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Bei dieser Band fließen viele Stile und Traditionen zusammen.

© Nikolaj Lund

Weltmusik: Wenn Iraner und Israelis zusammen musizieren

Seit elf Jahren spielen iranische und israelische Musiker zusammen in der Band Sistanagila. Sie wollen musikalische Brücken bauen.

Von Frederik Hanssen

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Die Utopie swingt im Sieben-Achtel-Takt. Fast jedenfalls. Der Kontrabassist und der Perkussionist sind sich noch nicht ganz einig, wie sie den Groove aufrechterhalten sollen, wenn der Gitarrist zu seinem virtuosen Solo ansetzt. Yuval Halpern, künstlerischer Leiter der Band Sistanagila, vermittelt. Er schlägt konkrete Betonungen und Akzente vor – und tatsächlich: Jetzt funktioniert der komplizierte Rhythmus.

In dem fensterlosen Probenraum in einem Charlottenburger Hinterhof-Keller hört man Israelisch und Iranisch, die Absprachen erfolgen in einem kreativen Mix aus Deutsch und Englisch – musikalisch aber ist die Sprachenvielfalt noch viel größer: Vielfältige Folklore trifft da auf Jazz, mal klingt es auch nach Klezmer, dann nach Flamenco, lateinamerikanische Beats sind zu hören, sogar Heavy Metal ist dabei. Ihre Wurzeln hat diese Weltmusik-Mischung in zwei Ländern, die offiziell verfeindet sind. Es war die aggressive anti-israelische Politik des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, die Babak Shafian dazu brachte, eine Band zu gründen. Obwohl er gar kein Instrument beherrscht. Mit 19 Jahren war der Iraner zum Studium nach Berlin gekommen, arbeitete hier anschließend als Programmierer.

Aber er wollte eine Brücke bauen, zwischen der Kultur seiner Heimat und der jüdischen, für die er sich schon lange interessierte, mithilfe der Musik. Er suchte also den Kontakt zu gleichgesinnten Künstlern aus beiden Ländern, 2011 hatte die Band „Sistanagila“ ihren ersten Auftritt. Der Name ist eine Eigenkreation, er setzt sich zusammen aus der iranischen Region Sistan und dem bekannten hebräischen Lied „Hava Nagila“ („Lasst uns glücklich sein“). Rechnet man Manager Shafian dazu, besteht die Band aktuell je zur Hälfte aus Israelis und Iranern.

Die Kombination ihrer Instrumente erlaubt stilistische Exkursionen in alle denkbaren Richtungen: Neben Gitarre, Saxofon und Kontrabass ist auch eine Tombak dabei, eine traditionelle persische Trommel, die mit allen zehn Fingern gespielt wird. Hinzu kommt der Gesang von Bandleader Yuval Halpern.

Daniel Barenboim ist ihr Vorbild, wenn es um Völkerverständigung mit den Mitteln der Kultur geht, sie bewundern sein West Eastern Divan Orchestra, in dem jüdische und arabische Musiker:innen Seite an Seite spielen. Doch während Barenboim mit seinem Ensemble auf klassische Weise die altbekannten Partituren von Beethoven, Brahms und Co. erarbeitet, kann Sistanagila einen Schritt weiter gehen: Während sie sich traditionelle Lieder aus dem einen oder dem anderen Kulturkreis vornehmen, formen sie daraus eigene, neue Versionen. Weil jeder bei den Proben seinen persönlichen musikalischen Background einbringt, als ästhetisches Gewürz gewissermaßen, so dass sich neuartiges aromatisches Spektrum entfalten kann. Die Songs von Sistanagila haben kosmopolitische Kraft – und einen weiten ästhetischen Horizont.

Babak Shafian, der nach einem Studium von Romanistik und jüdischer Geschichte mittlerweile beim Verein „Kol – jüdische Musik erleben und beleben“ arbeitet, managt weiterhin die Band. Vor allem kümmert er sich um das Booking, was in den beiden Coronajahren zu enervierender Terminjonglage mit ständigen Absagen und Verschiebungen der Auftritte führte. Jetzt aber kann die Band einen großen Schritt nach vorne machen, dank einer Förderung durch den Deutschen Musikrat. Sistanagila kann in dieser Saison in richtig großen Locations auftreten, so wie am 1. April im Kammermusiksaal der Philharmonie – der, anders als der Name es suggeriert, 1136 Menschen Platz bietet. Die Band will neue Publikumsschichten jenseits der eingeschworenen Weltmusik-Community erreichen – und arbeiten darum auch mit Klassikstars zusammen. Am Freitag ist Guy Braunstein ihr Stargast, Weltklasse-Violinist und ehemaligen Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Yuval Halpern und Guy Braunstein kennen sich schon lange, aber der Sänger war dennoch überrascht, dass der Geiger sofort Lust hatte, sich auf das Crossover-Abenteuer einzulassen. Weil sich so ein Klassikstar allerdings nicht einfach improvisierend unter die Bandmitglieder mischen kann, haben sie ihm extra ein Stück geschrieben, das sie „Die orientalischen Jahreszeiten“ nennen. Einiges wurde für diese Suite neu komponiert, anderes stammt aus ihrem Repertoire und wurde um eine virtuose Stimme erweitert.

Die Welt blickt gerade mit schreckgeweiteten Augen auf die Ukraine, aber die anderen Konfliktherde der Erde existieren natürlich weiter. Die Mitglieder von Sistanagila wollen all jenen Hoffnung geben, die für den Nahen Osten ein friedliches Miteinander von Israel und seinen arabischen Nachbarn ersehnen.

Sie sehen sich als musikalische Brückenbauer, wenn sie mit ihren Liedern die stilistische Vielfalt feiern – und zugleich davon erzählen, wie viele kulturelle Verbindungslinien es zwischen den Kulturen der Region im Laufe der Jahrhunderte gegeben hat.

Bei der Probe im Charlottenburger Kellerraum stimmen jetzt Yuval Halpern und die Gastsängerin Mahjabin Kavari ein Duett an. In den iranischen Versen von „Gole Sangam“ geht es um große Gefühle, um Sehnsucht und um die ewige Liebe. Positive Energie durchströmt den Raum. Diese Utopie klingt gut.

Am 1. April ist Sistanagila im Kammermusiksaal der Philharmonie zu erleben. Weitere Infos zur Band unter: www.sistanagila.de

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