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Ganztagsschule: Muss der beschlossene Rechtsanspruch ab 2026 verschoben werden?
Im Herbst 2021 hat die Regierung einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 beschlossen. Doch der Mangel an Fachkräften für Bildung und Erziehung ist dramatisch. Lässt sich das Vorhaben trotzdem umsetzen? Drei Experten antworten.
Stand:
Der Fachkräftemangel in Schulen ist dramatisch. Es fehlen Lehrerinnen, und auch auf dem Arbeitsmarkt für Erzieher herrscht großer Mangel. Auch sie aber werden für den Ganztagsbetrieb gebraucht. Was heißt das für den bereits beschlossenen Rechtsanspruch? So schätzen unsere Experten die Lage ein. Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.
Zum Schuljahr 2026/27 wird es Stand jetzt wohl nichts
Die Städte haben in den vergangenen Jahren Hunderttausende Ganztagsplätze geschaffen. Der Bund hat sich aber nach dem Beschluss zum Rechtsanspruch zu viel Zeit gelassen, mit den Ländern den Rahmen für weitere Investitionen zu verhandeln. Jetzt müssen die Länder schleunigst liefern und das Geld des Bundes an die Städte weitergeben. Wir wissen bis heute nicht, wie und wann wir zusätzliche Mittel bekommen, um weitere Betreuungsräume zu bauen und auszustatten.
Und zentral bleibt der Fachkräftemangel. Schon für die Kitas suchen die Städte händeringend Mitarbeiter. Für den Ganztag an Grundschulen müssen wir flexibel bleiben. Kitas und Grundschulbetreuung dürfen sich nicht gegenseitig das Personal streitig machen.
Wir brauchen aber auch ein ehrliches Erwartungsmanagement: Ein bedarfsdeckendes Angebot in der Fläche zum Schuljahr 2026/2027 wird es Stand jetzt wohl nicht geben. Wenn Bund und Länder nicht endlich Tempo machen, werden unnötig viele Kinder und Eltern in die Röhre gucken.
Verschieben geht nicht
Der Rechtsanspruch auf Ganztag ab 2026 sollte aus Sicht der Eltern keinesfalls verschoben werden. Das Voranbringen des Ganztags ist wichtiger denn je, auch hinsichtlich der Folgen der Coronapandemie für Kinder und Jugendliche. Letztendlich hat der Rechtsanspruch für Eltern zur Folge, dass sie die Möglichkeit bekommen, diesen einzuklagen.
Der Ganztagsausbau bedeutet für Familien eine leichtere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Hoffnung auf eine bessere Förderung der Kinder, Entlastung und Planbarkeit des Alltags. Zumeist haben sie also ein unbedingtes Interesse daran, den Ganztagsausbau zu unterstützen und voranzutreiben.
Wenn Eltern in der Vergangenheit eine „rechtliche Handhabe“ bekommen haben, um ihre Ansprüche durchzusetzen, hat dies zumeist eine beschleunigende Wirkung auf die Entwicklung gehabt.
Der dramatische Fachkräftemangel darf kein Hinderungsgrund sein, den Rechtsanspruch zu verschieben, da sonst der Ganztagsausbau an Fahrtgeschwindigkeit verliert, möglicherweise sogar ausgebremst wird.
Es muss alles darangesetzt werden, ein Tempo vorzulegen, welches nicht Zulasten der Qualität der Betreuung geht und zur Überforderung der Schulen führt. Die Herausforderung wird nun bis 2026 sein, mit den vom Bund bereitgestellten Mitteln genügend zusätzliche Fachkräfte zu werben und zu qualifizieren.
Wegen der Bildungsgerechtigkeit: Der Rechtsanspruch muss wie geplant kommen
Ganztagsschulen sind ein wichtiger Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit. Deshalb muss der Rechtsanspruch wie geplant kommen. Im Ganztag erhalten Schülerinnen und Schüler ein warmes Mittagessen, Unterstützung bei den Hausaufgaben und Hilfe beim Lernen. Es gibt Raum für Kreativität und Bewegung: Kinder können Sport machen, Robotik oder Astronomie kennenlernen.
Ein gut konzeptionierter Ganztag, in dem Lehrkräfte, Vereine und außerschulische Bildungsanbieter eng zusammenarbeiten, macht gute Bildung für alle möglich.
Ohne Ganztagsbetreuung droht ein Fachkräfte-Teufelskreis: Besonders Frauen, die nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit übernehmen, können Beruf und Familie nur vereinbaren, wenn die Betreuung gesichert ist. Das gilt auch für Lehrerinnen, von denen 48,2 Prozent in Teilzeit arbeiten.
Daneben muss die Attraktivität des Lehrerberufs für die Länder höchste Priorität haben: Lehrkräfte müssen mehr durch multiprofessionelle Teams unterstützt werden, damit sie sich auf das konzentrieren können, was sie am besten können: unterrichten.
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