Anträge auf einmalige Beihilfen etwa für Kleidung gestellt hatten, die nicht mehr bearbeitet werden konnten, gehen indes leer aus. Sozialstadträte aller Parteien kritisierten eine entsprechende Vorgabe der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales. So auch Stadträtin Martina Schmiedhofer (B90/Grüne) aus Charlottenburg-Wilmersdorf. Sie schätzt die Zahl der Betroffenen auf „etliche Tausend“ und findet den Verzicht des Gesetzgebers auf eine Übergangsregelung „schreiend ungerecht“. In Wedding haderte ein 56-Jähriger mit der Reform: 35 Jahre habe er gearbeitet, „und jetzt statt 1000 Euro nur 639“. In Neukölln kamen einer Witwe aus Britz die Tränen. Die schwerbehinderte „Alg II“-Empfängerin wurde wegen des Mietzuschusses vom Sozialamt zur Agentur und wieder zurück geschickt. „Mein Geld ist so knapp, und jetzt muss ich noch ein BVG-Ticket kaufen.“ kög/C.v.L./du-

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