
© dpa/Peter Kneffel
Will der Oberst um 20 Uhr die Tagesschau schauen?: Der Veteranentag in Berlin überlässt nichts dem Zufall
Nach langer Debatte ehrt das Militär am Sonntag in Berlin seine früheren Soldaten. Der Veteranentag folgt einem Zeitplan, der militärisch straff getaktet ist – wie ein Kommandounternehmen.

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Dies ist die Zeit des Militärs. Es geht ein Ruck durch die deutsche Gesellschaft. Was die letzten Jahrzehnte klammheimlich in den Kasernen versteckt wurde, muss sich nun der Öffentlichkeit zeigen. Und die sieht statt schimmernder Wehr einen ziemlich schluffigen Laden. Doch die Bundeswehr, bislang eine Behörde mit schweren Waffen, muss sich wandeln – und gleichzeitig ihre guten Traditionen bewahren.
Da ist zum Beispiel die Pünktlichkeit. Antreten zum Gepäckmarsch um Nullvierhundert! Da gibt es kein akademisches Viertel, keine Gedenkminute, kein „Moment, ich komme gleich, Herr Hauptfeldwebel“. Wie sehr dieser Automatismus noch sitzt trotz vieler Jahre der Nachlässigkeit, zeigt uns nun das Programm zum Veteranentag.
Veteranentag? Kurzer Einschub: Das gab’s bisher noch nicht. Der erste deutsche Veteranentag findet – nach langer Debatte um seine Sinnhaftigkeit – am Sonntag vor dem Reichstag statt. Tschingderassabum, aber hip. Nichts mehr mit Opas lähmenden Geschichten aus dem Krieg, an die wir Älteren uns noch erinnern, sondern: Erfahrungen aus erster Hand, nutzbar gemacht fürs Hier und Jetzt. Was die Amerikaner können, können wir schon lange, nur in demokratisch.
Und dieser Veteranentag hat nun einen Zeitplan, ist militärisch straff getaktet wie ein Kommandounternehmen. Einnahme der gegnerischen Hüpfburg... Moment, nein, da ist was in der Zeile verrutscht, auch Kinderschminken und Essenfassen bleiben davon unbehelligt. Aber das Bühnenprogramm!
Exakt um 13.39 Uhr zum Beispiel ist das erste musikalische Intermezzo mit den „Detonators“ geplant, um 14 Uhr 42 werden Teilnehmer der „Fahrradtour der Tapferkeit“ gezeigt. Eine Minute vor 15 Uhr ist ein weiteres Intermezzo mit „Glasperlenspiel“ angesetzt, über dessen Länge nichts bekannt ist. Nur so viel: Um 16.01 Uhr beginnt ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses und seinem Stellvertreter.
Der Höhepunkt wird um 17.02 Uhr erwartet. Auf die Bühne tritt der leibhaftige Rockstar Bryan Adams und spricht über seine Fotoausstellung „Wounded. The Legacy of War“, die parallel im Reichstag gezeigt wird. Wer Bedenken trägt hinsichtlich der Pünktlichkeit von Rockmusikern, der wisse: Nach Bruce Springsteen, am Mittwoch im Olympiastadion, hätte man eine Atomuhr justieren können.
Wo waren wir? 17.24 Uhr: Konzert mit Michael Schulte. 18.47 Uhr: Grußwort und Aushändigung von Veteranenabzeichen mit Boris Pistorius, der sich hier IBuK nennen darf, er ist der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Viel Zeit hat er trotzdem nicht, denn um 19.08 Uhr übernimmt die Big Band der Bundeswehr mit Laith Al Deen .
Das wars dann. Um 19.55 Uhr werden alle verabschiedet, vermutlich will der Hausmeister des Reichstagsgebäudes pünktlich Schluss machen, und der Generalinspekteur sieht die Tagesschau aus alter Gewohnheit linear. Auch die Veteranen gehen heim – mit der Gewissheit, dass doch nicht alles umsonst war.
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