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„Die Abstinenz war der Königsweg“: Mehr als 50 Jahre Westberliner Drogenberatung
Der Drogenkonsum ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das zumindest beobachtet die heutige Leiterin der ersten Westberliner Suchtberatungsstelle. Einst war Christiane F. dort Klientin. Seitdem hat sich einiges verändert.
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Eine der wohl bekannteste Klientinnen der Drogenberatungsstelle in der Königsberger Straße 11 war Christiane F. - jene Frau, die der Westberliner Drogenszene der 70er Jahre mit dem Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ein Gesicht gab. So zumindest berichtet es die heutige Leiterin der von der Caritas geführten Einrichtung, Heike Nagel.
Etliche Jahre später feiert das Haus mit einem Fest (7. Juli) sein 50-jähriges Bestehen. Mit der Eröffnung im Jahr 1972 stand das Jubiläum eigentlich bereits vergangenes Jahr an, wurde aber wegen der Corona-Pandemie verschoben.
Die Suchtberatungsstelle in Berlin-Lichterfelde ist eigenen Angaben zufolge die erste in Westberlin, die ein integratives Beratungsangebot schuf. Das heißt: Nicht nur alkoholabhängige Menschen, sondern auch Menschen, die illegale Drogen wie Kokain oder Heroin konsumieren, werden hier beraten.
Man denkt immer, hier ist alles schick. Aber wir sind voll ausgelastet.
Heike Nagel, Leiterin einer Berliner Drogenberatungsstelle
Die Beratung ist sowohl online als auch persönlich möglich und kann anonym stattfinden. Mehr als 1000 Ratsuchende holen sich der Caritas zufolge jährlich bei den Beraterinnen und Beratern Hilfe. „Steglitz-Zehlendorf ist ein typisch bürgerlicher Bezirk“, sagte Nagel der Deutschen Presse-Agentur. „Man denkt immer, hier ist alles schick. Aber wir sind voll ausgelastet.“
Drogenkonsum ist in der bürgerlichen Mitte angekommen
Gegründet wurde die Beratungsstelle von Studierenden und nahm ihren Anfang im bekannten Berliner Club „Sound“. Konsumiert wurde damals unter anderem „Berliner Tinke“ - ein Opiumgemisch und Vorgänger von Heroin. „Heute gibt es viel mehr unterschiedliche Drogen und der Wirkungsgrad ist deutlich höher, gerade bei den chemischen Drogen“, stellte Nagel im Vergleich zu den Anfangsjahren fest.
Drogenkonsum sei in der bürgerlichen Mitte angekommen. Die Hälfte der nach Hilfe suchenden Menschen in der Königsberger Straße 11 hätte einen Job.
Gerade Jugendliche konsumieren oft mehrere Drogen
Auch der Umgang mit dem Drogenkonsum hat sich der Einrichtungsleiterin zufolge deutlich verändert: „Früher hat man gesagt, dass die Abstinenz der Königsweg ist. Heute hat man akzeptiert, dass es Menschen gibt, die nicht aufhören werden.“ Man habe erkannt, dass Drogensucht keine „Charakterschwäche“, sondern eine lebenslange chronische Erkrankung sei.
Bei der Beratung gehe es heute demnach nicht mehr nur darum, clean zu werden, sondern auch um Aufklärung und sicheren Konsum. Viele Menschen, gerade auch Jugendliche, würden oft mehrere Drogen konsumieren. Dabei würden die Suchtmittel heute schneller abhängig machen und seien mit gefährlichen Streckmitteln gemischt.
Der Senatsverwaltung für Gesundheit zufolge gibt es in Berlin 28 Suchtberatungsstellen. Sie sind häufig die ersten Anlaufstellen für Menschen, die ihren Konsum hinterfragen. Auch Angehörige könnten die Beratung in Anspruch nehmen. Leider komme nur ein relativ kleiner Anteil suchtkranker Menschen im Hilfesystem an. Das kann den Angaben zufolge unter anderem an Schamgefühl oder Stigmatisierung liegen.
(dpa)
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