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Der Angeklagte meldete sich während der Verhandlung nicht zu Wort.

© Paul Zinken/dpa

Tödliches Autorennen in der Berliner City West: Wird der Ku'damm-Raser wegen Mordes verurteilt?

Marvin N. war an dem tödlichen Autorennen beteiligt. Sein Kontrahent ist wegen Mordes verurteilt. Nun beschäftigt der Fall zum vierten Mal die Berliner Richter.

Sein Auto mit mehr als 300 PS war sein Statussymbol. Er fuhr meistens nachts sehr schnell - „voller Begeisterung darüber, was mein Auto so hergab“, sagte Marvin N. einmal vor Gericht.

Er wurde bekannt als einer der beiden Ku’damm-Raser, die sich vor rund viereinhalb Jahren in der City West ein tödliches Rennen geliefert hatten. Zweimal entschieden Berliner Richter auf Mord, zweimal hob der Bundesgerichtshof (BGH) den Schuldspruch gegen N. auf. Nun steht er erneut vor dem Landgericht. 

Den Saal 500 im Moabiter Kriminalgericht kennt der durchtrainierte Mann mit kahlem Kopf gut. Es ist inzwischen der vierte Prozess gegen Marvin N. vor dem Berliner Landgericht Erstmals allerdings geht es nur um ihn und seine Schuld.

Hamdi H., der zweite Ku’damm-Raser, ist bereits rechtskräftig wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Fall von Marvin N. gebe es „eine ausgesprochen große Bandbreite an möglichen Ausgängen“, sagte der Vorsitzende Richter am Dienstag zu Beginn des neuen Prozesses. Er sei gespannt.

Die beiden Männer hatten sich am 1. Februar 2016 über eine Strecke von etwa 1,5 Kilometern ein Autorennen geliefert. Sie flogen förmlich über den Kurfürstendamm - über zwanzig Querstraßen und elf Ampeln hinweg.

Ein „Projektil mit unglaublicher Zerstörungskraft“

Hamdi H. Im Audi A6 TDI mit 225 PS gegen Marvin N. Im Mercedes AMG mit mehr als 300 PS. Bis Hamdi H. mit einem Tempo von 160 bis 170 Stundenkilometern nahezu rechtwinklig den Jeep des Arztes Michael W. rammte, der aus der Nürnberger Straße bei für ihn grüner Ampel auf die Kreuzung fuhr. 

Der 69 Jahre alte Mann hatte keine Überlebenschance. Das Auto von Hamdi H. wurde zu einem „Projektil mit unglaublicher Zerstörungskraft“, heißt es in einem Unfallgutachten. Der Jeep des Arztes im Ruhestand wurde 70 Meter weit durch die Luft geschleudert. Michael W. starb am Unfallort. 

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Der Ku’damm-Raser-Prozess schrieb Rechtsgeschichte. Rund ein Jahr nach der irrwitzigen Raserei auf einer zentralen Straße der Hauptstadt entschied die 35. Große Strafkammer des Landgerichts auf Mord - deutschlandweit erstmals in einem Raser-Fall.

Die beiden Angeklagten zogen vor den Bundesgerichtshof. Die Karlsruher Richter hoben die Entscheidung im März 2018 auf. Sie sahen einen bedingten Tötungsvorsatz nicht ausreichend belegt. 

Der Fall ging von Strafkammer zu Strafkammer

Neuverhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts also. Der erste Anlauf aber scheiterte. Die Verteidiger setzten sich mit einem Befangenheitsantrag gegen die drei Berufsrichter durch. Der Fall ging an eine nächste Strafkammer. Das zweite Urteil dann im März 2019. Wieder hieß es: Schuldig des gemeinschaftlichen Mordes und lebenslange Haft. 

„Der Vorsatz entwickelte sich über mehrere Etappen“, begründeten die Richter im zweiten Mord-Urteil. Erst hätten sich die Angeklagten zufällig an einer Ampel getroffen. Zwei Männer, die ihr Geld in Autos steckten, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten. Rücksichtslose Raser, die ihre Autos förmlich vergöttert hätten. 

„Über den Ku’damm zu rasen empfanden sie als Lifestyle“, hieß es weiter im zweiten Schuldspruch. Zunächst hätten sich auf ein „Stechen“ von Ampel zu Ampel geeinigt. H. habe verloren und das nicht ertragen. Er sei dann weiter gerast.

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N. Habe eine Niederlage nicht hinnehmen wollen und „Stoff“ gegeben. Das sei der gemeinsame Entschluss zu einem Rennen gewesen. Sie hätten Gas gegeben - zur kurzzeitigen Befriedigung ihres Raser-Egos. Sie hätten um jeden Preis gewinnen wollen und dabei tödliche Folgen billigend in Kauf genommen. 

Wieder ging das Urteil vor den BGH. Diesmal aber hatte ein Schuldspruch Bestand: Hamdi H. ist ein Mörder, bestätigten die Bundesrichter. Seine Fahrweise sei „bewusst hochriskant“ und in der Unfallträchtigkeit „kaum noch zu steigern“ gewesen.

Vorsatz konnte nicht belegt werden

Was aber Marvin N. Betrifft, so kippte der BGH das Urteil des Landgerichts. Auch in seinem Fall ist die Frage entscheidend, ob er Vorsatz hatte, ob er also den Tod eines Menschen billigend in Kauf nahm bei seinem Handeln, das eigentlich darauf gerichtet war, das Rennen zu gewinnen.

Die Bundesrichter sahen im Fall von N. einen gemeinsamen Tatplan und somit eine  Mittäterschaft als nicht belegt an. Der Vorsatz von H. könne N. nicht zugerechnet werden. Es sei eine „außerordentlich schwierige Aufgabe“ für Gerichte, solche Fälle zu entscheiden, so der BGH damals. „Wir haben es nicht mit einem klassischen Tötungsdelikt zu tun.“ 

Teure Autos, Rasen als Lifestyle.

© Stefan Zeitz/imago

Für Marvin N. hatten seine Verteidiger im letzten Berliner Prozess eine Strafe von drei Jahren Haft wegen Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung seiner damaligen Beifahrerin verlangt.

Urteil nicht vor Jahresende erwartet

N. hatte in der Verhandlung erklärt, er sei damals überzeugt gewesen, dass durch seine Raserei „niemals etwas passiert, weil ich einfach zu gut war“. Er habe sich in seiner Selbstüberschätzung für einen perfekten Fahrer gehalten. Den Jeep, der der Mitangeklagte gerammt hatte, habe er nicht gesehen. 

Äußerlich regungslos hörte Marvin N. nun zum vierten Mal die Anklage. Obwohl der BGH den letzten Schuldspruch aufgehoben hatte, blieb er in Haft. Es sei auch eine Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdeliktes möglich, hieß es am Rande. Inzwischen befindet sich der 28-Jährige seit viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft. 

Einer der beiden Verteidiger erklärte, N. werde sich voraussichtlich am dritten Prozesstag am 27. Oktober zu den Vorwürfen äußern. Im November kommt es dann möglicherweise zu einer Begegnung mit Hamdi H., den er vor der Raserei nicht kannte. H. sei als Zeuge vorgesehen, hieß es. Mit einem dritten Urteil wird nicht vor Ende Dezember gerechnet.

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