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Eine Radfahrerin fährt durch das nächtliche Kopenhagen.

© Christian Charisius/dpa

Zehn Ideen für einen besseren Radverkehr: Was sich deutsche Städte von Kopenhagen abschauen können

Kopenhagen gilt als fahrradfreundlichste Stadt der Welt – das können deutsche Kommunen von der dänischen Metropole lernen.

Von Hendrik Lehmann

Zusammen mit Physikern, Designern und Experten für künstliche Intelligenz hat der Tagesspiegel 2018 mit 100 Freiwilligen gemessen, wie viel Überholabstand Autofahrer zu Radfahrern halten. In 53 Prozent der Fälle wurde der gebotene Mindestabstand von 1,50 Metern nicht eingehalten. In Kopenhagen hat das Tagesspiegel-Team nun Ideen für eine fahrradgerechte Infrastruktur zusammengetragen.

In der dänischen Hauptstadt fuhren 2016 erstmals täglich mehr Fahrräder durch die Innenstadt als Autos. Die Zahl der schweren Unfälle ist seitdem dennoch nicht gestiegen – und sie soll künftig sogar sinken. Dafür gibt die Kopenhagener Stadtverwaltung viel Geld aus, und sie lässt sich von Planern und Forschern beraten. Hier sind 10 Maßnahmen, die sich Städte in Deutschland abschauen sollten:

1. Getrennte Wege

An fast allen Kopenhagener Hauptstraßen (82 Prozent) gibt es baulich getrennte Radwege. „Das ist der wichtigste erste Schritt“, sagt der dänische Stadt- und Verkehrsforscher Morten Elle von der Universität Kopenhagen. Als Standard hat sich dabei ein Bordstein durchgesetzt, der Radweg und Autofahrspur trennt.

Reine Begrenzungslinien würden Autofahrer oft schlecht verstehen und darauf parken, sagt Søren Troels Berg, Fachkoordinator Verkehrssicherheit von der Stadtverwaltung Kopenhagen. Die neuesten Radwege in Kopenhagen werden zudem inzwischen vier Meter breit geplant. So sollen selbst Lastenradfahrer einander überholen können, ohne in den Autoverkehr zu gelangen. „Und mit Elektrorädern werden in Zukunft noch mehr Radfahrer mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten dazukommen“, sagt Morten Elle.

Poller helfen nicht unbedingt, um Radfahrer besser zu schützen. Durch Bordsteine abgetrennte Radwege laut den Experten in Kopenhagen schon.
Poller helfen nicht unbedingt, um Radfahrer besser zu schützen. Durch Bordsteine abgetrennte Radwege laut den Experten in Kopenhagen schon.

© Tsp

2. Zentrale Planung

Radrouten und -wege werden zentral von einer Stelle in der Verwaltung geplant, weil eine Aufteilung nach Bezirken oder Verwaltungseinheiten nach Meinung der dänischen Experten nicht gut funktioniert. So können die meistbefahrenen Wege durch die Stadt möglichst nahtlos auf abgegrenzten Radwegen zurückgelegt werden.

3. Fahrradautobahnen

Die Bewohner der Kopenhagener Außenbezirke pendeln nach Angaben von Søren Elle, ehemaliger Verkehrsplaner in der Verwaltung, weiterhin meist mit dem Auto in die Stadt. Die Stadt hat deshalb begonnen, zusätzlich zu den Radwegen der Innenstadt „Supercykelstier“ zu bauen, eigene Fahrradschnellstraßen. Acht solcher Wege binden die Vororte bereits auf 167 Kilometer Strecke an die Innenstadt an. Bis 2045 sollen weitere 37 gebaut und auf eine Gesamtstrecke von 740 Kilometern erweitert werden. Die Zahl der täglichen Fahrradpendler sei stark gestiegen, sagt Morten Elle.

Acht Fahrradschnellwege gibt es in Kopenhagen bereits (durchgängige Linien) – 37 weitere sind geplant (gestrichelte Linien).
Acht Fahrradschnellwege gibt es in Kopenhagen bereits (durchgängige Linien) – 37 weitere sind geplant (gestrichelte Linien).

© Tsp

4. Services am Wegesrand

Auf den „Fahrradautobahnen“ gibt es „Service-Stationen“ mit Luftpumpen oder Schraubenschlüssel für den Pannenfall oder Wasserspendern. Marianne Weinreich, Managerin bei der Beratungsfirma Ramboll, sieht in solchen Services einen Schlüssel für den Erfolg der Mobilitätswende in Städten. Sie kann sich beispielsweise auch Fußstützen an Ampeln vorstellen oder Mülleimer, die so geneigt sind, dass Radfahrer sie beim Vorbeifahren gut treffen.

5. Brücken bauen

Neun Fahrradbrücken verbinden verschiedene Kopenhagener Stadtteile. Die zehnte wird gerade gebaut. In Kopenhagen ist der Weg mit dem Rad oft der schnellste von A nach B. Eigene „grüne Routen“ führen durch Parks und Grünflächen, reine Fuß- und Fahrradbrücken verkürzen die populären Strecken in der Stadt. Die beliebteste Brücke endet direkt in einem neuen Shoppingcenter mit Fahrradparkhaus. Im Parkhaus bietet eine Fahrradwerkstatt Reparaturen an.

Fahrradbrücke mit Radlern in Kopenhagen.
In Kopenhagen längst üblich, in Berlin noch Pionierarbeit: Fahrradbrücken.

© Tsp

6. Tempolimits senken die Unfallzahl

„Nachdem getrennte Radwege die Zahl der Unfälle von Radfahrern auf den Radwegen stark reduziert haben, nahmen die Unfälle an den Kreuzungen zu“, sagt Anders Møller Gaardbo, Experte für Verkehrssicherheit und Fahrrad in der nationalen Verkehrsbehörde Dänemarks. Seine Empfehlung: die Geschwindigkeit reduzieren. „Wo die Geschwindigkeit herabgesetzt wurde, vermindert sich meist die Zahl der Unfälle“, sagt der Experte.

7. Getrennte Haltelinien

Viel Aufwand stecken die dänischen Planer in neue Kreuzungsdesigns, die sowohl Unfälle verhindern als auch das individuelle Sicherheitsempfinden verbessern sollen. Eine Möglichkeit: Die Haltelinie für die Autos wird an den Kreuzungen zurückgesetzt. So stehen die Radfahrer bei roter Ampel stets etwas weiter vorne, gut sichtbar für die Autofahrer. Oder sie stehen in der sogenannten „Bicycle Box“.

Dabei wird ein rot markierter Bereich vor der Haltelinie der Autofahrer an Kreuzungen für Räder reserviert. Erfolg hatte auch eine andere Lösung: Statt den Verkehr zu trennen, werden Auto- und Radfahrer auf der Abbiegespur absichtlich wieder vermischt. So sind alle in Alarmbereitschaft. Die Idee: Manchmal muss man sich vielleicht etwas unsicher fühlen, um aufzupassen.

An vielen Kreuzungen müssen die Autofahrer etwas weiter hinten halten.
An vielen Kreuzungen müssen die Autofahrer etwas weiter hinten halten.

© Tsp

8. Warnung als Ausnahme

Von der Idee, die Radwege komplett farbig zu streichen, hält Møller Gaardbo wenig. „Die Warnfarbe wirkt nur, wenn sie selten eingesetzt wird“, sagt er. Deswegen empfehlen die dänischen Planer, nur gefährliche Kreuzungen mit blauen Fahrstreifen für Radfahrer zu markieren. Vor allem Rechtsabbiegerunfälle soll das verhindern helfen.

9. Ampeln umschalten

Neben Farben und Formen auf der Straße hat sich in Kopenhagen eine Änderung der Ampelschaltung als hilfreich erwiesen. Radfahrer haben oft separate Ampeln. Und die springen wenige Sekunden früher auf Grün. Auch hier die Idee: Wenn Radfahrer zuerst losfahren, sehen Autofahrer sie besser.

Radfahrer bekommen an separaten Ampeln oft zuerst Grün, um Abbiegeunfälle zu vermeiden.
Radfahrer bekommen an separaten Ampeln oft zuerst Grün, um Abbiegeunfälle zu vermeiden.

© Tsp

10. Freude am Fahren!

So ernst die dänischen Experten werden, wenn sie über Unfallzahlen sprechen, so wenig vergessen sie den Spaß. „Radfahren muss eine ästhetisch befriedigende Sache sein“, sagt Marianne Weinreich. Ob grüne Routen durch Parks, gewundene Brücken durch den Hafen oder extrabreite Radwege zum Nebeneinanderfahren. Fährt man in Kopenhagen selbst einen Tag Rad, ist es das, was am meisten überzeugt. Radfahren ist dort viel angenehmer als Autofahren.

Hier finden Sie mehr (interaktive) Informationen zum Tagesspiegel-Radmesser.

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