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Berlin: Wo ist der Botschafter?

Vor der Vertretung Libyens wird demonstriert, drinnen schwankt die Stimmung, sagt der Chauffeur

Sechs Polizeiwagen stehen am Mittwoch mitten im Villenviertel in Dahlem. Der Grund: Die Protestbewegung aus Libyen ist endgültig in Berlin angekommen. Den dritten Tag in Folge demonstrieren vor der libyschen Botschaft in der Podbielskiallee Aktivisten gegen das Regime von Muammar Gaddafi. „Kommt raus und zeigt euch, hier ist das libysche Volk“, rufen die rund 40 Menschen auf Arabisch. „Gaddafi ist ein brutaler Mörder“, sagt Zeidan Ali Zeidan. „Er muss festgenommen und vor ein Gericht gestellt werden.“ Zeidans Eltern stammen aus Libyen, aufgewachsen ist er in Köln. Für die Proteste hat er sich freigenommen und ist für mehrere Tage nach Berlin gereist, um die Aktionen zu organisieren. Mit Verwandten und Freunden in Libyen steht er per E-Mail in Kontakt, da das Telefonnetz fast vollständig abgeschaltet ist.

Gegen 12 Uhr kommt es plötzlich zu Tumult. Zwei junge Männer haben die Polizei ausgetrickst, indem sie sich als Gaddafi-Anhänger ausgaben. Jetzt stehen sie im Vorgarten der Botschaft und rufen „Freiheit für Libyen“. Unter dem Jubel der Demonstranten klettert einer die Fahnenmasten empor und reißt die grüne Staatsflagge herunter. Anschließend hisst er die alte rot-schwarz-grüne Fahne des libyschen Königreichs, die zum Symbol der Aufständischen geworden ist. Die Polizei kann zunächst nicht eingreifen, da sie das Botschaftsgelände nicht betreten darf. Erst als Botschaftsmitarbeiter sie dazu auffordern, nehmen die Einsatzkräfte die Männer fest. Jetzt droht ihnen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch.

Kurze Zeit später tauchen zwei mit grünen Schals vermummte Männer aus der Botschaft auf und hängen eine neue Gaddafi-Fahne an den Mast. Pfiffe und Beschimpfungen von der anderen Straßenseite sind die Folge. Mit Journalisten will kein Vertreter der Botschaft sprechen, auch telefonisch ist niemand erreichbar. Nach außen hält man weiterhin am alten System fest, doch im Inneren scheinen sich die Mitarbeiter nicht mehr so sicher zu sein, auf welcher Seite sie stehen. Ein Chauffeur der Diplomaten spricht von einer „bedrückenden Stimmung“ im Gebäude. Der Botschafter selbst sei seit Tagen nicht mehr aufgetaucht. Niemand wisse, wie es weitergeht. Auch wenn er selbst nicht aus Libyen stamme, würde er am liebsten mitdemonstrieren, fürchte aber um seinen Job. „Ich stehe auf der Seite meiner Brüder und Schwestern, die in Libyen massakriert werden“, sagt er.

Am Nachmittag demonstrierte die libysche Gemeinde erneut, dieses Mal nahe des Auswärtigen Amtes in Mitte. Unter den Anwesenden gehen Gerüchte um, dass der libysche Botschafter Jamal Ali Omar El-Baraq sich gegen Gaddafi gestellt habe. „Ich bin auf der Seite des libyschen Volkes“, sagte er der „Financial Times“. Er sprach sich jedoch nicht explizit gegen den Diktator aus. Die Internetseite der Botschaft wurde schon am Montag von Regimegegnern übernommen. Dort stehen jetzt Protestaufrufe gegen Gaddafi. Am Donnerstag wollen die Aktivisten wieder vor der Botschaft demonstrieren. „Wir bleiben hier, bis Libyen endlich frei ist“, sagt eine junge Frau. Johannes Radke

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